Neuer «Rassenhass» in Frankreich
14. Apr 2005 07:26
Von Hans-Hermann Nikolei, Paris
«Blacks, Blancs, Beurs» - in französischen Jugendbanden ganz normal. Doch es zeichnet sich ein dramatischer Wandel ab. Intellektuelle sprechen von einer «Hassbewegung» gegen Weiße.
Das liberale Frankreich ist schockiert. Im Zuge einer «Ethnisierung» entstehen Jugendbanden, die ihren Hass und ihre Gewalt gegen weiße Franzosen richten. So sehen es jedenfalls französische Intellektuelle, die in einer alarmierenden Resolution dazu aufrufen, sich dem neuen Rassenhass entgegenzustemmen.
Zu den Unterzeichnern gehören der Philosoph Alain Finkielkraut und der Regisseur Elie Chouraqui ebenso wie der Rassismusforscher Pierre- André Taguieff, der ehemalige Minister Bernard Kouchner, das jüdische Radio Shalom und der muslimische Theologe Ghaleb Bencheikh. Es sei «eine Hassbewegung» gegen weiße Franzosen und Juden entstanden, sagt Finkielkraut.
Jagd auf Schüler
Anders als in den USA, wo Latinos und Schwarze, Italiener und Chinesen oftmals eigene Gangs bilden, sind die Banden aus dem Umland von Paris oder Lyon traditionell nicht nach ethnischen Bruchlinien organisiert. «Blacks, Blancs, Beurs» (Schwarze, Weiße, Araber) aus einer Vorstadt rivalisieren mit Banden aus anderen Vierteln, in denen ebenfalls Jugendliche aller Hautfarben zu finden sind. Doch mit den Debatten über Islamisierung und Kampf der Kulturen wächst in den Auseinandersetzungen die Bedeutung der «ethnischen Identität».
Am Rande der jüngsten Schülerdemonstrationen in Paris machten bis zu 1000 «Blacks» aus den Vorstädten Jagd auf weiße Jugendliche, schlugen sie zusammen und raubten ihre Mobiltelefone. Zuweilen wurden erbeutete Handys vor den Augen der Opfer zertreten, nur um sie zu demütigen. «Ich habe nur Schwarze gesehen, die Weiße angegriffen haben», berichtete der Geschichtslehrer Luc Colpart Journalisten. Die Täter hätten rassistische Parolen gerufen.
«Bolos sind eher blond»
Ein Zeichen für den Wandel: Die verachteten «kleinen Weißen» haben einen eigenen Namen bekommen: Bolos. «Ein Bolo ist eine Taube, ein Opfer», erklärte Heikel, einer der «Casseurs» (Schläger) bei den Schülerdemos, der Zeitung «Le Monde». Ein anderer sagte, «Bolo» sein sei, «als wenn auf der Stirn «nimm meine Sachen» stünde».
Allerdings ist die Definition von Bolo verschwommen. «Bolos sind eher blond», meint Rachid. Doch auch ein Maghrebiner (Nordafrikaner) könne Bolo sein, wenn er sich wie ein Franzose verhalte und mit seiner Schwester über Sex rede.
Aufruf zum Hass?
Als ein Katalysator des neuen Selbstbewusstseins der Schwarzen gilt der Kabarettist Dieudonné. Während eines von Boykotten bedrohten Konzerts skandierten seine Anhänger «Das schwarze Volk ist aufgestanden!» Allerdings wehrt sich Dieudonné gegen den Vorwurf des Rassismus.
Der kreolische, aus Martinique stammende Dichter Raphaël Confiant dreht den Spieß sogar um und erklärt, der von Finkielkraut initiierte Appell sei «ein echter Aufruf zum Hass auf Schwarze».
Keinen Wettbewerb der Opfer schaffen
Auch die Historikerin Esther Benbassa warnte, der Aufruf schüre die Konfrontation der Weißen mit den Schwarzen. Man dürfe «keinen Wettbewerb der Opfer» schaffen. Viele Linke sehen in der Randale nur eine Reaktion auf ständige demütigende Polizeikontrollen der Farbigen. Sie verweisen auf den neuen Frankreich-Bericht von Amnesty International, dem zufolge Polizisten ungestraft farbige Jugendliche bei Kontrollen demütigen und schlagen können.
Für den Soziologen Laurent Mucchielle sind die Attacken auf weiße Schüler nur Ausdruck des sozialen Elends in den Vorstädten. Er liegt dabei auf der traditionellen Linie der Diskussion um die Gewaltkultur in den Vorstädten. 1991 hatte die Regierung eigens einen Minister berufen, um «400 heiße Getto-Vorstädte» sozial zu entschärfen. Rassismus galt damals allerdings nur als Problem der Ordnungskräfte. (dpa)