Nach der Kapitulation bei Stalingrad wurde beschlossen, daß Kluge und Manstein ins Führerhauptquartier fliegen und dort als Mindestpreis für weitere Dienste verlangen sollten, daß der Führer einen von ihnen zum Oberbefehlshaber im Osten machen sollte; wenn er dies abschlüge, sollten sie offen rebellieren. Aber Hitler wickelte beide um den Finger. Er machte kleine Konzessionen, war charmant und verständig, und sie brachten die Hauptsache gar nicht zur Sprache.
Das Versagen des «Stalingradputsches», wie er genannt wurde, machte es offensichtlich, daß man selbst bei einer militärischen Katastrophe nichts mit der Generalität anfangen konnte. Beck, der die Katastrophe in allen Details vorausgesehen hatte, schwor, Paulus und die anderen Generäle vor ein Kriegsgericht zu bringen, nachdem Hitler gestürzt sei. «Diese Feiglinge machen einen Antimilitaristen aus mir altem Soldaten», sagte er. Er sah nun auch in einem Attentat den einzigen Ausweg, und
Tresckow, Schlabrendorff und ihre Gruppe erklärten sich bereit, es auszuführen.
Schon ehe diese Entscheidung getroffen wurde, war es
Tresckow durch seinen Freund General Schmundt, Hitlers Adjutant, gelungen, einen Besuch Hitlers im Hauptquartiers der Heeresgruppe Mitte in Smolensk in die Wege zu leiten. Man dachte zu dieser Zeit noch daran, einen Streit zwischen Kluge und Hitler zu provozieren, der dann zur Verhaftung des Führers mit seinem ganzen Stabe führen sollte. Ein Kavallerieregiment unter Oberst von Böselager stand bereit, um die Verhaftung durchzuführen. Kluge sollte vorübergehend die Macht ergreifen mit der Hoffnung, daß ein fait accompli die anderen Generäle im Osten zwingen werde, ihm zu folgen. Hitlers Besuch wurde immer wieder verschoben, und Kluge fing an schwach zu werden. Der deutsche Soldat und die Welt würden dies nicht verstehen», behauptete er.
Aber dies wurde nun hinfällig, nachdem man sich endgültig auf die Attentatslösung geeinigt hatte.
Schließlich, am 13. März 1943, kam Hitler und im Verlaufe eines gemütlichen Abendessens fragte
Tresckow
bei einem von Hitlers Adjutanten an, ob er wohl so freundlich sei, zwei Flaschen Cognac für General Stieff zurück ins Hauptquartier zu bringen. Der Adjutant war einverstanden, und
Schlabrendorff verstaute das Paket sicher in Hitlers Flugzeug.
Das Paket enthielt dieselbe Art Bombe, die Stauffenberg mehr als ein Jahr später auch benutzte. (Anmerkung: englischer Sprengstoff und Zünder)
Als Hitlers Flugzeug sich in die Luft erhob, hatten
Tresckow und Schlabrendorff allen Grund, anzunehmen, daß sie und die Welt den besessenen Oesterreicher nie mehr wiederscheu würden. Sie informierten Kluge und warteten auf die Nachricht des Flugzeugunfalls. General Olbricht wartete in Berlin auf
Schlabrendorffs Anruf, um die P'utschmaschinerie in Gang zu bringen.
Nach zwei Stunden wurde gemeldet, daß Hitler heil eingetroffen sei.
Ihre Enttäuschung war niederschmetternd, aber sie hatten keine Zeit, sich ihrer Verzweiflung hinzugeben.
Wenn das Paket mit dem Explosionsstoff entdeckt wurde, würden alle Antinazi an der Ostfront aufgehängt werden.
Schlabrendorff nahm das erste Kurierflugzeug und flog ins Führerhauptquartier. Er kam gerade noch zurecht, und das Paket wurde ihm ausgehändigt. Als er es in dieser Nacht in seinem Sonderabteil im Zug nach Berlin öffnete, fand er, daß die Bombe richtig ausgelöst war, daß das Fläschchen mit der Säure zerbrochen war, daß die Säure den Draht zerfressen hatte und daß der Schlagbolzen auch vorgeschnellt war. Aber die Ladung war nicht explodiert. «Enttäuschung und Freude wallten gleichzeitig in mir auf», erzählte er mir später.
Das Glück, das
Schlabrendorff beim Zurückholen der Bombe so günstig war, blieb ihm auch treu, als er ein Jahr und drei Monate später verhaftet wurde. Er war durch die Ereignisse des 20. Juli stark kompromittiert, sein Fall kam aber erst im Februar 1945 zur Verhandlung. Als sich der Prozeß vor dem Präsidenten des Volksgerichtshofs, Freisler, seinem Ende näherte, kam ein amerikanischer Fliegerangriff, und das Gericht mußte sich in den Luftschutzkeller verziehen. Die Verhandlungen wurden dann vertagt. Ein direkter Treffer auf das Gerichtsgebäude brachte die Säulen des Luftschutzkellers ins Wanken und ein Balken fiel auf Freisler und verletzte ihn tödlich. In dem Durcheinander gingen
Schlabrendorffs Verhandlungsakten und ein großer Teil des Beweismaterials gegen ihn verloren. Als es dann wieder zur Verhandlung kam, hatte der neue Richter weder die Beweise noch den sadistischen Eifer Freislers, und
Schlabrendorff kam mit Konzentrationslagerhaft davon. Beim Einmarsch der Alliierten in Deutschland wurde
Schlabrendorff von Lager zu Lager weiter nach Süden transportiert, bis er schließlich in die Hände der Fünften amerikanischen Armee fiel, die von Italien kommend die norditalienischen Alpen erreichte.
Einige, General Thomas unter ihnen, waren nunmehr überzeugt, daß der Krieg verloren sei und daß keine Regierung etwas Besseres als die bedingungslose Kapitulation erreichen könne; ein Putsch würde im In- und Ausland lediglich als ein Versuch ehrgeiziger Generäle, die Macht an sich reißen zu wollen gedeutet werden, und Hitler würde dadurch in den Augen der Deutschen zum Märtyrer. Letzteres sei schlimmer als die totale Niederlage. Aber
Tresckow und seine Gruppe waren anderer Meinung. Hitler muß beseitigt werden, sagten sie. Die direkten politischen Resultate waren nicht so wichtig als die Tatsache, daß deutsche Antinazi auf diese Weise, und nur auf diese Weise, der Welt beweisen, daß sie bereit sind, ihr Leben im Aufstand gegen Hitler aufs Spiel zu setzen.
Als Oberst von Stauffenberg später, im Laufe des Jahres 1943, zu dem innern Kreis der Verschwörung stieß, verstummte die Debatte über das Attentat. Im Verlaufe dieses Jahres wurde die militärische Lage zunehmend schlechter, und immer mehr junge Offiziere kamen zu der Ueberzeugung, daß Hitler ermordet werden müsse. Der Staatsstreich Badoglios in Italien, von dem die Verschwörer im voraus wußten (Anmerkung: durch Canaris), gab ihnen neue Hoffnungen.
Am 26. Dezember 1943 brachte Stauffenberg, der in eine Stellung innerhalb des Ersatzheeres hineinmanövriert worden war, die es ihm ermöglichte, an Hitlers Lagebesprechungen teilzunehmen, eine Bombe ins Führerhauptquartier. Aber die Konferenz wurde im letzten Moment aus unerklärten. Gründen abgeblasen.
Im Januar 1944 wurde ein weiterer genialer Plan von der
Tresckowgruppe ausgeheckt. Eine neue Uniform sollte Hitler vorgeführt werden.
Tresckow fand drei junge deutsche Offiziere, die bereit waren, freiwillig diese Uniform vorzuführen und in ihrem Tornister den Explosivstoff zu tragen, der Hitler und sie selber in die Luft sprengen sollte. Einer dieser jungen Offiziere war der Sohn von Ewald von Kleist, ein bekannter Antinazi-Konservativer, der, damals zwanzigjährig, sich mit dem Einverständnis seines Vaters opfern wollte. Weitgehende Vorbereitungen waren getroffen. Aber ein Luftangriff kam dazwischen, und die Vorführung wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Der junge Kleist lebt noch; sein Vater wurde hingerichtet.
Dies war der letzte nachweisliche Versuch bis zum 20. Juli 1944. Jeden Moment wurde es schwerer, an Hitler heranzukommen, und unglaubliche Vorkehrungen wurden getroffen, ausschließlich die allerzuverlässigsten Nazi an ihn heranzulassen.