Bevor ich im Jahre 1984 meinem Mann vom Kanton Schaffhausen in den Kanton Basel-Stadt nachfolgte, um mich mit ihm dort niederzulassen, eignete ich mich ein großes Wissen über meinen künftigen Wohnort an. Ich las etliche Biographien bedeutsamer Männer, die in Basel gelebt und gewirkt hatten, und gar manches Werk von ihnen, um, wie ich vermeinte, dadurch meine Allgemeinbildung zu vergrößern und gut auf den Umzug vorbereitet zu sein. Da ich damals schon eine gefräßige Leseratte war, ging ich abends nicht eher zu Bett, bevor ich hundert Seiten eines Buches gelesen und begriffen hatte, und da die Planung des Umzugs mehr als ein Jahr dauerte, fraß ich mich lesend durch viele Bücher hindurch. Von Jacob Burckhardt, Friedrich Nietzsche und Isaak Iselin kannte ich bereits damals das meiste, und nur das wenigste von einem Dutzend anderer Riesengeister war mir fremd.
Mir war also die gegenseitige Abneigung der Zürcher und Basler nicht unbekannt; denn sonst hätte ich Hans-Peter Bärtschis Buch mit dem langatmigen Titel: „Industrialisierung, Eisenbahnschlachten und Städtebau – Die Entwicklung des Zürcher Industrie- und Arbeiterstadtteils Aussersihl. Ein vergleichender Beitrag zur Architektur- und Technikgeschichte“ als ehemals in Zürich Wohnhafte gründlich mißverstanden.
Was nun die verschiedenen Erscheinungsarten der Abneigung betrifft, übergehe ich das Familiäre (denn darüber, weshalb der Bruder der Schwester das größere Butterbrot mißgönnt, nur weil er kleiner ist als sie – oder sie größer als er –, lasse ich mich nicht aus) und komme gleich auf die Nachbarschaft zu sprechen. An keinem Ort auf der Erde spürte ich mehr Abneigung als in Basel. Ein Angestellter der Firma Sandoz fühlte sich besser als ein Angestellter der Firma Ciba-Geigy, und umgekehrt; und besser noch als jene kamen sich die Angestellten der Firma F. Hoffmann-La Roche vor. Daher mieden sie allesamt einander, wann immer es nur möglich war, und verkehrten sie dennoch miteinander, dann insgeheim.
Der „Bach“, wie der Rhein zu Basel von den Basler genannt wird, trennt die Kleinbasler von den Großbaslern. Daß sich die Großbasler besser dünken als die Kleinbasler, scheint mir der Erwähnung wert zu sein. Eine alteingesessene uralte Großbaslerin brüstete sich damit, Zeit ihres Lebens noch nie das Mindere Basel betreten zu haben. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte man das hölzerne Provisorium der Mittlere Brücke belassen können bis zum Tag, an dem es vor Fäulnis zerbricht und fortgeschwemmt wird.
Dann gibt es noch die Baselstädter, die auf dem Bruderholz wohnen und auf die Großbasler herabschauen können. Manche von ihnen gehören zum [Links nur für registrierte Nutzer] dessen Ingredienzen mir als Zugewanderten unbekannt sind. Was viele Baselstädter eint, ist die Verachtung gegenüber den Baselbietern, den Langschäftlern, den Bauerntrotteln. Keiner beschrieb das besser als der sprachgewandte [Links nur für registrierte Nutzer]! Und da ich soeben einen Welschen genannt habe, verliere ich noch ein Wort über die „Waggis“. Vor langer, langer Zeit, als die Stadt Basel noch hübsch ummauert war, gewährte man den Elsässer Bauern vormittags Einlaß durchs Spalentor, damit sie ihre Früchte und ihr Gemüse, das sie auf Wägen (daher ihr Name) heranführten, auf dem Marktpatz verkaufen konnten. Der Meinung nicht weniger Baselstädter gebührt den Waggis nichts als die reine Verachtung. Anders können diese nicht angemessen gewürdigt werden.
Die Frage, wer denn aus der Sicht eines stolzen gebürtigen Baslers in der Achtung tiefer liegt – ein Schwoob oder Waggis –, soll das Bild eines Schwöblis beantworten:
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Dennoch: Nirgendwo auf der Erdkugel begegnete ich gebildeteren, verständnisvolleren, einfühlsameren, herzlicheren, großzügigeren und humorvolleren Menschen als im Kanton Basel-Stadt.