Ich habe mir diesen Titel, sie verzeiht mir das hoffentlich, von Leila geliehen.

Wir haben, wenn man so will, eine Schere im Kopf. Sie zensiert, sie zerstört, was zerstört gehört. Doch wie können wir sie loswerden, mag man fragen? Doch die meisten wollen sie gar nicht loswerden. Die innere Selbstzensur ist das Ich, was wir kennen; was ist da, wenn wir uns nicht mehr selbst zensieren? Gähnende Leere, Abgrund, Verwirrung, Verirrung. Erkenntnis, endlich. Doch nur der sowieso schon Irrende sucht nach Erkenntnis, denn warum sollte der, der zufrieden ist in seiner Existenz, nach Erleuchtung dürsten?

So also schneidet sie, die Zensur im inneren Geiste. Obgleich unser Kopf häufig lange um das gleiche Thema kreist, so wollen wir nicht wahrhaben, dass wir mit diesem Thema ein Problem haben, und statt des Eingeständnisses an uns selbst kommt die innere Selbstzensur zum Tragen, das Problem wird, bis der Trigger wieder weg ist, ertragen, und alles in allem kommen wir sehr einfach weg, wie Kohl: Durch Aussitzen.

Eine gute Strategie, solange sie funktioniert. Probleme müssen nicht gelöst werden, außer sie werden zu dringlich. Die Schere im Kopf bewahrt uns davor, jedes Problem angehen zu müssen, so irrelevant es auch sein mag. Sie hilft uns, zu verdrängen, sie hilft uns, weg zu schieben, was uns nicht passt, damit wir uns so sehen können, wie wir uns sehen möchten, und nicht so sehen müssen, wie wir in Wahrheit sind.

Die Schere, sie hilft uns. Sie verdrängt die gähnende Leere, sie verschiebt die Wahrheit, sie gibt uns die Illusion, sie hilft uns, zu vergessen, was wir nicht wissen wollen, weil wir glauben, es nicht wissen zu dürfen, und wer wäre da ein besserer Referenzpunkt als wir selbst, was wir dürfen oder nicht - unsere Eltern sind Teile von uns, sind wir Erwachsene, also haben wir niemanden, auf den wir uns berufen können, außer uns selbst, und doch tun wir es jeden Tag.

Wir beschneiden uns selbst, um der Liebe Willen. Seid froh über eure Scheren, meine Freunde. Sie bewahren uns vor dem Wahnsinn.

Jeden Tag müssen wir entscheiden; Brot oder Brötchen, kaffee oder Tee. Jede Entscheidung ist wichtig, doch können wir von keiner Entscheidung wirklich determinieren, wozu sie noch führen wird, noch führen könnte; doch niemanden macht das verrückt außer die Verrückten, wie kommt das bloß? Die innere Selbstzensur verdrängt das einfach, sagt einfach: Gut, hier ist jetzt Schluss, hier kommt jetzt das Brötchen, egal, ob wir 13 Kilogramm Übergewicht haben, zum Überleben ist es notwendig, dass wir allgemein essen, egal, was weiterhin passiert, egal.

Doch ist es wirklich egal? Dann wäre alles egal, nach logischen Gesichtspunkten, doch ist es das offensichtlich nicht; ist aber nicht alles egal, so ist jede einzelne Entscheidung so wichtig wie jede, und alles relevant wie das nächste.

Die Zigarette, wer weiß schon, warum man sie wirklich raucht? Mechanismen im Gehirn, die keiner durchschaut, die aber trotzdem irgendwie gerechtfertigt werden müssen - ich mag's halt, sagt der eine, doch tut er's eigentlich nicht, ist sich selbst nicht sicher, warum. Der Sinn des Lebens sei Leben, sagen die anderen, doch wie sollen sie das wissen? Wie kann man auf etwas, auf das es in dem Moment keine Antwort gibt, eine Antwort geben, statt zu sagen: Ich weiß nicht? Das geht nicht an; denn die anderen scheinen zu wissen, und wir müssen so tun als ob. Wir tun als ob wir wüssten, Wissende wären, in einem Leben voller Unwissen, voller Zweifel, voller Glauben.

Doch Eingestehen, wie sollten wir uns das? Wir müssen ja sagen: Ich weiß. Täten wir das, das Eingestehen, wer wären wir? Wir könnten keine Entscheidungen mehr treffen, die im Einklang wären mit unseren Idealen, unseren Prinzipien, und wenn wir uns alle nach Popperschen Rationalismus richten würden, was wäre dann? Die Prinzipien und Ideale ließen sich ja schlichtweg nicht mehr halten, denn immer müssten wir weiterfragen: Warum?

Schlau zu sein ist eine Dummheit; dumm zu sein ist überaus schlau. Nur wer wirklich dumm ist, kann die Welt verstehen, er sagt: 'Ist halt so'; und trifft's damit auf den Punkt. Das warum können wir ja sowieso nicht beantworten. Doch auszuhalten, in einer Welt, wo das höhchste Ideal ist, das Warum zu kennen, das Warum nicht kennen zu können, das zerreißt den Denker.

Bis in den Wahnsinn.

Denn: Wenn wir das 'Ist halt so' als Erklärung nehmen, so der Denker, warum dann überhaupt noch etwas tun? Warum nicht nackt über den Marktplatz laufen und brüllen wie ein abgestochenes Schwein? Der Wille hindert; doch warum hindert der Wille? Er will weiter wissen, obwohl er nichts weiß. Armer Irrer.

Er erkennt einfache Wahrheit nicht: Er will das doch gar nicht. Und wenn er's will, dann weil er verrückt ist; das muss er wohl akzeptieren. Doch ist er's gern, lieber verrückt als normal. Da darf man wenigstens tun, was man will, so denkt er. Ob das der Sinn ist?

Der Grund liegt tief und dümpelt vor sich hin. Die Wahrheit ist einfach und schwer zu gleich. Der Sinn des ganzen ergibt Sinn am Ende; doch insgesamt ist er sinnlos. Wir sind nicht hier, um etwas zu tun, oder doch? Sind wir hier, um etwas zu tun? Warum sind wir hier, ruft der Denker, unwissend, fragend, zweifelnd. Weil wir hier sind, sagt die Erklärung, aber Zirkelschlüsse mag der Denker überhaupt nicht. Wer einen Grund für seine Existenz braucht, der gibt sich nicht zufrieden.

Gott will's, ruft der eine. Was ist Gott, fragt der Denker, unwissend, und erhält tausend Antworten, doch nicht eine, die ihm weiterhilft, und: Warum will Gott das? Weiß niemand ebenso; Gottes Wege seien unergründlich, so die Antwort, doch das hilft ihm gar nicht.

Fast am Ende denkt er nach, fängt laut an zu lachen, und schalt sich einen Narren: Der dümmste ist der schlauste, logischerweise, das Genie der Idiot. Lebendig tot. Wozu dann sterben? Doch warum leben?

Die Schere hat zuviel geschnitten; nun ist sie stumpf und unbrauchbar. Der Denker braucht Hilfe von außen, damit er nicht brabbelnd sitzt und sich in Zirkelschlüssen verheddert. Er ist ein Idiot; warum hat er nicht auf die anderen gehört, die ihm immer wieder sagten, er solle ablassen von seiner Suche nach Sinn, sich mit dem Zufriedengeben, was er hat. Das geht nicht an, meint der Denker. Es muss Sinn geben, so sein Credo. Sein Hirn sagt ja. Wahnsinn gibt es. Er glaubte, den Weg gehen zu können, der ihn führt zum Grund; geirrt hat er sich eventuell, er weiß es nicht, er hofft, er kann weiter gehen, hat immer noch nicht genug, weil er ein Idiot ist, der nicht genug kriegen kann, weil er ein Depp ist, der immer weiter machen muss.

So seht ihn ziehen, den Deppen. Seht ihn ziehen. Die Suche hat ihn kaputt gemacht, und er entscheidet sich fürs Weitersuchen; ob die Suche ihn heilen kann, wer weiß.

von einem Suchenden