Das erste Opfer ist die Wahrheit: Kriegsberichterstattung unter Beschuss
Trotz der Revolution im Bereich der Kommunikationstechnologie war der Kosovo-Krieg ein Desaster für den Journalismus. Es ist über ein Jahr her, dass die NATO mit ihren drei Monate dauernden Luftangriffen begann und versuchte, die serbische Aggression im Kosovo zu beenden. Am Vorabend des ersten Jahrestages sprach der Journalist und Historiker Phillip Knightley in London vor dem Freedom Forum, einer unparteiischen internationalen Stiftung, die sich der freien Presse und freien Meinungsäußerung verschrieben hat. Die Übersetzung der Abschrift des Vortrags stammt von Dirk Eckert. Knightley war von 1965 bis 1982 Sonderkorrespondent für die Sunday Times in London. Sein mit Preisen ausgezeichnetes Buch über Kriegsberichterstattung, erstmals 1975 veröffentlicht, trug viel zur Entromantisierung der Kriegsberichterstattung bei. Eine Neuauflage des Buches wurde jüngst unter dem Titel "Das erste Opfer: Der Kriegsberichterstatter als Held und Produzent von Mythen, von der Krim bis Kosovo" von Proin Books in London veröffentlicht
Ich möchte Ihnen berichten, was mich dazu brachte, "Das erste Opfer" zu schreiben, wie es meiner Meinung nach der Kriegsberichterstattung in den letzten Jahren ergangen ist, Ihnen schließlich meine düstere Einschätzung der Zukunft mitteilen und was - vielleicht - dagegen getan werden könnte. Die Idee zu einem Buch über die Geschichte der Kriegsberichterstatter kam von Ronald Whiting, einem britischen Verleger, der 500 Pfund bezahlte, dann aber - wie so viele Verleger vor ihm - bankrott ging, bevor ich liefern konnte.
Das Thema war, wie mutige und abenteuerlustige Reporter über die Jahrhunderte hinweg auszogen und ihr Leben aufs Spiel setzten, um die Neuigkeiten des Krieges dem zeitungslesenden Publikum zu Hause zu berichten. Es sollte eine Buch über Helden werden. Vier Jahre war ich bereits mit dem Buch beschäftigt, als mir dämmerte, dass ich das Thema nicht länger durchhalten konnte. Ein wesentlicher Teil jedes Kapitels musste eine Darstellung des Krieges sein, über den die Kriegsberichterstatter berichteten. Also fing ich an, indem ich die besten, gerade verfassten Geschichtsbücher über jeden Krieg las, und dann die zeitgenössischen Berichte, die die Kriegsberichterstatter zu der Zeit geschrieben hatten. Und natürlich entdeckte ich, dass das, was die Kriegsberichterstatter geschrieben hatten, in den meisten Fällen wenig oder keine Beziehung zu dem hatte, was wirklich geschehen war. Kaum einer lag richtig. Es gab Ausnahmen, wie William Howard Russell im Krim-Krieg, Herbert Matthews im Spanischen Bürgerkrieg, James Cameron in Korea. Aber die übrigen wurden - besonders in Kriegen, an denen ihr eigenes Land beteiligt war - Opfer von Propaganda, Zensur, militärischer Feindschaft, ihren eigenen kulturellen Vorstellungen, ihrem Herdentrieb, dem Druck ihrer Herausgeber und den allgemeinen Vorurteilen des Tages.
So nahm das Buch einen völlig anderen Charakter an. Als es 1975 zum ersten Mal erschien, endete es mit dem Krieg in Vietnam. Nach dem Krieg um die Falklandinseln habe ich es aktualisiert, weil mir schien, dass der Falkland-Krieg einen Punkt markiert, an dem sich das Militär von seiner Niederlage in Vietnam erholt hatte. Es begann, seine Dominanz über die Medien, die es seit eh und je innehatte, wieder auszuüben. Als ich das Buch für die Neuauflage nochmals las, entschloss ich mich, einige Schlussfolgerungen zu ziehen, die auf jeden Krieg zuzutreffen zu scheinen, seit Kriegsberichterstatter dabei sind:
1. Jede Regierung will in Kriegszeiten die Medien kontrollieren, um die öffentliche Unterstützung für ihre Kriegsziele sicherzustellen.
2. Wenn nötig, belügt die Regierung die Medien, um diese Kontrolle zu erzielen.
3. Viele Kriegsberichterstatter schließen sich diesen Lügen aus Patriotismus, persönlicher Überzeugung oder Ehrgeiz an.
4. Die Medienbosse schließen sich diesen Lügen ebenfalls an, weil sie - selbst in Kriegen, in die ihr eigenes Land nicht verwickelt ist - gewöhnlich davon ausgehen, dass es ihren kommerziellen Interessen am Besten gedient ist, wenn sie die gerade amtierende Regierung unterstützen.
5. Wenn die Regierungskontrolle über die Medien nicht zu funktionieren scheint, wendet sich die Regierung über die Köpfe der Kriegsberichterstatter hinweg direkt an ihr Volk - mittels "Spin Doctors", professionellen Propagandisten und Public-Relation-Gurus, um die öffentliche Meinung zu manipulieren.
Nachdem ich diese Schlussfolgerungen aufgelistet hatte, wurde mir klar, dass es möglich sein müsste, vom ersten Tag eines Konflikts an in groben Zügen vorherzusagen, wie über den Krieg berichtet wird. Ich habe das getestet und zu meiner Befriedigung sowohl im Golf-Krieg als auch im Kosovo unter Beweis gestellt. Hier sind die Vorhersagen:
1. Obwohl das Recht selten auf einer Seite ist, werden die Medien diesen Krieg in den schillernden Kategorien von gut und böse darstellen.
2. Die böse Seite wird dämonisiert, ihr Führer als verrückt, blutrünstig und unmenschlich dargestellt, als ein moderner Hitler.
3. Die gute Seite wird als Retterin der Zivilisation dargestellt, humanitär, voll Sorge und Mitleid, durch die Barbarei der anderen Seite gezwungen zu handeln.
4. Ungeachtet der Tatsache, dass es in allen Kriegen Gräueltaten auf allen Seiten gibt, werden alte Geschichten über Gräueltaten entstaubt und recycelt.
Einige treffen zu, einige sind falsch, und es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, während der Krieg noch im Gange ist, herauszufinden, welche wahr und welche Propaganda sind. Obwohl nach dem Krieg einige Geschichten über Gräueltaten bestätigt werden, werden viele der haarsträubendsten Geschichten nach dem Krieg wieder zurückgenommen.
Die meisten Berichterstatter zu fast allen Zeiten waren entweder Komplizen bei der Darstellung des Krieges in der Art und Weise, wie ich es beschrieben habe, oder waren aus vielen Gründen gezwungen, sich der Mehrheit anzuschließen. Das trifft besonders auf Kriege zu, in die ihr eigenes Land involviert ist. Eine Rechtfertigung - eine verständliche - gab Max Hasting, der Vater des Londoner Zeitungsherausgebers, ein bekannter Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg: "Wenn die eigene Nation im Krieg ist, wird Berichterstattung eine Erweiterung der Kriegsanstrengungen." Er fügte hinzu, dass die Objektivität wieder in Mode kommen kann, wenn das Schießen vorbei ist.
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