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Dem Mann, der in Bitterfeld zusteigt, bleibt nur ein Sitz in der Zugluft. Ein paar Kilometer hält er durch, fröstelt mitleiderregend vor sich hin. Dann bittet er die Mitreisende, in ihrer Nische Platz nehmen zu dürfen.

Vielleicht ist es seine Art, einem schnurgerade in die Augen zu sehen, vielleicht seine Basketballerstatur; oder die Weise, wie er zwischen Anmache und Zurückhaltung kokettiert - irgendwo hinter Königs Wusterhausen hat sich die Thüringerin jedenfalls in ihre Reisebekanntschaft verliebt. Blind, wie es so schön heißt; denn das einzige, was die Frau auf den ersten Blick nicht bewußt registriert, ist die Hautfarbe ihres Gegenübers: Der Kubaner Jose Coroneaux ist schwarz.

Die Widerstände der geschlossenen DDR-Gesellschaft gegen so eine Verbindung - Ausweisung, Verweigerung der Heiratserlaubnis, wieder Ausweisung - hat das binationale Liebespaar überwunden. 1987, sechs Jahre nach der gemeinsamen Zugfahrt, wurde Sohn Oliver geboren, 1988 geheiratet.

Doch seit kurzem gibt es den Jose aus der Reichsbahn nicht mehr. Das große Deutschland hat den sanften Riesen krankgemacht, die schwarz-weiße Familie beinahe zerstört. Mit dem neuen Leitspruch: "Einer gegen alle, alle gegen einen" kam der Castro-Schüler nicht zurecht. Sein Job als Dolmetscher an der Universität wurde eingespart. In Lokale geht die Familie nur noch äußerst ungern - als eine Gruppe Skinheads das Ehepaar neulich überfiel, hatte es Glück, daß Freunde halfen.

Der Wandel von der verordneten Brüderlichkeit zum offenen Fremdenhaß hat aus dem zu DDR-Zeiten willkommenen Exoten ein Ausländermonster gemacht - eine Zwangsverwandlung, die den schönen Fremden buchstäblich außer sich geraten ließ: Mit einer schizophrenen Psychose kam Jose ins Krankenhaus, eine Lungenentzündung schwächte ihn beinahe zu Tode. Auf der Intensivstation beschloß das Ehepaar, dem Druck von außen noch einmal mit aller Kraft zu trotzen.
Im freien Westen lernen Paare aus verschiedenen Gesellschaften vom ersten Rendezvous an, sich gegen Anfeindung und Verfolgung zu panzern. Als die Studentin Barbara zur Weihnachtszeit 1971 ihre Eltern bittet, mit einem nigerianischen Kommilitonen ausgehen zu dürfen, befiehlt der Vater bündig: "Mir kommt kein Neger ins Haus."

In den Jahren bis zu Barbara und Chima Ojis Eheschließung 1976 blieb der Freundin des Afrikaners kein Versuch erspart, sie von der Mesalliance abzubringen. Ihre Mutter geriet wegen "der Schande" in Panik, die "der Neger" in ihrer westfälischen Nachbarschaft über die ganze Familie bringen werde. Irgendwann bliebe ihre Barbara sitzen, womöglich mit einem Mischlingskind, und "kein anständiger deutscher Mann" wolle mit so "einer Negerhure" dann mehr zu tun haben.
Ja, so lief das anno 93
da kündigte sich das rot grüne Blättchen schon die Verne***ung der weißen Welt an.