Wie rechts darf ein Lehrer sein?
Seit drei Jahren kämpft der Berliner Lehrer Karl-Heinz Schmick um seine Existenz: Aufgebrachte Eltern halten ihn für einen Nazi und haben für seine Suspendierung gesorgt - sogar Bundespräsident Rau, die Kirchen und der TV-Star Günther Jauch wurden eingeschaltet. Von Ullrich Fichtner
Jemand musste Karl-Heinz Schmick verleumdet haben, denn am Morgen des 4. Dezember 2000 wurde er von der "Bild"-Zeitung aus dem Haus geklingelt, die Hunde spielten verrückt, die Reporter an der Gartentür sagten, dass gegen ihn ermittelt werde. Sie machten Fotos, sie fragten, was an den Vorwürfen dran sei. Ob er, Schmick, im Unterricht die Geschichte fälsche? Ob er seine Schüler über Auschwitz belüge? Ob er, Hand aufs Herz, ein Nazi sei?
Karl-Heinz Schmick, Studienrat, 51 Jahre alt damals, seit 19 Jahren Beamter auf Lebenszeit, ledig, kinderlos, vier Hunde, ein dünner Mann mit dicker Brille, die wenigen Haare vom linken Ohr weg über den Kopf gekämmt, er war schon vor jenem 4. Dezember, in diesem wilden Jahr 2000, an Ärger und Attacken jeder Art gewöhnt.
Aber an diesem Wintertag, die "Bild"-Zeitung im Vorgarten, bekam es Schmick mit der Angst zu tun. Von nun an, er konnte es spüren, er konnte es lesen in allen Berliner Zeitungen, ging es um seine Existenz. Er fühlte sich, sagt er, "mit einem Mal gehetzt wie Lady Di".
Die Akte Schmick hatte damals schon gut 100 Seiten, formlose "Vorermittlungen", gesammelt im Rechtsreferat ZS E des Berliner Landesschulamts unter dem Zeichen 412 D 119/00. Sie war noch lange nicht der schwere Turm aus Papier, der sie heute ist, 2000 Blatt in fünf Leitz-Ordnern und neun ausgebeulten Hängekladden, 2000 Seiten Vernehmungsprotokolle, Gerichtsurteile, Vorladungen, Gutachten, Telefonvermerke, Geheimbriefe, Presseausrisse - ein gewaltiges deutsches Dokument.
In den nächsten Tagen wuchs es um einen ganzen Schwung neuer Presseberichte: "Unser Lehrer - rechtsradikal?", "Lehrer als Rechtsextremist verdächtigt", "Schleppende Ermittlungen gegen Lehrer S.". Schmick hat Glück, wenn sein Name nur abgekürzt gedruckt und er nicht im Bild gezeigt wird.
Aber die "Bild"-Zeitung bringt ein großes Foto von ihm, an der Gartentür, und schreibt in fetter Schrift dazu, mit Pfeil: "Protest-Aktion gegen diesen Berliner Lehrer". Schmick steht, spätestens am Nikolaustag 2000, vor aller Welt als mutmaßlicher Neonazi da.
Am 7. Dezember bekommt er, per Fax und per Post mit Zustellungsurkunde, einen Brief des Landesschulamts, "Betr.: Freistellung vom Dienst". Aus ihm erfährt Schmick offiziell, dass von Amtsseite gegen ihn ermittelt werde. Dass er "aus fürsorgerischen Gründen" mit sofortiger Wirkung und bis zur Entscheidung "über die Verhängung eines Verbots der Amtsausübung" suspendiert sei.
Der Berliner Schulamtsleiter Pieper, der "hochachtungsvoll" verbleibt, macht Schmick mit einem ersten Katalog konkreter Vorwürfe bekannt, es wird im Lauf der Jahre viele Varianten dieser Liste geben. Die allererste ist eine bunte Mixtur übler Nachreden. Petitessen dabei, haltlose Elternbeschwerden, aber auch die Auschwitz-Leugnung, dazu die "Banalisierung von Mordvorgängen" und ein Fall von angeblicher Übernahme "nationalsozialistischer Propaganda".
Schwer zu sagen, wann genau Schmicks Fall wirklich beginnt. Die ältesten Vorwürfe, die im Lauf der Jahre von Ämtern und Eltern zusammengetragen werden, stammen von 1989, als sich Schmick gegen die Umbenennung der Tannenberg-Oberschule in Willi-Graf-Oberschule wehrte.
Der Streit damals gibt im Grunde schon die Tonart für alles Weitere vor, er erzählt vom Elend deutscher Geschichtsdebatten, aber auch von Schmicks fiebriger Lust an ihnen. Es ging damals nicht darum, sagt Schmick, und Kollegen bestätigen es ihm, dass er etwas gegen Willi Graf gehabt hätte, einen Widerstandskämpfer der ruhmreichen "Weißen Rose".
Aber Schmick war trotzdem gegen die Umbenennung, weil er weiterhin für Tannenberg war, für den alten, verblassenden Namen, der an jene siegreiche deutsche Schlacht im Ersten Weltkrieg erinnerte. Er war dagegen, weil eben auch der Erste Weltkrieg zur deutschen Geschichte gehöre und weil auch die Benennung von Gymnasien nach Tannenberg zur deutschen Geschichte gehöre und weil überhaupt die deutsche Geschichte größer sei und länger dauere als von 1933 bis 1945.
Der Rummel, den es damals gab, kostete Schmick zum ersten Mal den Job. Er wurde - weil er nicht klein beigab, weil er, im Gegenteil, die Lehrergewerkschaft GEW und die SPD für banales, borniertes Linkssein attackierte, weil er das Lehrerkollegium spaltete, weil er mit Schülern in der Aula eine Riesenausstellung über Tannenberg organisierte, weil er also den Schulfrieden störte - strafversetzt.
Gymnasium Steglitz, dunkler Backstein, humanistische Ausrichtung. Schmicks neue Dienststelle gilt als eines der besten Gymnasien Berlins. Aber Schmick wird nicht befördert; er wird abgeschoben. Und es bleibt an ihm - das ist wichtig, um die Mechanik seines Falls zu verstehen - vor allem hängen, dass er etwas gegen die "Weiße Rose" habe; und womöglich auch sonst "ein Problem" mit dem Dritten Reich.
Die Versetzung von der Tannenberg-Schule hat Schmick, man spürt das beim Reden, nie ganz verwunden. Er fühlte sich ungerecht behandelt. Er, nicht seine Feinde, war doch in Sachen Tannenberg der wahre Anwalt der Geschichte. Sie, nicht er, waren doch die wahren Ideologen.
Schmick schob seinen neuen Dienst in Steglitz unbeanstandet, er lehrte, was er gelernt hatte. Geschichte, Erdkunde, PW, das heißt: Politische Weltkunde. Nebenbei übernahm er Vertretungen in Sport, betrieb eine Handball AG, engagierte sich gut. Schulleiter Gey hat jahrelang keinerlei Probleme mit dem Neuen, lobt ihn sogar für seine vielseitige Einsatzbereitschaft.
Im Steglitzer Lehrerzimmer wird Schmick von den Kollegen durchaus geschätzt. Sie lernen "Kalle" Schmick kennen als ebenso freundlich wie sonderbar, so hilfsbereit wie schrullig.
Schmick ist ein schräger Vogel, eine wandelnde Karikatur des ewigen Junggesellen, der unter räudig-braunen Wollpullovern blau-grüne Holzfällerhemden trägt.
Seine vier Hunde zu Hause, alles Beagle - Oswald, Pluto, Asta, Ella - hat er aus Tierversuchslaboren herausgekauft. Sein Auto, feuerrot, ist ein 15 Jahre altes Sportcoupé, Toyota MR2, im Heckfenster bekennen Aufkleber Schmicks Liebe zu Preußen, zu Berlin, zu Brandenburg.
Ein bloß possierlicher Sonderling ist Schmick aber trotzdem nicht. In Diskussionen erleben ihn Lehrer und Schüler auch hochfahrend, rechthaberisch, fuchtelnd. Er kann geifern wie ein Fanatiker. Und alles will er immer bis zum Ende ausfechten, auf Biegen und Brechen. Seine Briefe unterschreibt er in gewittrigen Buchstaben, und nie verbleibt er ohne den Zusatz "M. A. - Studienrat".
Schmick kann geifern wie ein Fanatiker. Seine Schüler sagen: "Der ist CDU", "ein Schwarzer halt". Von "braun" ist nie die Rede.
Magister Schmick. Die Schüler an der Steglitzer Heesestraße wissen bald, dass er ein Konservativer ist, ein Rechter, wie Schüler das so sagen: "Der Schmick ist rechts", "Der ist CDU", "ein Schwarzer halt". Von "braun" ist nie die Rede. Auch von Neonazi nicht. Diese Keule trifft ihn erst viel später. Die Schüler erzählen von Schmick, dass er sie überfordere, dass er im Klassenzimmer Universität spiele, dass er schon die Kinder zum eigenständigen Mitschreiben zwinge. Schmick scheint eine schwache Autorität zu sein, er kann sich nicht gut durchsetzen. Die Schüler erzählen, dass in seinen Stunden alle durcheinander schnattern, und dass er dann manchmal in eine Trillerpfeife bläst, um Frieden zu erzwingen. Sie erzählen auch, dass er ein Sprücheklopfer ist, der zur Auflockerung müde Witzchen reißt, ranzige Sachen nach der Art: "Wie lang muss die Kette einer Frau sein? Ganz einfach: von der Küche bis ins Schlafzimmer."
Darüber gähnen schon die Sechstklässler. Aber sie lachen auch, wenn Schmick sie "meine Erdnuckel" nennt, wenn er zu Schülern "Affe" sagt oder wenn er ein koreanisches Mädchen als "Korea-Import" aufruft. Es kommt bei solchen Sachen auf den Ton an. Die Schülerin, die Schmick "Korea-Import" nennt, findet gar nichts dabei. Er wird es trotzdem noch etliche Male vorgehalten bekommen.
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