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EM-INTERVIEW
Der Streit um den Gesichtsschleier ist vor allem ein Kampf um Symbole
Sowohl in Europa als auch in arabischen Ländern wird eifrig über Sinn und Unsinn des Gesichtsschleiers gestritten. Für den mauretanischen Religionshistoriker und Islamgelehrten Mohamed El-Moctar hat er mit dem Islam nichts zu tun.
Wo haben wir soviel Sand und Wüste, daß der Gesichtsschleier notwendig ist ? Vielleicht in Erwartung von Wüste - dann dauert das noch mal 10 000 Jahre....dann gibt es keinen Zweifel: Der Niqab ist absolut keine religiöse Pflicht. Gesichtsschleier waren in vorislamischer Zeit eine Sitte mancher Gesellschaften, in denen sich der Islam ausgebreitet hat – und zwar in jenen Gegenden, wo eine Gesichtsbedeckung wegen der Wüste und der Sonne einfach praktisch war. Man denke nur an die Tuareg in Nordafrika – und da sind es die Männer, die einen Gesichtsschleier tragen.
Eben. Es geht um`s Auffallen. Die Leute zu schocken - wenn man nichts anderes kann.In Katar fällt damit niemand auf, aber wer in einer deutschen Fußgängerzone die Aufmerksamkeit auf sich ziehen will, der braucht nur einen Gesichtsschleier zu tragen...
Und mit der Aufmerksamkeit beginnt das Hinterfragen. Auch eine Art von Missionierung.Aber man darf nicht vergessen, dass der Gesichtsschleier in den meisten islamischen Ländern nicht üblich ist. Ich komme selbst aus Mauretanien, einem sehr religiösen Land – aber das erste Mal, dass ich eine Frau mit Niqab gesehen habe war 1997 im Jemen! Dort ist das ganz normal, aber in Europa fällt es natürlich auf. Und grundsätzlich gilt im Islam: Niemand, egal ob Mann oder Frau, sollte Kleidung tragen, die stark vom Üblichen abweicht und besonders viel Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Nun ja - die Salafisten sind auch diejenigen, die besonders gern Aufmerksamkeit erheischen wollen. Nicht durch Leistung im Beruf - durch Aggressivität und durch besonders seltsames Erscheinen - und das wollen sie dann in ganz Europa als geltende Norm erreichen ?Ja, das stimmt. Und es zeigt, dass bestimmte Denkschulen innerhalb der islamischen Rechtssprechung immer mehr Einfluss gewinnen – insbesondere die Salafiten. Der Niqab ist ein Ausdruck davon.
Nicht mal die Römer haben so gesponnen :-)
Und das sollen wir uns gefallen lassen und einfach so hinnehmen ?Immer wenn Muslime in eine Krisenzeit geraten, wenden sie sich verstärkt der hanbalitischen Rechtsschule zu. Es war der französische Orientalist Henry Laoust, der das als erster so formuliert hat und ich denke, er hat Recht. Die Hanbaliten stehen für eine strenge, sehr wörtliche Interpretation des Islams. Und wenn die Zeichen der Zeit auf Krise und Verfall hindeuten, dann neigen religiöse Menschen oft dazu, in den legalistischen, rein formalen Aspekten der Religion Zuflucht zu suchen. - Regeln werden dann wichtiger als die Essenz des Glaubens, Äußerlichkeiten wichtiger als Ethik.
Stimmt. Da kommt zur Zeit so vieles zusammen, daß man sich nicht auf alles mit der gebührenden Sorgfalt konzentrieren kann. Und dann schleichen sie sich ein und möchten unsere Gesellschaft verändern - mit gravierenden nachteiligen Folgen.Muslime stecken in einer Identitätskrise – und die europäischen Gesellschaften ebenfalls.
Denn eine Gesellschaft ohne Zugkraft, ohne Motor - das wären sie ja dann - würden wir auch den Bach runter gehen. Sie leben doch eh nur für`s Jenseits.
Das Problem beginnt da, wo versucht wird, Menschen auf eine einzige Gruppenzugehörigkeit zu reduzieren.
EM: Ist das etwas, was die Salafiten versuchen?War eigentlich immer unsere Rede.Salafitisches Denken ist nicht die Art von Denken, die der islamischen Welt helfen würde, sich zu weiterzuentwickeln.
Da braucht man nur unsere Politiker anzuschauen - die wissen scheinbar auch nicht mehr, wofür sich sie sich einsetzen.Die Muslime werden zunehmend starrer im Denken, weniger offen, weniger selbstbewusst. Ich denke, solche Mechanismen sind überall dort zu beobachten, wo sich eine Gemeinschaft von Menschen angegriffen und bedroht fühlt.
Leider lassen sich die Politiker davon beeinflussen - sie gestatten alles - ohne die eigene Identität unserer Kultur zu bewahren. Da müssen uns erstUnd in der islamischen Welt wiederum fühlen sich die Menschen in jeder Hinsicht bedroht. Der Niqab ist ein Ausdruck davon.
muslimische Kritiker darauf hinweisen wie Tibi. Oder andere. Gibt noch einen Tibi. In der Politik.
Sie führt dazu, dass auch Muslime, die eigentlich gar nichts vom Niqab halten, sich mit den Frauen solidarisieren, weil sie solche Gesetzte nur als einen weiteren Beweis für den Hass des Westens auf den Islam auffassen.Wir lehnen sie ab und sie kommen uns auch nicht entgegen - zu Diskussionen - die Lage würde sich verhärten.EM: Aber was würden Sie muslimischen Frauen in westlichen Ländern sagen, die darauf bestehen, den Niqab zu tragen? Niqabi-Foren im Internet sind voll solcher Statements.
Leider sind manche deutsche Frauen, wenn sie zu den Gutmenschen gehören, dazu geneigt, den Tag der Solidarität mit Kopftuchfrauen einzuführen, indem sie an dem Tag alle Kopftuch tragen und damit ergeben sie sich bereits, finde ich.
Wir sollten vielleicht mal nach deutscher Art - Knoten unter dem Kinn - oder mal spaßeshalber wie unsere Trümmerfrauen das Kopftuch tragen.
Die mußten sich in dieser harten Zeit wirklich vor Staub und Schmutz schützen. :-)
Vielleicht gehen wir dann mal alle auf unsere Art durch die Straßen. :-)
Teilweise hat er Recht, aber in allem stimme ich ihm nicht zu.Die wirkliche Gefahr aber liegt woanders: Der Westen und die islamische Welt führen einen Krieg über Symbole – statt jene wirklichen Probleme anzugehen, die das Leben vieler Menschen beeinträchtigen. Mit wirklichen Problemen meine ich etwa die weltweite Wirtschaftskrise oder die Tragödie des israelisch-palästinensischen Konflikts. Indem wir über Symbole streiten, lenken wir uns ab von all den Themen, auf die es ankommt.