Mit ihren neuen Heile-Welt-Serien beweisen ARD und ZDF, dass sie noch weit dümmeres Fernsehen machen können, als die meisten Privatsender es je wagen würden.

Wenn ARD-Programmdirektor Günter Struve in einer Telenovela mitspielen müsste, dann wohl am ehesten in der Rolle des herzenswarmen Gutsdirektors, Abteilung schläfrige Altersmilde.



Es ist Montagnachmittag, und er drückt sich mit halb geschlossenen Lidern in die Sitzecke seines Büros über den Dächern Münchens. Neben ihm steht eine Gegensprechanlage aus dem Holozän der Technikgeschichte mit Mikrofon und Knöpfen. Wahrscheinlich könnte Struve da jetzt draufdrücken, um durch weltweit alle ARD-Büros zu schallen: "Hier spricht der Direktor. Hat eines meiner Schäfchen eine Idee?"

Im Kosmos eines Groschenromans kämen dann dienstbare Geister hereingeweht, wahlweise blondeste Töchter, alerte Demnächst-Schwiegersöhne oder wenigstens Anton, der Chauffeur. In der grauen ARD-Realität hat er das Knöpfedrücken aufgegeben. Und es kommt auch lediglich die nette Frau Maric, seine Sprecherin.

Struve ist sicher, dass Frau Maric in ihrer Freizeit nur cineastische Premiumware guckt und gute Bücher liest. Sie ist an diesem Nachmittag sein öffentlich-rechtliches ARD-Gewissen. Er schaut sie an. Dann lächelt er und sagt, dass Frau Maric das Thema Telenovela wohl eher zynisch sehe.

"Ich selbst habe diese bildungsbürgerlich-akademische Attitüde hinter mir gelassen. Das muss man auch, sonst würde man ja zynisch werden." Frau Maric ist jetzt schon ein einziges, chronisches Augenrollen, was angesichts des Sujets nicht weiter verwundert.

In den Entwicklungsländern Südamerikas sind Telenovelas seit Jahrzehnten ein Riesengeschäft. Nun kommen die billig und seriell produzierten TV-Kitschromane mit den immer gleichen Aschenbrödel-Geschichten auch machtvoll über Deutschland - und sogar in die ARD: Unschuldige Landmaus verliebt sich in reichen Sohn/Erben/Chef aus gutem Haus. Irrungen, Intrigen, finale Hochzeit. So läuft das da.

Der Unterschied zur Seifenoper ist, dass die Telenovela um eine klar identifizierbare Hauptdarstellerin herumgehäkelt wird, garantiert ein Ende findet, ein glückliches obendrein, und dass es eigentlich nur einen Erzählstrang gibt. Das verwirrt die vorwiegend ältere Zuschauerschaft nicht allzu sehr.

Angefangen hat damit das ZDF, das Struve mit "Bianca - Wege zum Glück" seit November monatelang das morgendliche Studium seiner eigenen Quoten versaute. Bei Sat.1 startete im Frühjahr mit großem Erfolg die Mauerblümchen/Schöner-Schwan-Mutation "Verliebt in Berlin" rund um die Zahnspangen-Trutsche Lisa Plenske. Auch bei RTL liegen mehrere konkrete Projekte auf dem Tisch. Aber so konsequent und hemmungslos wie die Öffentlich-Rechtlichen wagt bislang kein Privatsender, die Kitschfenster sperrangelweit aufzureißen.

Das ZDF startet am 6. Oktober die "Bianca"-Nachfolgerin "Julia - Wege zum Glück" und will Anfang nächsten Jahres mit "Tessa - Leben für die Liebe" noch nachlegen. Struves ARD versucht es seit Anfang dieser Woche mit "Sturm der Liebe" und ab November obendrein mit "Sophie - Braut wider Willen", einem ins 19. Jahrhundert versetzten 30-Teiler, sehr blond besetzt mit dem Seifenopern-Ikönchen Yvonne Catterfeld.

Bis nächstes Jahr ist also mit mehr als einem halben Dutzend LisaTessaJulia-wider-Willen-verliebt-ins-Glück-Stürmen zu rechnen. Ist der Titel "Uschi - Leben wider Willen" schon geschützt? Man muss das jedenfalls mal gesehen haben, um es nicht zu glauben.

Laura aus "Sturm der Liebe" zum Beispiel ist eine zart-verbitterte Konditorin, die in Halle eher kleine Brötchen backte. Eigentlich wollte sie Lars heiraten, den sie aber kurz vor der Hochzeit mit Birgit erwischte, so dass Laura enttäuscht nach München flieht. Das verspricht Großstadt, Zukunft - und vor allem schönere Kulissen.

In Oberbayern plätschern prompt die Brünnlein und säfteln die Weiden, bis Laura in jedem Sinne des Wortes einem unbekannten Beau in die Hände fällt. Es folgt ein Nachmittag mit noch mehr Reh- bis Kuhaugenblicken, herzenden Spielen mit Salatköpfen auf dem Gemüsemarkt und einem finalen Kuss samt Versprechen, sich am nächsten Morgen wiederzutreffen.

Der junge Herr erscheint natürlich nicht. Laura fährt darob zerknirscht zu ihrer Freundin Tanja, die Putze im Nobelhotel "Fürstenhof" ist, wo Laura dann ihrem Traummann erneut begegnet: Er ist Erbe des Etablissements sowie hin- und hergerissen, weil einer anderen versprochen, was zu Verwicklungen für mindestens 100 Folgen genügen dürfte.

Dazwischen fallen Sätze wie: "Ich habe das Gefühl, dass wir uns schon ewig kennen." Oder: "Wenn du etwas nur stark genug willst, dann geschieht es auch." Komischerweise geht die ARD-Schmusenummer danach trotzdem weiter.

Die ZDF-Julias und ARD-Lauras sind absolut humor- und realitätsfreie Courths-Mahler-Zone. Die schier unerträgliche Seichtigkeit des Scheins ist die logische Konsequenz aus Karl Moik (im Ersten) und Pilcher-Verfilmungen (im Zweiten). Sie vermittelt ein Weltbild, das Frauen entweder als intrigante Schlampen oder verschreckte, aber patente Vorstadt-Küken präsentiert - in einer Welt, wo Gut und Böse, Oben und Unten noch klar getrennt sind. Und am Ende wird geheiratet. Immer.

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Es wird endlich Zeit, dass die Zwangsgebühren endlich abgeschafft werden.
Man könnte ARD und ZDF auch in etwas Premiere Ähnliches umwandeln.