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Die EZB hat den Leitzins überraschend auf das Rekordtief von 0,25 Prozent gesenkt. Die Börsen feiern den Schritt: Der Euro-Kurs sinkt, der Dax springt auf ein neues Hoch. Ökonomen zweifeln aber, ob die Entscheidung Europas Wirtschaft ankurbelt und die Inflation befeuert.



Hamburg - Die Deutschen haben vor allem eine Sorge: dass ihre Ersparnisse von einer Inflation aufgefressen werden. Die Erfahrungen aus der Weimarer Republik mit der Hyperinflation sind tief im kollektiven Bewusstsein verankert, lautet die Erklärung. Dann kam die Schuldenkrise - und die Europäische Zentralbank (EZB) überschüttete die europäischen Banken geradezu mit billigem Geld. Aus der deutschen Inflations-Sorge wurde eine regelrechte Inflations-Angst: Die Preise für die vermeintlich sicheren Anlagen - Gold und Immobilien - stiegen immer weiter. Und jetzt das: EZB-Präsident Mario Draghi senkt den Leitzins auf das nächste Rekordtief.




Er hat allerdings allen Grund dazu, denn er muss sich derzeit vor allem darum kümmern, dass die Euro-Zone nicht in eine Deflation fällt. Nicht steigende Preise bedrohen Europas Wirtschaft, sondern sinkende. Vor einer Woche gab das Statistikamt Eurostat die Inflationsrate für den Oktober bekannt: Die Teuerung betrug 0,7 Prozent, deutlich unter der von der EZB angestrebten Marke von stabilen Preisen bei rund zwei Prozent. "Die Null vor dem Komma war für alle eine große Überraschung, auch für die EZB", sagt der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding.

So niedrig war die Inflation seit 2009 nicht mehr, in südeuropäischen Krisenländern wie Zypern, Portugal oder Spanien lag die Rate bei nur 0,5 Prozent. In Griechenland sinken die Preise seit März sogar. Während Deutschland die Inflation fürchtet, zittert der Rest der Welt eher vor einer Deflation wie in Japan. Dort kommt die Wirtschaft seit Jahrzehnten nicht auf die Beine. Deflation heißt, dass die Preise in einer Volkswirtschaft über einen längeren Zeitraum in den wichtigsten Branchen stark sinken. Die Verbraucher verschieben Anschaffungen, weil sie auf niedrigere Preise setzen, die Unternehmen verdienen weniger, müssen ihren Mitarbeitern aber unverändert hohe Löhne zahlen.

Zeitpunkt der Zinsentscheidung überrascht Ökonomen

In der Euro-Zone kommt die Wirtschaft derzeit nicht in Schwung, und die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie noch nie. Die Reaktion der EZB mit der Leitzinssenkung auf den Rekordwert von 0,25 Prozent hat Ökonomen trotzdem erstaunt. Der Berenberg-Ökonom Schmieding zeigte sich vor allem überrascht von der Geschwindigkeit der Entscheidung - nur eine Woche nach Veröffentlichung der neuen Inflationsdaten: "Draghi hat gezeigt, dass er schnell handeln kann, wenn er ein Problem sieht und sein Gremium in Rekordgeschwindigkeit von einer Zinssenkung überzeugen kann", sagte er SPIEGEL ONLINE.

Allerdings zweifelt Schmieding daran, dass die Entscheidung einen großen Effekt habe: "Die Wirkungen werden sehr begrenzt bleiben", sagte Schmieding, "die Zinsen für deutsche Haushalte und Unternehmen sind ohnehin sehr niedrig, da wird sich nicht viel ändern." Kurz: "Es schadet nicht, es bringt aber auch nicht viel...."