Erfolgreicher Quellenfдlscher
Beitrдge zur politischen Biographie des Danziger Senatsprдsidenten und Hitler-Gegners Hermann Rauschning
Stefan Scheil
In seinem Leben ging es selten geradeaus. Hermann Rauschning kam 1887 in Thorn zur Welt und wollte der Familientradition folgend eigentlich Berufsoffzier werden, was an einer Krankheit scheiterte. Er schlug dann eine Laufbahn als Musikwissenschaftler ein, der spдtere Stationen als Gutsbesitzer, Funktionдr und Politiker folgten. Sein Weg fьhrte ihn vom Geburtsort ьber Posen nach Danzig, zurьck ins inzwischen polnisch gewordene Thorn in die Emigration, dann nach Frankreich, England und in die USA, in der Nachkriegszeit zurьck nach Deutschland und nach dem Scheitern des politischen Neubeginns in der Bundesrepublik wieder in die USA, wo er hochbetagt verstarb. Er verstand sich als PreuЯe und bemьhte sich nach 1919 erfolglos um die polnische Staatsangehцrigkeit. Er gab dann seine deutsche Staatsbьrgerschaft zurьck, um mit betrдchtlichem finanziellen Aufwand die Danziger zu erwerben und wurde 1941 schlieЯlich US-Amerikaner, was ihn spдter nicht daran hinderte, gegen Adenauers Politik der Westintegration zu polemisieren und zu diesem Zweck ein von der DDR finanziertes Blatt zu seinem publizistischen Sprachrohr zu machen.
Rauschning plдdierte nach 1918 energisch fьr ein Ausharren der Deutschen unter polnischer Herrschaft in WestpreuЯen und Posen, ging nach einiger Zeit aber selbst nach Danzig. Dort beschrieb er unter der Zensur des Auswдrtigen Amts die "Entdeutschung WestpreuЯens". Er trat der Deutschnationalen Volkspartei bei, verlieЯ sie wieder in Richtung NSDAP, betrieb jedoch als NS-Senatsprдsident eine Politik, die selbst von цrtlichen Sozialdemokraten als Ausverkauf deutscher Interessen an Polen gewertet wurde. Dementsprechend unterhielt er so gute Beziehungen nach Warschau, daЯ er spдter seine Flucht aus Danzig im polnischen Diplomatenwagen antreten konnte.
Kurz gesagt, Rauschning ist eine schillernde Figur der deutschen Zeitgeschichte und wдre jene Biographie allemal wert, zu der Jьrgen Hensel und Pia Nordblom einen anregenden Beitrag liefern wollen. Dazu haben sie eine Sammlung mit acht Beitrдgen zusammengestellt, die sich den wechselnden Stationen und Aktivitдten Rauschnings widmen. Von seiner Arbeit als Musikwissenschaftler, seinen Versuchen in der deutschen Kulturpolitik in der neuentstandenen polnischen Republiknach 1919 und seiner Haltung gegenьber den jьdischen Einwohnern wдhrend seiner Danziger Prдsidentschaft als Nationalsozialist ist die Rede, ebenso von den intellektuellen Grundlagen seiner spдteren NS-Kritik oder den politischen Aktivitдten zwischen 1935 und 1939.
Das liest sich durchaus mit Gewinn. Weniger ьberzeugend ist dagegen Pia Nordbloms Versuch, nebenbei eine Ehrenrettung fьr Rauschnings "Gesprдche mit Hitler" zu liefern, die politisch vielleicht einfluЯreichste Quellenfдlschung des 20. Jahrhunderts, von der auch der Autor spдter selbst privat eingestanden hat, er habe kein "authentisches Material" liefern wollen. Цffentlich schwieg er allerdings zeitlebens, auch als von manchen Historikern die "Gesprдche" als Quelle mit "Mein Kampf" oder Hitlers "Zweitem Buch" in einer Reihe genannt wurden. Nordblom kommt vor diesem Hintergrund nicht ohne Verrenkungen aus, wenn sie es anders deuten will.
Schon der Titel ihres Beitrags macht das deutlich: "Wider die These von der bewuЯten Fдlschung" ist ein Widerspruch in sich, denn unbewuЯt lдЯt sich weder lьgen noch fдlschen. UnbewuЯt kann man sich allenfalls irren. Rauschning aber "irrte" sich bewuЯt. Die "Gesprдche mit Hitler" waren von vornherein auf den publizistischen Knalleffekt berechnet, als sie im Winter 1939 mit aktiver Unterstьtzung der franzцsischen Regierung erschienen, die sich im Krieg mit Deutschland befand. Sie wurden zu einer Hauptwaffe alliierter Propaganda jener Zeit, waren deshalb bewuЯt geschrieben, um den von Deutschland angebotenen KompromiЯfrieden psychologisch zu erschweren, und machten ihren Autor mit einem Schlag weltberьhmt - und reich.
Genau zu diesem Zweck hatte Rauschning jene Zitate verfaЯt, die fьr die breite Цffentlichkeit den Reiz des Buchs ausmachten. Sie waren aus der Luft gegriffen. Es gab nur sehr wenige Begegnungen Rauschnings mit Hitler. Es fehlen Indizien dafьr, daЯ es auch nur ein einziges lдngeres oder gar programmatisches Gesprдch zwischen beiden gegeben haben kцnnte. Anderslautende Behauptungen Rauschnings waren offenbar bloЯe Schutzbehauptungen, die auf unmittelbar nach der Verцffentlichung auch aus Emigrantenkreisen laut werdende Kritik reagierten. Was er in seiner Darstellung wirklich bot, war eine Kolportage aus aufgeschnappten und frei erfundenen ДuЯerungen Hitlers.
Die von Nordblom als Beleg fьr Seriositдt gewдhlten Beispiele zeigen beilдufig, wie willkьrlich Rauschning vorging. So hatte er 1937 gegenьber einem Journalisten behauptet, Hitler habe im Frьhjahr 1933 davon gesprochen, er wьrde die katholische Kirche im Konfliktfall "lдcherlich machen". In den "Gesprдchen" machte Rauschning daraus, die Katholiken sollten gegebenenfalls "zu Verbrechern gestempelt" werden. Nordblom schlieЯt aus dieser Passage erstaunlicherweise auf "inhaltliche Homogenitдt" beider Texte, aus denen doch bestenfalls hervorgeht, daЯ Rauschning sich bereits zwei Jahre vor Erscheinen der "Gesprдche" als Hitler-Kenner ausgegeben hatte und seine angeblichen Hitler-Zitate tatsдchlich je nach Bedarf verfremdete. Er hatte durchaus Grund, sich nach Theodor Schieders Kritik "entlarvt" zu fьhlen. Das macht ihn als Person der Zeitgeschichte nicht weniger interessant. Die "Gesprдche" sollten fьr Historiker allerdings dort bleiben, wo sie Ian Kershaw bei der Arbeit an seiner Hitler-Biographie abgelegt hat: unberьcksichtigt im Regal.
Quelle:
© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.
[Links nur für registrierte Nutzer] 43/03 17. Oktober 2003