Die aktuelle Situation stellt keine Ausnahme dar. Angeblich erhielten jetzt nach einigen Quellen 21, nach anderen 60 Banken eine Refinanzierung. Eine Pause ermöglichte – genau wie im Herbst 2008 unter Wladimir Stelmach – einigen wenigen Auserwählten Kapital in das bevorzugte Ziel auszuführen (mithilfe sämtlicher erdenklicher fiktiver Außenhandelsverträge). Ob dem wirklich so ist, werden die Zeit und die zukünftig von der Nationalbank veröffentlichten Statistiken zeigen. Momentan ist lediglich klar, dass die Lage, als der Dollarkurs am Dienstag neun Hrywnja überstieg, außer Kontrolle geraten ist. Nachdem die Schlangen an den Bankschaltern und in den Wechselstuben bereits in der letzten Woche plötzlich sehr lang wurden (bis zur letzten Januardekade konnte dies nicht beobachtet werden), entstand die reale Gefahr einer ausgewachsenen Panik aufseiten der Bevölkerung. Erst im Anschluss hieran ergriff der Bankenregulator Notfallmaßnahmen (weitere Einzelheiten können Sie in „Devisen-Blitzkrieg der Nationalbank“ lesen). Wenn man weiter schaut Natürlich kann für die aktuelle Situation nicht nur die politische Krise verantwortlich gemacht werden. Über die zahlreichen strukturellen und systemimmanenten Probleme der stagnierenden ukrainischen Wirtschaft weiß jeder Bescheid, der sich wenigstens ein bisschen für ihre Lage interessiert. Selbst wenn man an das vom Statistikamt veröffentlichte Null-Wachstum des BIP im vergangenen Jahr glaubt, sollte sich kaum irgendjemand an der Stagnation einer Wirtschaft erfreuen, für die aktuell selbst eine Wachstumserholung unerreichbar scheint.
Falsch wäre in diesem Zusammenhang auch ein Außerachtlassen der Wirkung externer Faktoren wie die ziemlich angespannte Lage auf den globalen Schwellenmärkten sowie die zuletzt beobachtete Abwertung der Währung einer Reihe von Ländern, unter welchen auch einige der bedeutendsten Handelspartner der Ukraine, insbesondere Russland und die Türkei, zu finden sind. Die äußerst starke Abhängigkeit von der globalen Konjunktur ist auch eines der strukturellen Schlüsselprobleme der ukrainischen Wirtschaft. Und in den letzten Jahren hat sich die Situation trotz der ganzen proklamierten Programme zur Importsubstitution und des Geredes über die notwendige Entwicklung des Binnenmarktes nicht grundlegend geändert. Der Außenhandelsumsatz belief sich bei Waren und Dienstleistungen nach Schätzungen der Zentralbank im vergangenen Jahr auf 186 Mrd. Dollar (bzw. 1,487 Trillionen Hrywnja basierend auf dem offiziellen Kurs der Zentralbank des letzten Jahres von 7,993 Hrywnja/Dollar), was mehr als das vorläufig geschätzte nominale BIP des letzten Jahres (1,444 Mrd. Dollar) ist. Und die internen Faktoren? Allgegenwärtige Korruption, Plünderungen, gerichtliche Willkür, Willkür der Sicherheitskräfte (einschließlich der Versuche über administrative Wege verschiedene Märkte umzustrukturieren, um die zentral gesteuerte Erhebung von Korruptions-Renten voranzutreiben) – das sind nur einige der hervorstechenden Charakteristika der ukrainischen Kontextbedingungen, die die Wirtschaft von innen abwürgen und gleichzeitig jeglichen Wunsch, von außen in die Ukraine zu investieren, im Keim ersticken.
Ein sichtbarer Indikator ist der mehr als zweifache Rückgang der Direktinvestitionen 2013 (insgesamt 3,27 Mrd. Dollar im Vergleich zu 6,63 Mrd. im Vorjahr) sowie der Rückgang der Kapitalinvestitionen (166,9 Mrd. Dollar in drei Quartalen 2013 gegenüber 177,5 Mrd. im gleichen Zeitraum in 2012). Der vielleicht schmerzvollste Schlag gegen das Investitionsklima der Ukraine und ihre Kreditwürdigkeit ist das permanente Defizit der öffentlichen Finanzen, das eine wachsende Staatsverschuldung mit allen daraus resultierenden Konsequenzen bedingt. Und dies ist das Hauptcharakteristikum des Erbes des ehemaligen Ministerpräsidenten Nikolaj Asarow, der bevorzugt die „Vorgänger“ beschuldigte. Bis Ende 2013 erreichte die staatliche und staatlich verbürgte Verschuldung der Ukraine 584 Mrd. Hrywnja (bzw. 73 Mrd. Hrywnja), d.h. 40,5 Prozent des BIP. Zum Vergleich: Noch Ende 2011 betrug diese 473 Mrd. Hrywnja (59,2 Mrd. Dollar) bzw. 36,3 Prozent des BIP. Insgesamt ist das ein Anstieg von mehr als 111 Mrd. Hrywnja innerhalb von nur zwei Jahren (und dies ohne Berücksichtigung der neusten offiziellen Wechselkursschwankungen). Man kann nicht darauf hoffen, dass sich die Situation in diesem Jahr verbessern oder zumindest stabilisieren wird. Tatsächlich sieht das aktuelle Haushaltsgesetz ein reales BIP-Wachstum von drei Prozent vor (nominell soll dieses auf 1,653 Billionen Hrywnja bei einem Anstieg der Steuereinnahmen um 11,5 Prozent, und der Zolleinnahmen um ein Drittel (!) ansteigen). Natürlich ist ein solcher Haushalt zum chronischen Scheitern verurteilt, was durch die traurige Realität der letzten Jahre bestätigt wird. So besteht mittlerweile die wichtigste und dringlichste Aufgabe der Regierung darin, die Verbindlichkeiten zu bedienen und neue Finanzierungsquellen, darunter auch ausländische, ausfindig zu machen. Gemäß den jüngsten veröffentlichen Daten des Finanzministeriums beträgt die prognostizierte Bedienung und Tilgung bestehender Kredite und Schulden 125,5 Mrd. Hrywnja. Das sind beinahe 28 Prozent der geplanten Haushaltsausgaben (447 Mrd. Hrywnja), was sicherlich auch nicht realisiert werden kann.
Das heißt für die Bedienung der Schulden wird faktisch fast jede dritte Hrywnja des Haushalts aufgewendet. Und da die ausländischen Märkte aus nachvollziehbaren Gründen für das Finanzministerium verschlossen sind, zieht Kiew es vor, sich allein auf den guten Willen des Kremls zu verlassen, dessen „süße Kuchenstücke“ (Senkung der Gaspreise und versprochene Kredite in Höhe von 15 Mrd. Dollar, von welchen bereits 3 Mrd. erhalten und von diesen ein Drittel erfolgreich „durchgebracht“ worden ist) Ende letzten Jahres mit großem Vergnügen verschlungen worden waren. Und da die Stimmung in Moskau (wie dies auch die Ereignisse der letzten Woche bestätigten) äußerst unbeständig sein kann, besteht die Priorität und dringlichste Aufgabe mittlerweile – wie vollkommen richtig Beobachter angemerkt haben – im Erhalt und in der Erweiterung der Vereinbarungen mit Moskau. Diese Aufgabe erhält im Zusammenhang mit diesen Vereinbarungen eine immer wichtigere und spielverlängerndere Bedeutung. So fahren ukrainische Abgesandte, einschließlich des Präsidenten selbst, immer häufiger als Bittsteller nach Moskau oder Sotschi.
Was die schnell anwachsende und bereits zu beobachtende Gefahr eines weiteren faktischen Verlustes der Souveränität bedeutet, bei welchem der eigentliche Hausherr auf ukrainischem Boden (ein unabhängiges Land kann dies schwerlich genannt werden) bereits in wenigen Jahren nicht mehr die heutigen politischen Eliten und Oligarchen sein werden.
Diese Probleme sind die direkten Folgen aus der Unzulänglichkeit des ukrainischen Wirtschaftsmodells, die wenn auch nicht hervorgebracht, so doch in den letzten vier Jahren unter der jetzigen Regierungsspitze unter Vermittlung ihrer Amtsträger weiterentwickelt und zementiert wurden. Ausgehend von ihren eigenen sozusagen soziopolitischen Überzeugungen sowie „familiären“ Interessen und Werten.
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