DER SPIEGEL 14/1980 (Auszug)
SPIEGEL Gespräch
»Hafisullah Amin war ein Agent der CIA«
Der afghanische Staats- und Parteichef Babrak Karmal über die sowjetische Invasion
...
SPIEGEL: Sie meinen Ihren Vorgänger, den Taraki-Nachfolger
Hafisullah Amin, der im
Dezember 1979 hingerichtet wurde?
KARMAL: Die verbrecherischen Taten, die dieser CIA-Agent vorhatte und zu einem großen Teil schon praktizierte, sind ungeheuerlich. Es gab einen Plan, Afghanistan unter fremde Länder
aufzuteilen. Die
südlichen und
südöstlichen Teile sollten unter die Herrschaft
Pakistans kommen, die
Nordteile, wie Badachschan und Tachar unter die
Chinas. Und in
Kabul sollte ein Henker als absoluter Befehlsempfänger der
CIA eingesetzt werden.
SPIEGEL: Aber wieso eigentlich ist das S
chreckens-Regime Amins ein
Beweis für einen Auftrag oder eine Einmischung des Auslands?
KARMAL: Sie spielten die Stämme gegeneinander aus, die Nationalitäten gegen andere Nationalitäten. Hier wurde das bekannte
Prinzip des
Kolonialismus benutzt:
Teile und herrsche. Sogar Provokationen
gegen die
Revolution im
Iran wurden angezettelt.
SPIEGEL: Aber hat das den
militärischen Einsatz der
Sowjets gerechtfertigt?
KARMAL: Auch heute noch werden Söldner als berufliche Mörder engagiert, wie bei den barbarischen Nazis. Sie werden in insgesamt
50 Camps und
Militärbasen in Pakistan ausgebildet. Es gibt reichlich Dokumente dafür.
Amerikanische und chinesische Spione, Pakistaner, Engländer, Ägypter und Israelis werden durch die Petrodollars der
reaktionären arabischen Kreise unterstützt. Seit langem kommen
Tausende von
Tonnen an Ausrüstung und Kriegsmaterial über das Meer und durch Karatschi in Pakistan an die afghanische Grenze. Und auch in China, in Sinkiang, existieren einige Camps, in denen diese Rebellen ausgebildet werden.
…
SPIEGEL: Dagegen brauchen Sie die
Hilfe Ihrer
sowjetischen Freunde?
KARMAL: Was soll ein Volk tun, das durch
ausländische Aggression und einen
nicht erklärten Krieg bedroht ist? Wenn das
Vaterland in
Gefahr ist, die
nationale Souveränität bedroht ist, warum soll man nicht
einen großen Nachbarn, einen
historischen und
nationalen Freund, der die
revolutionären, nationaldemokratischen Bewegungen immer
unterstützt hat, um
Unterstützung bitten? Als ob das nicht das
Recht eines
freien Volkes wäre, das darüber einen
Vertrag aus dem Jahr
1978 hat, der auch bei der
Uno registriert ist.
…
KARMAL: Der
Imperialismus hat
dreimal unser Land angegriffen. Das können Sie auch in der Literatur in Deutschland finden. Wie kann da der Imperialismus jetzt von der Neutralität Afghanistans reden? Die Kinder des deutschen Volkes sollten in ihrer Literatur nachschlagen, um zu wissen, was der
britische Imperialismus in Afghanistan getan hat.
SPIEGEL: Die
Sowjet-Truppen sollen also
bleiben.
Wie lange?
KARMAL: Die begrenzten Truppenkontingente der Sowjet-Union werden in Afghanistan als
Reservearmee gegen die
ausländische Aggression eingesetzt. Sie mischen sich in die
inneren Angelegenheiten Afghanistans
nicht ein. Sobald die
letzten Reste der
ausländischen Aggression beseitigt sind, in dem Moment werden die Truppen der Sowjet-Union in ihr Land
zurückkehren.
...
SPIEGEL: In Afghanistan wird davon gesprochen, daß unter der Herrschaft
Amins Hunderttausende ums Leben gekommen sind. Ist das auch eine Lüge?
KARMAL: Mehr als 99 Prozent des afghanischen Volkes haben die April-Revolution unterstützt. Aber Amin hat durch seine verräterische Verschwörung und seine faschistischen Methoden mehr als eine Million,
1,5 Millionen Menschen, erbarmungslos durch
Massenmord vernichtet.
SPIEGEL: Stimmt es, daß auch ganze Dörfer bombardiert und ihre Einwohner ausgerottet wurden?
KARMAL: Ja, sehr viele Dörfer sogar. Amin hat ohne Wissen des Revolutionsrates und des ZK der Demokratischen Volkspartei die Befehle erteilt. Und diejenigen, die solche Befehle ausführten, dachten, daß es wirklich Einsätze gegen den Feind seien.
SPIEGEL: Wurden im Dezember außer
Amin noch andere Verantwortliche
verurteilt und
hingerichtet?
KARMAL: Während des Aufstandes vom 27. Dezember wurden einige seiner Anhänger, drei oder vier Personen, getötet, weil sie Widerstand leisteten. Die Elemente, die an Amins Verschwörung beteiligt waren, sitzen im Gefängnis. Es sind ungefähr 200 Mann, sie werden genau vernommen und vor Gericht gestellt. Die Verhandlungen werden menschlich und demokratisch sein.
...
SPIEGEL: Wie sehen Sie die Zukunft für den Süden Ihres Landes? Wird die Sowjet-Union unter Einbeziehung von Südwest-Pakistan eine Volksrepublik Belutschistan ins Leben rufen?
KARMAL: Diese Frage ist absolut unsinnig. Afghanistan verteidigt seine nationale Souveränität ebenso wie seine territoriale Integrität gegen ausländische Aggressionen. Im Grunde ist Pakistan die Basis der aggressiven Aktionen. Auch für die Sowjet-Union ist diese Frage unsinnig.
Ich wiederhole und betone mit aller Deutlichkeit:
Die Sowjet-Union wird uns, falls die Regierung Afghanistans es fordert, gegen jede öffentliche Aggression innerhalb der afghanischen Grenzen unterstützen. Sonst existieren hier keine Pläne und Ziele.
...
KARMAL: Ich sage noch einmal, als ein Mann, der sein Vaterland liebt, der sich in den Dienst seines Volkes gestellt hat, als ein Politiker, der die
nationale Unabhängigkeit, die
nationale Souveränität und die
territoriale Integrität verteidigt, als erklärter
Feind des
alten und
neuen Kolonialismus, als
Gegner von
Imperialismus, Zionismus, Rassismus, Faschismus und
Apartheid, als
Politiker, der sich für eine
glückliche und
demokratische Gesellschaft einsetzt:
Daß die Sowjet-Union das afghanische Volk beherrschen will, ist reiner Unsinn.
...
[Links nur für registrierte Nutzer]