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Die »Zimmermann-Note«
Viele Gründe mögen den Kriegseintritt der USA 1917 mitbestimmt haben, wirtschaftliche vor allem, machtpolitische, die Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges durch Deutschland, Wilsons Vorliebe für die Alliierten - darüber streitet man seit langem.
Eine Rolle - welchen Ausmaßes ist schwer zu sagen - spielte auch die berühmte »Zimmermann-Note«. Es war dies ein Telegramm des deutschen Staatssekretärs des Auswärtigen, A. Zimmermann, am 17. Januar 1917 an den deutschen Botschafter in Washington, der es dem deutschen Botschafter in Mexiko weiterleiten sollte. Sein Wortlaut:
»Wir haben die Absicht, am l. Februar den totalen U-Boot-Krieg zu eröffnen. Trotzdem werden wir versuchen, uns die Neutralität der Vereinigten Staaten zu erhalten. Sollte dies mißlingen, unterbreiten wir Mexiko einen Bündnisvorschlag auf folgender Grundlage: den Krieg zusammen zu führen, den Frieden zusammen zu schließen mit der Vereinbarung, daß Mexiko die verlorenen Gebiete Texas, Neu‑mexiko und Arizona zurückerhalten muß. Die Regelung bleibt Ihnen überlassen.
Sie werden den Präsidenten von Mexiko streng geheim über alles informieren, sowie der Kriegseintritt der USA feststeht, und ihm außerdem nahelegen, von sich aus Japan aufzufordern, seine Zustimmung zu geben, wobei er seine Vermittlung zwischen Japan und uns anbieten soll.Lenken Sie die Aufmerksamkeit des Präsidenten auf die Tatsache, daß der totale Einsatz unserer U-Boote jetzt die Möglichkeit bietet, England in einigen Monaten zum Frieden zu zwingen. Bestätigen Sie den Empfang.«
Unmittelbar nach der deutschen Entscheidung für einen neuerlichen uneingeschränkten U-Bootkrieg und in Erwartung der amerikanischen Kriegserklärung
bietet hier das Deutsche Auswärtige Amt Mexiko ein Kriegsbündnis an zur Rückgewinnung der im nordamerikanischen Raubkrieg von 1848 verlorenen Gebiete. Beim Kriegseintritt der USA soll somit ein Großteil ihrer Truppen eine Kriegserklärung Mexikos binden. … Theodore Roosevelt, der alte Scharfmacher, schreibt an Senator Lodge: »Wenn Wilson nicht ab sofort den Krieg erklärt, werde ich ihn lebendig erwürgen.« Die öffentliche Meinung ist jetzt für den Krieg, den die »Zimmermann-Note« gewiß nicht verursacht, aber mit auslöst.
Das New Yorker Bankhaus Kühn, Loeb & Co.
Eine wichtige, vielleicht sogar entscheidende Rolle für den Kriegseintritt der USA - wovon man freilich nur sehr selten etwas liest -spielt das New Yorker Bankhaus Kühn, Loeb & Co., genauer ein
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Bankkollektiv unter seinen Leitern Jakob H. Schiff, den (besonders bedeutsamen) Brüdern Paul M. Warburg (gest. 1924) und Felix M. Warburg (gest. 1938), der u.a. an den europäischen Rothschildbanken beteiligt war, den Bankiers Otto H. Kahn, Mortimer Schiff, Jerome H. Hanauer sowie einem Mitglied der Guggenheim-Familie, an deren Spitze der »Kupferkönig« stand.
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Trotz seiner gewaltigen Geldmacht war Morgan in der Vorkriegs‑zeit, wie so viele, in zunehmende Schwierigkeiten geraten, in Pre‑stigeverlust, vor allem durch das Fiasko einer Kartellierung diverser Eisenbahnunternehmen, das
ungezählte Tausende um ihr Geld gebracht hatte, eine großangelegte Gaunerei, für die jetzt der Kriegs‑ausbruch in Europa verantwortlich gemacht worden ist. Auch sonst erwies sich das Gemetzel jenseits des Ozeans als großes Glück für den US-Geldhai, der als »offizieller Finanzagent der Alliierten« die Millionen nur so scheffelte.
Als aber die vermittelten Kredite bis auf eineinhalb Milliarden geklettert waren und die deutschen Kriegserfolge schwindelnde Summen in Rauch aufzulösen schienen, Morgan auch sonst Kummer hatte, u.a. über den Absatz von Eisenbahnaktien im Wert von 400 Millionen Dollar (schon der hl. Augustinus hatte beredt die von Sorgen gequälten Reichen geschildert - und den Armen die »arbeitsreiche Armut« empfohlen),
da mußte Morgan handeln. Er akzeptierte jetzt die Partnerschaft seines zähen Konkurrenten Kühn, Loeb & Co., wobei Jakob H. Schiff zur Erreichung seines Zieles die eventuelle Finanzierung Deutschlands bei Wilson ins Spiel gebracht hatte und mit dem Präsidenten umgesprungen war »wie mit einer Figur auf dem Schachbrett«. Und den nächsten Zug sozusagen machte dann Schiffs Partner Morgan oder, genauer, der von diesem für ein Jahressalär von 25.000 Dollar gekaufte amerikanische Gesandte in London, Walter Hines Page.
Der bestochene Diplomat schickte seinem Präsidenten am 5. März 1917, einen Monat vor der Kriegserklärung an Deutschland, aus London jene berüchtigte Depesche, worin er den Kriegseintritt der USA für unerläßlich hielt zur Rettung der Alliierten, des amerikanischen Geldes und der amerikanischen Wirtschaft; andernfalls folge der augenblickliche Zusammenbruch.
Nun verlangten seinerzeit die USA - die ja ohnedies das größte Geschäft, bei weitaus geringsten Verlusten, durch das allgemeine Schlachten machten und gerade dadurch zur Weltmacht aufstiegen (und England entthronten) - für ihre Hilfe noch einen ganz speziellen Preis.
Und dieser spezielle Preis, den man von Großbritannien für die amerikanische Kriegsbeteiligung forderte, bestand in der Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina. Nach Absprache mit Chaim Weizmann, dem nachmaligen Staatspräsidenten Israels (1948-1952), sicherte der britische Außenminister Earl of Balfour ein »national home« in Palästina zu, wobei freilich alle politischen, rechtlichen, rassischen und religiösen Interessen der dortigen nicht‑jüdischen Bevölkerung strikt gewahrt werden sollten. Am 2. Novem‑ber 1917 wurde die Balfourdeklaration veröffentlicht.
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Hinter diesem ganzen so folgenschweren Projekt aber standen Männer und Mächte, die zu den einflußreichsten Beratern des ame‑rikanischen Präsidenten zählten. Eine so markante Figur etwa im Obersten Gericht wie Louis Dembitz Brandeis. Oder Amerikas frühe‑rer Botschafter in der Türkei, Henry A. Morgenthau. Vor allem aber das Bankhaus Kühn, Loeb und seine Partner, besonders der Finanz‑magnat Bernard M. Baruch, an den zu erinnern auch in anderem Zusammenhang nützlich ist.
Bernard M. Baruch, der Leiter des War Industry Board
Der Wall Street-Bankier Bernard M. Baruch gehörte zum Kreis der Partner des Bankhauses Kühn, Loeb & Co. Er war zugleich aber mit dem »Kupferkönig« Guggenheim verbunden, dem Mitglied einer von St. Gallen nach den USA ausgewanderten jüdischen Familie. Und er war ein enger Freund und Berater Präsident Wilsons. Seit Amerikas Kriegseintritt leitete Baruch das Kriegsindustrieamt
(War Industry Board) und war damit verantwortlich für alle wirtschaft‑lichen Leistungen der Kriegsindustrie, natürlich auch für den Kauf von Kriegsmaterial. Er hat von sich selbst gesagt, mehr Macht beses‑sen zu haben als je eine Einzelpersönlichkeit in der Geschichte, und später vor dem Senat bekannt, daß 10 Milliarden Dollar zur Finan‑zierung des Sieges über Deutschland durch seine Hand gegangen seien.
Auch durch die Hände einiger, die ihn unterstützten. Einiger Wirtschaftskapitäne beispielsweise, die stracks ihre Fabriken aufgaben, einstweilen sie ihrem Management überließen, um gleichfalls die Millionen und Milliarden durch ihre Finger gleiten zu lassen; sie
zu verteilen für Arbeitskräfte, Aufträge, Dringlichkeitsunterstützungen. Alles aus purem Patriotismus, versteht sich, reinem Pflichtgefühl, edler Selbstlosigkeit, wie denn schon ihre Benennung sagte, »dollar a year men«. Arbeiteten sie doch, man denke, für einen einzigen Dollar pro Jahr - und niemals dürfte eine geringere Bezahlung mehr eingebracht haben.
Nun war von kriegsentscheidender Bedeutung neben dem Stahl vor allem das Kupfer - im Zweiten Weltkrieg errechnete man, daß ein einziges Schlachtschiff 1000 Tonnen Kupfer benötigte. Baruch aber hatte schon vor dem Kriegseintritt der USA ein Syndikat von Kupferproduzenten gebildet, dem drei Guggenheim angehörten, die gleichsam über das Kupferkönigtum der Welt fast allein geboten. Und so kauften die USA während des Ersten Weltkrieges von Kupferlie‑feranten durch Baruch, den Chef des Kriegsindustrieamtes und Schatzkanzler der Guggenheim, mehr als 660 Millionen Pfund Kup‑fer; zunächst, gegenüber den Gestehungskosten, für die Verkäufer mit hundert-, dann mit zweihundertprozentigem Gewinn. Die Stahl‑erzeugung aber war durch raffinierte Transaktionen großenteils in den Besitz von Morgan & Co. gelangt und, zumal im Krieg, eben‑falls eine märchenhafte Geldquelle.
Es ist klar, daß die US-Finanz‑giganten gar kein Interesse an einer raschen Niederlage Deutschlands hatten. Je länger es blutete, desto mehr verdienten sie. In diesem Sinn animierte denn auch Morgans maßgeblicher Mann, Thomas Lamont, die Präsidenten der Wallstreet-Banken, den Krieg zu verlängern.
Eben damit war ihnen aber einer bereits zuvorgekommen: Jakob H. Schiff, dessen Interesse im besonderen dem deutsch-russischen Konflikt galt.
Die US-Hochfinanz finanziert die Russische Revolution
Das zaristische Reich kollabierte, die revolutionäre Regierung mußte der Krieg verlängern, die rote Armee war zu finanzieren.
Jakob H. Schiff, dem Zaren gram wegen der Judenverfolgungen, hatte schon im Russisch-Japanischen Krieg 1905 russische Revolutionäre finanziert und derart zum Sieg der Japaner beigetragen. 1917 aber bezahlte er den bolschewistischen Umsturz, und zwar über Leo Trotzki, der mit der Tochter eines ihm befreundeten Bankiers, Giwotowski, verheiratet war…