Der große Kriegsgewinnler (1914/18)
»... ein Boom von ungewöhnlichen Ausmaßen«
Die USA, die 1894 England als größte Industriemacht der Welt überflügeln, erzeugen bereits 1914 rund ein Drittel der Weltindustrieproduktion.
Gleichwohl sind sie bis zum Ersten Weltkrieg ein Schuldnerland und hätten ohne europäisches Geld kaum leben können. Gleichwohl gibt es auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wie vordem, immer wieder Streiks, ist die Arbeitslosigkeit groß, die Lebensmittelpreise steigen. Am 13. März 1907 kommt es zur Panik. Der Aktienmarkt bricht zusammen, viele Firmen machen bankrott.
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Noch unmittelbar vor Kriegsbeginn in Europa stecken die USA in einer wirtschaftlichen Rezession, die in eine größere Krise auszuarten droht.
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Alle bedrohlichen, seit der industriellen Revolution ohnehin stets wiederkehrenden Schwierigkeiten aber löst der große europäische Krieg. Zunächst zwar bestürzt die US-Exporteure der mögliche Verlust ihrer Überseemärkte. Doch rasch beruhigen, ja berauschen sie die Einkäufe der Europäer, die kaum glaubhaft in die Höhe schnellen. Das große Blutvergießen beschert den Yankees einen ungeahnten monetären Aufschwung, Aufträge über Aufträge, ein gigantisches Geschäft, zumal sie nahezu ihr gesamtes ökonomisches Potential für den Krieg mobilisieren und der Arbeiter nun fest zum Fabrikanten steht, noch emsiger im Schweiße seines Angesichtes dessen Konten füllt, ja die »unions« jetzt sogar, gegen Anerkennung des Achtstundentags, auf das Streikrecht verzichten.
Während sich die Europäer zerfleischen, reibt man sich in den USA die Hände über den buchstäblich ungeheuren Nachfrageschub, wobei zuerst die Metall-, dann die chemische Industrie (anstelle der deutschen) profitieren. Und da der Krieg immer mehr mechanisiert, industrialisiert wird, da man 1918 auch die Feindaufklärung und -Verfolgung mit Flugzeugen und Tanks betreibt statt, wie bisher, mit Pferden, mit Kavallerie, steigt der Bedarf an Material aller Art enorm. Ja, die USA sind derart dem großen Kriegsgewinn ergeben, daß ihr schließlicher Eintritt in das Gemetzel weder militärisch noch technisch recht vorbereitet ist
. Und dann werden sie mit Aufträgen ihrer eigenen Streitmacht zusätzlich überschwemmt.
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Nun erzeugten die USA aber nicht nur Kriegsausrüstung, lieferten sie nicht nur Waffen nach Europa, sondern auch Nahrung. Wer schießen, wer erschießen, wer sogar erschossen werden soll, muß erst satt gemacht werden. So gingen von 1914 bis 1924 nicht weniger als 8,42 Millionen Tonnen Nahrungsmittel nach Frankreich, und zwar 1918 doppelt soviel wie 1914, und dies trotz schlechter Ernte. Der Getreidepreis verdreifachte sich in den ersten fünf Jahren, der Baum- wollpreis vervierfachte sich. Der Exportüberschuß verdoppelte sich von Kriegsjahr zu Kriegsjahr und erreichte (über den Import) 1917 3,5 Milliarden Dollar. Und da die alliierten Gold- und Devisenreserven gefährlich schrumpften, da Briten und Franzosen, obwohl sie ihre vielen US-Wertpapiere so schnell wie möglich verkauften, um flüssige Geldquellen, um Bargeld zu haben, da eben dies Bargeld trotz allem ausging, mußten sie Schulden machen,
gaben ihnen amerikanische Banken Kredite zur Finanzierung der Kriegsaufträge - bis zum Frühjahr 1917 bereits 2,3 Milliarden Dollar. Derart stützten sie die Hochkonjunktur, und natürlich waren gerade diese (New Yorker) Banken 1917 an einem Sieg der Alliierten äußerst interessiert.
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Die Gesamtproduktion der USA wächst so während des Ersten Weltkriegs um 15 Prozent, der Export steigt um das Dreifache, der Exportüberschuß um das Achtfache. Der Exportwert von chemischen Produkten klettert zwischen 1914 und 1917 von 21 auf 181 Millionen Dollar, der von Eisen und Stahl von 251 auf 1.133 Millionen Dollar, der des Sprengstoffs von 6 Millionen auf 802 Millionen Dollar.
Zwischen 1900 und 1920 verzehnfacht sich beinah - vor allem infolge des Ersten Weltkriegs - das Budget der US-Regierung. Es steigt von 698 Millionen Dollar auf 6.454 Millionen Dollar. Das »Volkseinkommen« wächst in diesem Zeitraum von 28 auf mehr als 61 Milliarden Dollar, es schnellt allein in den Jahren, in denen Europa sich zu Tode windet, auf fast das Doppelte - »ein Boom von ungewöhnlichen Ausmaßen« (William H. McNeill).