In diesem Strang können Berichte, vor allem besondere Erlebnisse betreffend, aus der Zeit der Einigungskriege (1848-1871) gepostet werden. So z.B. die deutschen Kreigsbeobachter im Sezessionskrieg oder die amerikanische Sicht auf den dt.-franz. Krieg von 1870-71.
Ich eröffne mit dem Nordstaaten-General Sheridan, der Beobachter der deutschen Einigung wurde:
Sheridans berichtet über den deutsch-französischen Krieg.
In Helena hörte Sheridan vom Ausbruch des dt.-fr. Krieges; General Sherman sicherte ihm zu, als Beobachter an diesem Krieg teilnehmen zu dürfen. In Long Branch trifft er zuvor Präsident Grant im Juli 1870. Auf die Frage, welche Seite er begleiten möchte, antwortete er: der deutschen; man könne mehr von der siegreichen Seite lernen. Grant war mit der Entscheidung zufrieden, denn in seinen Augen sei Napoleon ein Scharlatan und machthungriger Usurpator.
Vom 27.07. bis zum 06.08. dauerte die Überfahrt New York - Liverpool; als Adjutant stand ihm General J.W. Forsyth zur Seite. Am 09.08 brechen sie nach Brüssel auf, leiten Nachrichten an Bismarck weiter und von Brüssel aus geht es nach Köln. Roon selbst benachrichtigte die Administration, Sheridan nach Köln und dort ins HQ zu senden - diese jedoch machte einen Lapsus und sendete sie direkt nach Berlin, wo sie die Königin trafen und nur einen Tag verweilten. Danach ging es direkt an die Front.
Am 17.08. erreichten sie Pont-á-Mousson, wo sie Bismarck in Kürassier-Uniform antrafen; in der Nacht vor der Schlacht von Gravelotte sprachen sie dann miteinander: Bismarck war sehr besorgt wegen des Krieges, doch hauptsächlich redete er über die Stimmung in den USA und welcher Seite man dort gewogen sei.
Am 18.08. brechen sie nach Rezonville auf und Sheridan besichtigt dabei die Schlachtfelder vom 16.08., Mars-la-Tour. Er saß im Wagen mit Bismarck, seinem Neffen Bismarck-Bohlen und Dr. Busch. Die 30.000 marschierenden Pommeraner grüßten dabei Bismarck mit Enthusiasmus.
Währenddessen gestand ihm Bismarck in einem Gespräch, dass er in seinen frühen Jahren ganz dem Republikanismus gewogen gewesen sei; seine Familie jedoch beeinflusste ihn dann entscheidend; ferner, dass er Deutschland nicht reif genug sei für Republikanismus; er habe auch lieber Soldat als Politiker werden wollen.
Bald traf er auf den König. Dieser begrüßte Sheridan herzlich mit beiden Händen. Auch wenn er wieder über die Stimmung in den USA sprach, so beeindruckte der alte Mann in Garde-Uniform, durch gute Manieren und Ritterlichkeit; Sheridan bezeichnete ihn als idealen Soldaten. Der König lud ihn zum HQ ein.
Im HQ von Gravelotte traf er auf die militärisch-politische Führung Preußens, auf einem das Feld überschauenden Hügel gelegen. Moltke erklärt ihm die Situation.
Die Schlacht wurde eröffnet. Sheridan beobachtet Moltke: Er nehme Meldungen entgegen; während der Wartezeiten setze er sich dann auf Tornister nieder oder laufe umher, trete Dreck oder Steinchen mit den Füßen, die Hände auf dem Rücken; sein Gesicht blass und sorgenbedrückt; er sei ein sehr alter Mann, aber durch seine ausgehungerte Erscheinung, der Falten und Krähenfüße in seinem Gesicht sah er noch älter aus; dabei ähnelte er eher einem Kirchen-Asketen als einem flammenden Soldaten, wofür er ja bekannt war.
Weiterhin ist Sheridan leicht erstaunt über die harsche Kritik, die man im HQ an Steinmetz wegen seiner Verluste ausübte, so dass er glaubte, dass er wohl entlassen werde - was aber nicht geschah. Das HQ wurde nach Gravelotte verlegt; dort traf der König auf Steinmetz, der, so Sheridan, ebenfalls sehr alt, aber kräftig und jugendlich aussah; er beobachtete ihr Gespräch und befand, dass beide wohl eher nette Worte gefunden haben, Steinmetz wohl seinen Fehler akzeptiert habe, der König milde kritisiert habe.
Als die Franzosen den dt. Angriff stoppten und ihrerseits vorrückten, musste das HQ zurückgelegt werden; auf der Reise traf der König auf eine Gruppe von Flüchtlingen, die er so heftig ausscholt, dass es Sheridan an seine Kindheit in Ohio erinnerte. Der König war dabei erfolgreich und tat es weiterhin mit jeder Gruppe, die er antraf.
Die Schlacht wurde dennoch ein Sieg. Am Abend bekam Sheridan großen Hunger und Durst und realisierte, dass die großen Armeen bereits schon alles gegessen und getrunken hatten, was sie finden konnten. Es war des Königs Bruder, der mit ihm ein altes Stück Schwarzbrot teilte. Dann sprach er enthusiastisch über seinen Sohn Friedrich Karl, den man ehrwürdig "den roten Prinzen" nannte; Sheridan gesteht ein, dass er dieser ein mil. Genie sei.
Sheridan wollte dann das Feld besichtigen, stieß auf dt. Soldaten, die ihn wegen seiner US-Uniform für einen Franzosen hielten. Einer nahm Sheridans Mütze und sahe die drei Sterne, weshalb sie ihn für umso französischer hielten. Ein HQ-Offizier kam, scholt sie; bei der Rückkehr ins HQ wurde dies berichtet; jeder lachte und der König gab ihm einen Pass.
Sheridan kampiert zusammen mit Bismarck und seinen beiden Begleitern. Morgens frühstücken sie zusammen, Bismarck gibt ihm Eier, die er gerade von einer Einwohnerin gekauft habe. Danach machten sie sich auf, das Feld zu besichtigen. Sheridan ist erstaunt und leicht angwidert über die Masse an toten Leibern, Pferden; ferner, dass die "Krupps", die dt. Artillerie keinen großen Schaden an den Stellungen bewirkt habe. Sie treffen auf 20 furchtbar Verwundete aus der Artillerie. Bismarck gibt ihnen Verpflegung. Und gemeinsam tragen sie sie in den Wagen.
Danach speiste er wieder an des Königs Tisch. Es war nur ein dürftiges Mahl. Der König unterhielt sich mit Sheridan über den Sezessionskrieg, besonders über Grants Belagerung von Vicksburg.
Nun ging es nach Sedan. In Commercy erhielt er mit seinem Adjutant ordentliches Quartier. Am Folgetag HQ in Bar-Le-Duc. Dort sah er ein bayerisches Kontingent, das zwar schneidig und stark ausschaue, aber die Bayern seien allesamt kleiner als die Norddeutschen. Die Stadt sei die schönste, die er in Frankreich gesehen habe. Steinmetz werde enthusiastisch von Bayern begrüßt - ein Beweis, wie eng die Deutschen zusammenhielten. Danach Gespräch mit Bismarck - er bot ihm Kirschwasser an, was Sheridan zum ersten Mal trank - er würgte und hustete. Bismarck erwiderte, dass es an Sheridan und nicht am Kirschwasser liege - er trank selbst und blieb ruhig; dies überzeugte und veranlasste, sich auch ein Kirschwasser mitzunehmen.
Nach einigen Besprechungen und Besichtigungen wurde das HQ nach Vendresse verlegt, wo Sheridan die preuß. Marschkolonne in ihrer Organisation betrachtet und bewundert.
Am 01.09. beginnt Sheridan, die Schlacht um Sedan zu beobachten. Neben der Kavallerie-Attacke der Franzosen bestaunt er die Antwort Bismarcks, der auf Sheridans Bemerkung, dass Napoleon in der Festung Sedan als Preis auf ihn warte: "Oh, nein! Der alte Fuchs ist zu gerissen, als dass er sich in solch einer Falle fangen ließe; zweifelsohne ist er nach Paris entschlüpft". Doch dann beschreibt Sheridan die Kapitulation der Franzosen mit einem Brief Napoleons an den König, den ein fr. General überbringt. Abends, völlig erschöpft, nimmt Bismarck einen von seinem Neffen angebotenen Schnaps, leert ihn fast völlig aus, - "Auf zur Einigung Deutschlands!" - und gibt sie Neffen zurück, der zu Sheridan sagt: "Es ist für sie nichts mehr übrig." - Bismarck: "Pardon, es war zu dunkel; ich konnte es nicht sehen."
Von Chevenges ging Sheridan am 02.09. nach Sedan, nahe den Stadttoren stieß er auf einen Soldaten, der ihn erkannte und englisch grüßte - er kämpfte im Sezessionskrieg. Dann brauste ein Wagen an ihm vorbei mit zwei Insassen - ein Zigarre rauchender General und Napoleon - er reiste gen Donchery, in dessen Nähe er bei einer Häusergruppe anhielt, sitzend verblieb. Bald kam Bismarck. Währenddessen schauten erstaunt, aber unhöflich einige dt. Soldaten zu.
Bismarck grüßt Napoleon so schroff, dass dieser erschreckt. Beide gehen in das Haus eines Webers. 15 Minuten verbleiben sie dort, kommen heraus, setzen sich, nachdem die Weber Sitzmöglichkeiten gebracht haben. Nach einer Stunde, in der fast nur Bismarck redete - heftig gestikulierend -, gingen sie auseinander; der Graf bemerkte Sheridan und fragte, ob er gesehen habe, wie Napoleon reagiert habe, als er ihn gegrüßt habe - Sheridan nickte zu. Bismarck: "Nun, das muss wohl an meinen Manieren, nicht Worten gelegen haben; denn ich sagte: 'Ich verneige mich vor Eurer Majestät, wie ich es vor jeder Majestät täte.'"
Sheridan bezog danach wieder Quartier.
Sheridan, P.: From Gravelotte to Sedan, in: Scriber's Magazin (IV 5 1888), S. 514-535.