Zitat von
Bergischer Löwe
Angesichts der gegenwärtigen Krise um und mit Russland kam bei familien- und freundesinternen Diskussionen die Frage auf, warum heute in weiten Kreisen Deutschlands den Nachfahren derjenigen vor die Füße gespuckt wird, die vor rund 200 Jahren halfen, Deutschland vom napoleonischen Joch zu befreien und bei so vielen wichtigen Momenten deutscher Geschichte Pate standen.
Ich sehe den gravierendsten Fehler bei Stalin. 1945 stand die Rote Armee vor einem völlig verwüsteten Land mit einer völlig demoralisierten, in sozialer Auflösung befindlichen Bevölkerung. Im Gegensatz zu 1918, wo feine Revolutionäre wie Radek infiltrierend an einem weiterhin funktionstüchtigen Großbürgertum, ostelbischen Adel, deutscher Beamtenbürokratie und - nicht zuletzt - an der deutschen Sozialdemokratie in ihrem Ansatz die deutsche Arbeiterschaft für die Weltrevolution zu begeistern, scheiterten, hätte dieser Ansatz 1945 durchaus, sogar erfolgversprechender umgesetzt werden können. Die Menschen in Deutschland waren derartig desillusioniert sowie ideologisch und ökonomisch "bedürftig", daß sie möglicherweise dem Erstbesten in die Arme gestürzt wären, der ihnen im Winter 44-45 Schonung gewährt hätte.
Stalin tat das nicht. Anstatt den Intellekt an die Spitze der erobernden Armee zu stellen, sandte er grobschlächtige Sowjetmarschälle und die hatten tumbe Gewalt im Gepäck. Mordbrennende Vergewaltigerhorden, Diebe, Mörder. Vom Dezember 44 bis in den Sommer 45 erlebten die Deutschen im sowjetischen Einflussgebiet einen Albtraum, der sich tief ins Gedächtnis des Volkes eingegraben hat.
Aber nicht nur das: In dem Moment, wo Stalin sich Königsberg als Kriegsbeute nahm und mit Schlesien, dem Memelland, Danzig und Pommern Polen bestach, verlor Russland endgültig die Herzen aller Deutschen. Auch die der "Nichtbetroffenen" im Westen. Er beraubte sich gleichzeitig selbst der Brückenfunktion zwischen West und Ost, die die Deutschen in diesen urdeutschen Territorien seit Jahrhunderten mit Russland höchst erfolgreich ausübten.
In ihrer Not warfen die Deutschen ihre traditionellen Vorbehalte gegenüber der blanken Aufklärung und dem Ökonomismus des Westens über Bord und begaben sich in die Hände derer, die sehr schnell nach Potsdam 45 versprachen, den Deutschen in ihrer Einflusssphäre zumindest die materielle Not zu nehmen. London und Washington brachen ihre Versprechen nicht, setzten sogar die Rückgabe bereits verloren geglaubter Gebiete (Saar) durch und die Menschen ergaben sich in ihr Schicksal. Welches dann in der Gründung der Bundesrepublik und dem Wirtschaftswunder mündete.
All dies wirkt meiner Meinung nach bis heute wie Gift im Verhältnis mit Russland. Ohne dass es den Menschen im täglichen Leben bewusst ist, bekommen sie bei der Vorstellung von Russland eine Gänsehaut. Steppjacken, Kälte, Brutalität, Unterdrückung. So ganz anders als in den Befreiungskriegen vor 200 Jahren als den russischen Truppen in Deutschland Blumen vor die Füße geworfen wurde.