Eine ganz interessante Feststellung, die hier ein Abu Bakr Rieger eingibt:
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"Zwischen den Extremen"
(iz). Mein Sohn ist 14 Jahre alt, als Sohn muslimischer Eltern in Weimar geboren, geht auf das örtliche Gymnasium und spielt in seiner Fußballmanschaft im Mittelfeld. Angesichts der aktuellen Debatte um die Islamkonferenz frage ich mich manchmal: ist mein Junge dort wirklich vertreten? Die Antwort dürfte zumindest dann positiv ausfallen, wenn das Konzept der Konferenz nicht davon ausgeht, dass ein Muslim aus dem Ausland sein muss oder per se ein Integrationsproblem darstellt. Bedenken sind diesbezüglich auf beiden Seiten angebracht, bei Verbänden, die das „Türkische“ und „Nationale“ (was immer das ist) herausstreichen oder bei der Regierung, die, inmitten der irrationalsten Finanzkrise der Menschheitsgeschichte, ihre armen rückständigen Muslime grundsätzlich über die Aufklärung und westliche Werte belehren will. Beide Ansätze wirken nicht nur antiquiert, sie gehen an der islamischen Wirklichkeit meiner Kinder vorbei.
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Deutsche Muslime - Wer sind sie?
Fakt ist, es gibt eine wachsende Zahl deutscher Muslime - zu denen auch ausdrücklich diejenigen gehören, die hier geboren sind und die deutsche Sprache sprechen, natürlich völlig unabhängig von der unwichtigen Frage, woher ihre Eltern ursprünglich stammen. Die Identität eines Menschen macht in erster Linie sein Sprachvermögen aus; wer hier seit Geburt lebt und deutsch spricht, gehört natürlich genauso zu Deutschland dazu wie meine eigenen Kinder. Diese wachsende Gruppe der deutschen Muslime birgt nicht nur einen wichtigen Debattenbeitrag und trägt zur Vermittlung der Positionen bei, sie wird auch am Ehesten zwischen der verpflichtenden Essenz des Islam und dem importierten, kulturellen Erbe islamischer Länder unterscheiden können.
Als Minderheit stehen deutsche Muslime heute nicht unerheblich unter Druck, vor allem seit einige „deutsche Muslime“ mit einem lächerlich-pubertären Islamverständnis zum Symbol des Terrorismus im Lande erklärt worden sind. Es wäre fatal, wenn diese peinlichen Bürschchen das Bild der Öffentlichkeit über den Islam in Deutschland nachdrücklich prägen könnten. In Wirklichkeit sind deutsche Muslime nicht nur aktive Brückenbauer, sondern auch - nicht nur sprachlich - in der Lage, den Islam vorzuleben und die tiefe Faszination des islamischen Lebens für jeden denkenden Menschen anzudeuten. Kulturell bildet sich heute längst, wie schon zuvor auf dem Balkan und in Andalusien, eine neue europäische Dimension des Islam heraus. Das ist keine Bedrohung, sondern: C’est la vie.
Was ist Islam? Das Kulturmissverständnis
Die Frage nach dem Islam ist vielleicht die schwerste und einfachste Frage zugleich. Islam ist mehr als ein Kopftuch tragen oder sich einen Bart wachsen zu lassen. Islam ist auch keine Kultur, sondern eine Lebenspraxis, die sich von dem, was man in der christlichen Tradition und Terminologie als Religion bezeichnet, nicht unerheblich unterscheidet. Islam umfasst das Glaubensbekenntnis, dass es keinen Gott gibt außer Allah und der Prophet Muhammad, Friede sei mit ihm, Sein Gesandter ist. Viele Europäer kommen so dem Islam übrigens recht nahe, da ihre Feststellung, es gebe keinen Gott, dem ersten Teil des islamischen Glaubensbekenntnisses entspricht. Der Muslim betet fünfmal am Tag, bezahlt auf die verpflichtende Aufforderung hin seine Zakat, fastet einen Monat lang und reist, wenn er kann, einmal im Leben nach Mekka zur Pilgerreise.
Die wesentlichen Verpflichtungen des Islam kann man also ausführen, egal ob man ein Indianer, ein Eskimo, ein Schwarzer oder Deutscher ist. Glücklicherweise ist dem Islam jede Bevorzugung einer bestimmten Rasse fremd, eine Sicht, deren gelebte Wirklichkeit man jederzeit in Mekka oder Medina erleben kann und die gottlob kein Nationalismus der Welt bisher dahinraffen konnte. Sollten wir Deutsche tatsächlich eine Neigung zur Ausgrenzung des Fremden haben, so therapiert der Islam diese Fehlsicht erfolgreich. Ein deutscher Muslim, endlich ein Weltbürger im Goetheschen Sinne, kann daher so gesehen einen fortschrittlichen Satz sagen: „Es ist altmodisch, kein Muslim zu sein“.
Man kann also Muslim sein und Beethoven lieben, Krawatte tragen, den Weimarer Genius schätzen oder einfach gerne auf Rügen spazieren gehen. Selbstredend muss auch die Moschee um die Ecke, soweit es die islamischen Bestimmungen angeht, in der eigenen Heimat nicht wie ein pompöser Sakralbau aus Syrien oder der Türkei aussehen. Wir leben nicht nur im hier und jetzt, wir müssen auch nicht an eine eher schmucklose Industriehalle, die nun als Moschee dient, ein - wie eine stille Klage über eine verlorene Heimat wirkendes - Schild „Kulturzentrum“ hängen.