Ich war letzthin mal wieder einige Wochen in Italien unterwegs und habe natürlich auch in Rom Station gemacht. Dabei habe ich festgestellt, daß sich Art und Zusammensetzung der Touristengruppen allmählich verändern. Hier eine kleine, unvollständige Übersicht.
Piazza Navona. Voll wie immer.
Deutsche. Fallen immer noch auf. Zunächst durch ihre Kleidung. Entweder im Strandoutfit (labbriges T-Shirt, Badeshorts und Aldiletten) oder vollausgerüstet wie für Livingstones nächste Afrika-Expedition. "Trekking-Kleidung" nennt man diese albernen Klamotten wohl auf neudeutsch. Und ihre Träger sind immer ein bißchen zu laut.
Amerikaner. Viele. Kleidungsmäßig ähnlich wie Deutsche. Aber viel lauter. Es ist in Rom fast unmöglich, in ein besseres Restaurant zu gehen, in dem nicht Amerikaner sitzen und ihre Umwelt zwingen, an den Erzählungen ihrer Erlebnisse teilhaben lassen. Das liegt zum einen an der merkwürdigen Eigenschaft der amerikanischen Sprache, alle Vokale gequetscht herauszuknödeln. Wenn einer nicht gerade von der Ostküste kommt, redet er wie die die Synchronstimme eines Zeichentrickfilms. Und genauso laut. Amerikaner können nicht leise.
Engländer. Sind nur zu Fußballspielen da. Erscheinen dann als gröbere Version des deutschen Auftritts. Ansonsten nur in homöopathischer Dosierung anzutreffen, dann in der Regel in Form von schrullig-sympathischen Bildungsbürgern in meist fortgeschrittenen Alters auf den Spuren der
Grand Tour von einst.
Franzosen. Ausschließlich in Gruppen. Laut schnatternd in der ganzen Stadt unterwegs.
Spanier. Ausschließlich in Gruppen. Laut schnatternd in der ganzen Stadt unterwegs. Spanier sind die schlimmsten Drängler und rennen jeden und alles überall gnadenlos über den Haufen. In der Sixtinischen Kapelle, auf dem Bürgersteig, egal wo, sie erwarten selbstverständlich, daß man ihnen Platz macht.
Russen. Noch vereinzelt, aber deutlich mehr als noch vor fünf Jahren. An der Adriaküste haben sie schon die einstigen germanisch beherrschten Bettenburgen von Milano Marittima bis Cattolica übernommen. Treten ein bißchen großspurig und neureich auf.
Japaner. Keinen gesehen. Nicht einen einzigen.
Chinesen. In Gruppen. Und auch einzeln. Die ->Russen Asiens. Sehr präpotent, sehr selbstbewußt. Drängeln sich gern vor, was nicht nur Römer mit mißbilligend hochgezogenen Augenbrauen quittieren. Im Restaurant als Tischnachbarn um ein mehrfaches unangenehmer als ->Amerikaner. Wer eine ganze Mahlzeit lang neben einer chinesischen Familie gesessen hat, deren Mitglieder bei Tisch ununterbrochen in ihre Smartphones geglotzt haben, während sie sich über den Teller fläzten und das Essen mit einer Hand/Gabel/Löffel sabbernd und schlürfend einverleibten und dabei laut schmatzend mit offenem Munde gekaut haben, der weiß, was ich meine. Man kann's nicht ignorieren, man guckt hin wie auf eine überfahrene Katze.
Eine Bekannte von mir, die aus Taiwan stammt, meinte nur "das sind eben Chinesen, keine Kultur und keine Manieren." Ihrer Meinung nach hat die Kulturrevolution - gerade auf dem Land - sämtliche Formen von Anstand und Höflichkeit fortgespült. Eine Form der Revolution, die die eine oder andere Gruppe hier in Deutschland auch gerne umsetzen würde, um den "neuen Menschen" zu formen. So was kommt dann dabei raus.
Wo war ich? Achso, Touristen. Also, neben vielen anderen jetzt auch:
Afrikaner. Absolutes Novum. Zum ersten Mal habe ich Gruppen von afrikanischen Touristen gesehen, die auf die übliche Weise (
Guida vorneweg mit Schirmchen, Fähnchen oder Schild mit Nummer) geduldig die Sehenswürdigkeiten der Stadt abwanderten.
Und sonst?
Die
Bänkelsänger gehen mit der Zeit und schrammeln jetzt nur noch mit elektrischer Verstärkung, es ist also vollends unmöglich, ihrem nervigen Gedudel zu entkommen. Und ihr Titel-Repertoire ist nach wie vor überschaubar. Wenn ich im nächsten halben Jahr noch ein einziges Mal "I did it my way" oder "Besa me mucho" hören muß, laufe ich Amok.
Dafür kann der fromme Pilger in den Kirchen wieder echte
Kerzen aufstellen. Die Geschmacksverirrung der münzbetriebenen Glühbirnenvariante ist auf dem Rückzug.
Keine
Katzen. Doch, ein oder zwei. Aber verglichen mit den noch vor 20 Jahren sich allüberall genüßlich räkelnden Stubentigern...
Dafür viele kleine
Hunde. Jack Russels, aber vor allem
Dackel (!). Sehr, sehr viele Dackel. Merkwürdig. Hunde gab es in Rom zwar schon immer, aber meistens waren das riesige gelbe Köter mit Mastino- oder sonstigen Schoßhündchenvorfahren (Ausspruch eines mich seinerzeit in Rom besuchenden Freundes: "Das sind keine Hunde. Das sind
Ponys.").
Bassotto, bassotto.
Ampeln. Die gab es auch früher schon. Aber nicht so viele. Und vor allem: die Fußgänger, auch die Einheimischen, bleiben bei Rot jetzt stehen. Unfaßbar. Immerhin werden die Verkehrsregeln sonst mit südlicher Nonchalance ausgelegt, d.h. ignoriert.
Absolutes Halteverbot. Also sowas von absolut.
Schlangen. Überall. In Zeiten der Billigflüge wohl unvermeidliche Begleiterscheinung des Massentourismus. Vor dem Petersdom Sicherheitskontrollen wie am Flughafen, schon seit Jahren. Jetzt aber staut sich davor die Schlange derer, die in die Kirche wollen, zum Grab des heiligen Woytila, rund um den kompletten Petersplatz. Vor dem Mund der Wahrheit stehen sie jetzt Schlange bis raus auf die Straße, um die Hand hineinzulegen und sich dabei fotografieren zu lassen.
Um die Stadt um ihrer selbst willen zu erleben, muß man sich morgens um sieben auf die Socken machen (oder nach Hause kommen). Oder im Januar hinfahren. Ansonsten geht es an den touristischen Brennpunkten wie bei vor einer texanischen Viehauktion zu: aus allen Richtungen traben blökende Herden wild durcheinander, umkläfft vom Gebell der radebrechenden und schirmschwenkenden
guide turistiche.
Keine
Zigeunerkinder, die mit vorgehaltenen Pappdeckeln arglose Touristen umdrängeln und sie dabei ums Geld erleichtern. Nicht ein einziges gesehen.
Außer herzkranken, alten Damen mit fliederfarbenem Haar, Kleinkindern und sich mondän dünkenden Touristen trinkt in Rom wirklich niemand
caffè latte oder
latte macchiato. Warum auch? Sollen sie ihre
Vanilla flavoured frappucino light blended beverage Zuckerbrühe doch gefälligst zu Hause und
to go saufen.
Keine
Junggesellenabschiede! Wie die männliche römische Jugend sich auch wohltuend der vor allem unter deutschen Unterschichtsabkömmlingen beliebten Sitte enthält, die Haarpracht wahlweise wie eine Topfbürste oder einen auf dem Kopf verendeten Hamster aussehen zu lassen.
Dafür
Bärte. Es ist praktisch unmöglich, in Rom einen Mann unter 30 Jahren anzutreffen, der nicht in Hipster-Uniform rumläuft. Also Rauschebart, dicke Nerd-Brille, Skinny Jeans (die natürlich tief zwischen den Knien hängen). Man hat andauernd das Gefühl, in ein Casting für einen Anarchisten-Film geraten zu sein.
Aber dann:
Der
Friede. Abseits der tief ausgetrampelten Touristenpisten gibt es sie beinahe wie immer, die unberührten, unbekannten Kleinodien. Oft liegen sie nur ein paar Schritte von den verkehrsdurchtosten Magistralen entfernt, Orte des paradiesischen Verweilens, in denen sich das Glück der Begegnung mit der Schönheit der Kunst (oder war's umgekehrt?) ganz ungestört entfalten kann. Kein Lärm, kein Verkehrsgewühl, sondern schlagartig fast dörfliche Stille. Ein selbstvergessen trompetenspielender Taxifahrer, der Schildkrötenbrunnen, der kleine Kreuzgang von Ss. Quattro Coronati mit seiner so kostbar fragilen Atmosphäre, die Villa Celimontana, die seit 2000 Jahren ununterbrochen bewohnte bewohnte Insula aus Kaiser Augustus' Zeiten und tausend andere kleinen Ecken, die oft keinen Stern im Baedecker haben oder nicht hip genug für den Marco Polo sind... sie alle liegen immer noch mit erwartungsvoll gespitzten Lippen da, bereit, sich dem aufmerksamen Besucher hinzugeben.
Brunnen. Mit Kreuzgang.
Brunnen. Mit Schildkröten.
Keine Insel, ein Haus: Die Insula.
Palatin melancholisch.
Pause mit Trompete.
Alle Bilder mit
[Links nur für registrierte Nutzer] hochgeladen.