Der Tamiflu-Skandal - Wie man mit einem Hauch von Nichts Milliarden verdient
Kam die Schweinegrippe zur «perfekten Zeit», oder wurde zur perfekten Zeit eine neue Grippe bewusst ins Rampenlicht der Panik gehoben? Das nach der Vogelgrippe wieder im Keller versunkene umstrittene Medikament Tamiflu von Hoffmann-La Roche erlebte erneut einen Höhenflug. 2009 war der weltweite Tamiflu-Umsatz um 435% gestiegen und brachte Roche 3,2 Milliarden Franken. Insgesamt hat Roche mit Tamiflu schon über 12 Milliarden Umsatz gemacht.....
Nun herrscht wieder etwas Flaute. Zeit für eine neue «gefährliche» Grippe?
Doch gehen wir einmal zurück zum Ursprung. Im Folgenden die Chronik des Tamiflu-Skandals.
Schwierigkeiten bei der Zulassung
Mitte der 90er Jahre entwickelte das amerikanische Biotechnologie-Unternehmen Gilead Sciences das Grippemittel Oseltamivir (Tamiflu). Der Roche-Konzern, der wie alle Pharmakonzerne immer auf der Suche nach Entwicklungen anderer Firmen ist, die dann relativ günstig übernommen und gross vermarktet werden können, kaufte Gilead Sciences das Patent ab. 1996 begann Roche mit den klinischen Studien. Im September 1999 wurde Tamiflu im Heimatland von Roche durchgewinkt, bekam aber infolge zweifelhaften Nutzens nur eine eingeschränkte Zulassung und schaffte es auch nicht auf die Spezialitäten¬liste des Bundes. Aber immerhin. Der erste Schritt auf dem Weg zum Goldesel war getan.
Die europäischen Zulassungsbehörden waren kritischer. Sie wollten Tamiflu infolge nicht belegbaren Nutzens nicht zulassen, weshalb Roche seinen Zulassungsantrag zurückzog. Im Dezember 2000 bekam Roche in den USA eine eingeschränkte Zulassung für Tamiflu. Doch auch die amerikanische Zulassungsbehörde war kritisch. Roche musste die nicht bewiesenen Behauptungen, dass Tamiflu Lungenentzündungen, bakterielle Infektionen und weitere schwere Komplikationen, die zu Hospitalisierungen und bis zum Tod führen können, reduziere, zurückziehen.
Und Roche müsse beweisen, dass Tamiflu wenigstens irgendeinen Nutzen habe, indem es z.B. die Grippesymptome etwas reduziere oder den Verlauf der Grippe wenigstens um einen Tag verkürze. Eine Gruppe von Roche-«Experten» flog daraufhin in die USA und konnte «irgendwie» die Zulassungsbehörden überzeugen. Das Problem, dass Tamiflu Komplikationen nicht reduziert, umging Roche, indem sie extra für die USA eine eigene Tamiflu-Webseite erstellte, auf der darauf hingewiesen wurde, dass Tamiflu diesbezüglich nichts nützt. 2002 wurde Tamiflu dann auch in der EU und weiteren Ländern zugelassen.
Zulassung erkämpft – doch wie generiert man Umsatz?
Der Beweis für einen wirklichen Nutzen fehlt, und das Medikament ist sehr teuer. Weshalb sollte es also gekauft werden? Tamiflu erlebte einen harzigen Start. Roche machte die schwachen Grippewellen dafür verantwortlich. Ihr Produktmanager Mathias Dick erklärte: «Man hat den Leuten 70 Jahre lang gesagt, dass, wenn man eine Grippe hat, gefälligst im Bett bleiben soll. Jetzt mussten wir die Leute zum Arzt bringen.» Das war in der Tat ein schwieriges Unterfangen.
Denn eine Packung Tamiflu kostete CHF 86.10 und hatte keinen wirklichen Vorteil. Eine Grippe kuriert man mit Bettruhe, viel Flüssigkeit (z.B. Tee), kühlenden Wickeln gegen das Fieber und, wenn man will, noch einem Paracetamol dazu. Zudem mussten die Krankenkassen infolge fehlenden Nutzennachweises Tamiflu damals noch nicht bezahlen (erst ab 2009).
Diesen «Problemen» trat Roche mit einer unerlaubten aggressiven Marketingkampagne entgegen. Roche investierte einen dreistelligen Millionenbetrag in eine Werbekampagne für Tamiflu und verstiess damit gegen das Werbeverbot für rezeptpflichtige Medikamente. Die Werbung musste dann wieder eingeschränkt werden. Doch ein Pharmakonzern wäre nicht ein Pharmakonzern, wenn er nicht noch weitere Tricks auf Lager hätte.
Der Siegeszug von Tamiflu
Gerd Antes, Pharmaexperte des Cochrane-Zentrums (Interview in der «Zeit Online»): «Die unterbleibende Veröffentlichung von Studien ist ein chronischer Skandal im Medizin- und Forschungssystem. Das ist allgemein bekannt.»
2003 veröffentlichte Laurent Kaiser, Leiter des Zentralen Virologischen Labors am Genfer Universitätsklinikum, eine Metaanalyse über Tamiflu. Darin bezog sich Kaisers Team (das hauptsächlich aus Angestellten von Roche bestand) auf zehn von Roche selbst durchgeführte oder bezahlte Wirksamkeitsstudien und schlussfolgerte, dass Tamiflu wirke.
Jahre später (2009) entdeckte das Cochrane-Zentrum (eine Gruppe unabhängiger renommierter Wissenschaftler, die Studien analysiert), dass einige Autoren dieser Studien gar nicht daran beteiligt waren und dass die Studien teils von «Ghostwritern» verfasst wurden, und veröffentlichte dies im «British Medical Journal». Dazu Gert Antes vom Cochrane-Zentrum: «Es sieht sogar so aus, dass die Autoren diese Arbeit nie gesehen haben.» Die «Ghostwriter» gaben indes zu, dass sie im direkten Kontakt zur Marketingabteilung von Roche standen und von dieser Vorgaben bekamen, was sie in der Studie publizieren mussten.
Nebenwirkungen wurden verheimlicht, Nutzen wurde behauptet, wo keiner belegt war, u.v.m. Weshalb Laurent Kaiser ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Bevölkerung der Pharmalobby diesen Bärendienst erwiesen hat, ist bis heute nicht bekannt – und er wurde und wird auch nicht zur Rechenschaft gezogen.
Doch nochmals zurück ins Jahr 2003. Im Dezember trat in Hongkong und Umgebung vermehrt eine gefährlichere Variante des Vogelgrippevirus H5N1 auf. Kurz darauf behauptete Roche, dass Tamiflu gegen dieses Virus wirke. Kaisers Übersichtsarbeit diente als Referenz, und viele Staaten nahmen Millionenreserven von Tamiflu auf Lager. Der Siegeszug von Tamiflu war nun im Gang und bescherte Roche in den folgenden Jahren Milliardenumsätze.
Totgesagte leben länger
Anfangs 2009 erfolgte dann der «Genickbruch». Die Vogelgrippe war vorbei, und Tamiflu versagte gegen die normale Grippe. Die meisten Viren waren dagegen resistent. Die Umsätze brachen total ein. Doch dann erschien eine neue Variante des H1N1-Virus, das Schweinegrippevirus, auf der Bühne. Medien und Bevölkerung gerieten wieder in Panik (bzw. es wurde wieder erfolgreich Panik geschürt). Roche reagierte schnell und vermeldete einen Nutzen von Tamiflu gegen dieses Virus.
Zu dieser Zeit sprachen sich immer mehr Experten gegen Tamiflu aus. Die Öffentlichkeit erfuhr langsam, dass die Studien von Tamiflu geschönt wurden, dass der Nutzen nicht bewiesen ist und dass es mehr Nebenwirkungen hat, als bekanntgegeben wurde. Auch ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) gab zu, dass Tamiflu wohl nicht viel nütze. Doch diese Stimmen wurden erfolgreich erstickt.
Die Meinungsbildner der Pharmalobby hatten Medien, Politiker, einige sogenannte Experten, vermutlich auch die Swissmedic und Teile des BAG und sogar die WHO (Weltgesundheitsorganisation) fest im Griff, und das totgesagte Tamiflu wurde wieder zum Milliardenrenner.
Tamiflu musste nun sogar von den Krankenkassen bezahlt werden.
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