Teil 1:
Warum hypothetischer und kategorischer Imperativ bei Kant dasselbe sind sobald wir den Menschen als Selbstzweck setzen
Was ist ein hypothetischer Imperativ? Eine einfache Mittel-Zweck-Relation; willst Du Y, dann tue X; X ist das Mittel, Y der Zweck.
Was ist ein kategorischer Imperativ? Ein Imperativ der Klasse “Konzipiere jedes X so, dass es allgemeines Gesetz werden könnte”; Original: “Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde” ¹
Was ist der “Mensch als Selbstzweck”? Die Idee dass der Mensch niemals nur bloßes Mittel sondern immer ein Zweck sein sollte; im Original: „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ ²
Wir haben also drei verschiedene Werkzeuge: hypothetischen Imperativ als Möglichkeit zur Darstellung einer Mittelzweck-Relation; kategorischer Imperativ als normatives Gebot wie man Maximen aufstellen sollte. Warum sollte man das tun? Aus Punkt 3 heraus, dem “Menschen als Selbstzweck”; im Original: „Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, dass jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle.“³
Nun wird dem aufmerksamen Leser etwas auffallen; nämlich, dass das normative Gesetz hier eine deskriptive Form angenommen hat. Ist das nicht erstaunlich? Es wird geschrieben, dass „vernünftige Wesen“ alle „unter dem Gesetz, dass jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle“. Dies ist ein Postulat. Kant postuliert hier, er argumentiert nicht. Er stellt etwas in den Raum, nämlich dass vernünftige Wesen allesamt vernünftige Wesen – sich selbst und alle anderen – niemals bloß als Mittel ansähen, sondern als Selbstzweck.
Aus einer normativen Aussage also – „Hand nur nach derjenigen Maxime […]“ und „Handle so, daß du die Menschheit […]“ ist eine deskriptive Aussage geworden! Welch wundersame Wandlung, mag man sich denken, und wie schön das vonstatten ging; doch sauber argumentiert ist es natürlich nicht.
Kant mag dieses aus Erfahrung geschlossen haben, er mag es aus Beobachtung geschlossen haben, aber es ist keine logische Konsequenz aus dem bisher geschriebenen, und wenn wir es doch als solche annehmen wollen, so müssten wir einräumen, dass sich deskriptive Sätze aus normativen herleiten lassen, und dass Moral Fakten schafft.
Nun; damit wollen wir uns gar nicht weiter herumschlagen. .Uns genügt fürs erste, wenn wir erkennen: Kant hat hier eine deskriptive Aussage getätigt, nämlich dass alle vernünftigen Wesen nach dem Gesetze des Selbstzwecks funktionieren, und dieses nicht nur auf das Individuum, auf das Einzelwesen bezogen, sondern auch auf alle, die es sich selbst als gleichwertig empfindet; für Kant ist das Vernunftbegabung.
Mit anderen Worten: Kants Idee ist dass vernunftbegabte Wesen allgemein und ohne Zutun bereits moralisch handeln. Wieso? Weil sie bereits unter dem Gesetz (sic!) stehen, dass sie sich selbst und alle anderen vernünftigen Wesen als Selbstzweck ansehen. Wenn sie aber den Menschen – und das ist wohl mit vernunftbegabtes Wesen gemeint, vielleicht noch Tiere – als Selbstzweck ansehen und niemals nur als Mittel, so ist es ihnen ja überhaupt nicht mehr möglich, sich unmoralisch einem solchen Wesen gegenüber zu verhalten! Wie sollte dies möglich sein, kann doch unmoralisches Verhalten nur dann geboren werden, wenn wir das Gegenüber als Mittel benutzen, um einen anderen Zweck – meist persönlicher Natur – zu erreichen (oder gar uns selbst).
Da Kant hier eine deskriptive Aussage getätigt hat können wir sogleich hypothetischen und kategorischen Imperativ gleichsetzen! Und warum? Wenn der Mensch sich als Selbstzweck wahrnimmt und ebenso alle anderen vernunftbegabten Wesen ebenso für ihn Selbstzweck sind so ist jeder Zweck Y der Mensch, jedes Mittel X insofern erlaubt, als dass die Maxime des Handelns ja immer auf eine Maximierung der Glückseligkeit der Masse gerichtet ist. Wenn der Mensch Selbstzweck ist so ist die Maxime des Handelns immer so ausgerichtet dass die einzelne Handlung allgemeines Gesetz werden kann, schließlich ist die Maxime immer die Glückseligkeit des Menschen selbst, der Zweck immer die Menschheit (alle vernunftbegabten Wesen – außer wir schließen die Tiere mit ein, aber auch das ändert nichts).
Der Mensch ist also gar nicht in der Lage einen hypothetischen Imperativ aufzustellen der kein kategorischer Imperativ ist, weil er ja immer an das Gesetz gebunden ist alle vernunftbegabten Wesen als Selbstzweck zu interpretieren; die Maxime des Handelns ist also stets so ausgerichtet, dass sein Handeln allgemeines Gesetz werden könnte (und auch wird, aber dazu gleich mehr), weil seine Maxime stets der Mensch selbst ist, und zwar bei jedem Menschen.
Nun können wir uns weiterfragen was ein „allgemeines Gesetz“ überhaupt bedeutet, und was diese Maxime wohl sein könnte. Nun; wir haben offenbar eine Menschheit, die sich selbst Gesetze gibt. Woraus besteht diese Menschheit? Nun, aus Einzelwesen offenbar, die wir der Einfachheit Menschen nennen. Diese nun handeln nach bestimmten Maximen. Was sind diese Maximen? Darüber ließe sich streiten, aber nicht mit Kant. Denn Kant hat es ja ganz klar und offen ausgedrückt: Der Mensch selbst ist diese Maxime – der Mensch selbst als Selbstzweck, und ebenso alle anderen Menschen, denn das vernunftbegabte Wesen funktioniert ja nach dem Prinzip, nach dem Gesetze, dass er alle vernunftbegabten Wesen als Selbstzwecke ansieht.
Mit anderen Worten: Der Mensch kann gar nicht so handeln, wie wir es „egoistisch“ nennen – da er als vernunftbegabtes Wesen jeden anderen Menschen als Selbstzweck interpretiert und ebenso sich selber, wird er nur dann zu einem scheinbar egoistischen Handeln greifen, wenn er nicht anders kann. Er kann aber auch nicht altruistisch handeln, zumindest nicht wahrhaftig, und doch ist jedes sein Handeln gleichzeitig egoistisch und altruistisch. Da er jeden Menschen und sich selbst, insofern die Menschheit an sich, als Selbstzweck wahrnimmt, ist jede seiner Handlungen von einer möglichst großen Nutzenmaximierung bestimmt, die eben diesen Selbstzweck befriedigt. Seine Handlungen sind also stets vom Selbstzweck Mensch dominiert, determiniert, möchte man fast sagen, also ist jede seiner Handlungen so konzipiert, dass sie allgemeines Gesetz werden könnte, weil ja jede seiner Handlungen von der Maxime des Menschen als Selbstzweck ganz und gar durchdrungen ist.
Wir können also aus Kants deskriptiver Aussage den Unterschied zwischen hypothetischem und kategorischem Imperativ prinzipiell ausschließen, weil jeder hypothetische ein kategorischer Imperativ ist, weil es dem Menschen nicht möglich ist nicht nach einer Maxime zu handeln, die allgemeines Gesetz werden könnte, weil er sich und die Menschheit – also alle vernunftbegabten Wesen – als Selbstzweck interpretiert. Inwiefern in dem Moment sich das äußern mag, das mag ja ganz unterschiedlich sein; aber aus dem Postulat Kants lässt sich diese gewagt erscheinende Äußerung recht einfach herleiten.
Ganz anders wäre es natürlich, würde Kant anders formulieren. Formulierte er „Ich halte es für eine gute Idee, nach der Maxime des Selbstzwecks zu handeln etc.“, wie er das ja beim kategorischen Imperativ durchaus tut, so könnten wir dies nicht herleiten; er aber schreibt anders, „vernünftige Wesen“ stünden alle unter „einem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle“. Mit anderen Worten: Diese Norm ist nicht nur für den einzelnen möglich, sondern für alle zwingend. Es ist ein moralisches Gesetz. Ein Gesetz aber zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es immer gelte. Wenn jetzt ein Individuum nicht in der Lage ist dazu, dieses Gesetz einzuhalten, - die Möglichkeit ist ja immerhin denkbar – so ist es doch stets willentlich, dies zu tun; denn dieses Gesetz gilt ja für ihn wie für jeden anderen, und es ist sein ureigenes Interesse, diesem Gesetz zu folgen.
Nun könnten wir fragen, warum das der Fall ist. Gibt uns Kant eine Lösung dafür, warum wir so handeln wollen?
Dazu Kant: „Es gehört aber ein vernünftiges Wesen als Glied zum Reiche der Zwecke, wenn es darin zwar allgemein gesetzgebend, aber auch diesen Gesetzen selbst unterworfen ist. Es gehört dazu als oberhaupt, wenn es als gesetzgebend keinem Willen eines andern unterworfen ist.“ 4
Das war’s aber auch schon.
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