Der Euro-Raum ist schnell gewachsen. Er startete 1999 mit 11 Ländern, seit dem 1. Januar 2015 sind es bereits 19. Neben Griechenland leiden auch die Euro-Länder Portugal, Spanien, Irland und Italien ebenfalls akut unter großen Defiziten. Selbst die Wirtschaft in Frankreich schwächelt, die Neuverschuldung lag 2014 bei 4,3 Prozent.
Aber nicht nur die Euroländer leben über ihre Verhältnisse. Das Haushaltsdefizit 2010 von Großbritannien hat z.B. die Größenordnung Griechenlands. Das Defizit der USA liegt ebenfalls bei über zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise wurden die Regierungen weltweit gedrängt, Schulden zu machen, um der Rezession entgegenzuwirken.
Die Summen konnten gar nicht hoch genug sein. Dabei waren die Folgen klar: Eine dramatische Erhöhung der öffentlichen Verschuldung. Griechenland war davon nach Irland unmittelbar nach der Lehman-Pleite am stärksten betroffen.
Die Staatsverschuldung von Griechenland hat sich vor allem seit 2008 stark erhöht und betrug 2014 rund 318 Milliarden Euro. Die Staatsschuldenquote stieg im gleichen Zeitraum von 112 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 174 Prozent. Griechenland steht damit auf Rang zwei der Länder mit der höchsten Staatsverschuldung weltweit, nur Japan ist noch stärker verschuldet. Die Gründe dafür sind vielfältig:
Internationale Wettbewerbsfähigkeit
Griechenland hat seinen immensen Wohlstandszuwachs seit 1990 auf einem riesigen Schuldenberg aufgebaut. Athen hatte sich, im Gegensatz zu anderen hochverschuldeten Ländern, überwiegend für Konsum und nicht für Investitionen verschuldet. Bis zur Wirtschaftskrise hatte sich das Pro-Kopf-Einkommen des Landes fast verdreifacht (Quelle Weltbank). Die Lohnstückkosten waren in den letzten Jahren enorm gestiegen. Die Griechen haben sich einen Lebensstandard geleistet, der über ihrer Produktivität liegt, obwohl sie länger arbeiten, als z.B. Deutsche. Um bei den Lohnstückkosten auf das deutsche Niveau zu kommen, müssten die Griechen die Löhne um 25 Prozent reduzieren. Griechenland hatte dadurch seine internationale Wettbewerbsfähigkeit verloren. Durch eine sehr großzügige Ausgabenpolitik hatte Griechenland das lange überdeckt. Über Lohnerhöhungen im Staatssektor wurde zum Beispiel der private Konsum stimuliert. Dank der Vetternwirtschaft früherer Regierungen arbeiten über ein Viertel der griechischen Beschäftigten im öffentlichen Dienst.
Die Exporte Griechenlands bei Waren und Dienstleistungen beliefen sich 2013 nur auf 12,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Deutschland 42,8 Prozent). Das ist der geringste Wert aller EU-Staaten. Der EU-Durchschnitt liegt bei 33,6 Prozent. Dafür waren die Importe mehr als doppelt so hoch wie die Exporte.
Steuerhinterziehung
Steuerhinterziehung hat sich in Griechenland zu einem konstanten und ständig wachsenden Phänomen entwickelt, mit verheerenden Auswirkungen auf die öffentlichen Einnahmen. Die Steuermoral ist eine der großen Krankheiten des Landes, die Steuerhinterziehung ist ein Volkssport der Griechen. Milliardenbeträge wurden ins Ausland transferiert. Die Steuerquote, also der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt lag in Griechenland 2013 bei 22,9 Prozent (statista). Im EU-Durchschnitt liegt die Steuerquote hingegen bei 40 Prozent.
Vor allem Selbständige wie Ärzte oder Anwälte rechneten sich bei ihren Steuererklärungen arm, Taxifahrer, Handwerker oder Gärtner gaben ungern Quittungen. 2011 sind in Griechenland etwa geschätzte 30 Milliarden Euro hinterzogen worden. Die rechtskräftigen Steuerschulden sind in Griechenland Anfang 2015 auf den historischen Rekordstand von 70 Milliarden Euro gestiegen. 6.000 juristischen Personen wie Aktiengesellschaften und GmbHs stehen beim Fiskus mit weiteren 30 Milliarden Euro in der Kreide. So haben alleine die Griechischen Staatsbahnen (OSE) rund 1,6 Milliarden Euro Steuerschulden.
Keine Regierung hat es bisher geschafft, die Steuerhinterziehung effektiv zu bekämpfen.
Finanzen
Jahrelang gab es nur mangelhafte Statistiken, die von Athen auch noch systematisch frisiert wurden. Das hängt auch mit den innergriechischen Strukturen zusammen. Ein großes Problem ist, dass die Regierung ihre Finanzen nicht im Griff hat. Es gelingt ihr nicht, Einnahmen und Ausgaben richtig zu planen, zu überwachen und vorherzusagen. Bis heute gibt es keine funktionierenden Finanzbehörden.
Über Nacht zeigte sich, dass das griechische Haushaltsdefizit nicht ein-, sondern zweistellig ist und bei über 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt. Das hat damit zu tun, dass der Vollzug des Haushalts bislang nicht wirklich überwacht wurde - weder von griechischen noch von externen Institutionen wie Eurostat oder der EU- Kommission. Noch immer weiß kein Außenstehender, wie prekär die Lage wirklich ist.
Korruption
Dazu kommt die Korruption: Sie ist in Griechenland allgegenwärtig. Beim Arzt, im Krankenhaus, auf dem Bauamt, in der Fahrprüfung: Oft kommt man nur mit "Fakelaki", ein "Umschläglein" voller Geldscheine weiter. 13,5 Prozent der Griechen haben in einer Umfrage offen eingeräumt, Fakelaki zu zahlen, rund 1.450 Euro im Jahr. Oft erleichtert die Korruption den Bürgern das Leben im Kleinen - doch gleichzeitig hat sie mit dazu beigetragen, das Land als Ganzes in den Ruin zu treiben.
Problematisch ist die Korruption für die Gesellschaft als ganze: Wie soll sich eine Volkswirtschaft stabil entwickeln, wenn jeder einzelne Akteur immer wieder auf das Wohlwollen anderer Menschen angewiesen und ihrer Willkür ausgeliefert ist? Wie soll sich der marode Staat sanieren, wenn er sich auf seine Finanzbeamten nicht verlassen kann und die Steuern nicht eintreibt?
Die schlechte Bezahlung - der griechische Durchschnittslohn beträgt 1.600 Euro - mag ein Grund sein, warum sich so viele bestechen lassen. Ein anderer ist der Mangel an positiven Vorbildern: Warum sollte dem kleinen Mann verwehrt sein, was in der großen Politik und Wirtschaft Griechenlands gang und gäbe ist?
In ihrem Bericht von 2012 stellt "Transparency International" fest, dass Griechenland beim Korruptionsindex (Corruption Perception Index, CPI) von Platz 78 auf Platz 94 von insgesamt 174 Ländern abgerutscht ist und damit innerhalb der EU-Länder den letzten Platz einnimmt, d.h. Griechenland hat die höchste Korruptionsrate in der EU.
Vetternwirtschaft
Die Einstellungspolitik im öffentlichen Sektor mittels der Partei- oder Günstlingsnetze bleibt der größte Skandal der modernen griechischen Geschichte. Die Familien Papandreou, Karamanlis und Mitsotakis regierten in Griechenland, von einer siebenjährigen Militärregierung unterbrochen, seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Sie haben Griechenland mit einem dicht geknüpften Netz von Patronage und Vetternwirtschaft überzogen.
Jahrzehntelang wurden Parteigänger in Griechenland mit Beamtenposten belohnt. Unter dem Stichwort "Rousfeti" (Gefälligkeit) versorgten Abgeordnete, Bürgermeister, Präfekten und Gemeindevorsteher ihre Wahlhelfer mit Arbeitstellen inklusive Frührentengarantie.
Nicht Leistung, sondern Loyalität war das Kriterium bei Einstellungen. Das Ergebnis ist ein übermäßig aufgeblähter öffentlicher Dienst, der Dank Inkompetenz jeden wirtschaftlichen Aufschwungsversuch wirksam abwürgt und jede Reform zunichte macht. In jahrelanger Kleinarbeit konnte ein Bürokratiemonster aufgebaut werden, das den griechischen Etat über Gebühr belastet, das chronisch ineffektiv und das für einen Uneingeweihten nicht mehr durchschaubar ist. Zudem beschert die schlecht organisierte Administration dem Land eine gigantische Verschwendung von Haushaltsmitteln.
Der durch Vetternwirtschaft aufgeblähte öffentliche Dienst in Griechenland ist ein riesiges Problem: Ein Viertel aller Beschäftigten, etwa eine Million Menschen, arbeitet beim Staat, in Deutschland jeder siebte (Quelle: Auswärtiges Amt). Die Zahl von Personen in Führungspositionen in den Ämtern ist dabei auch noch unverhältnismäßig groß und ineffektiv im Verhältnis zu den unter ihrer Aufsicht arbeitenden Personen. Damit der Staat überhaupt funktionieren kann, mussten oft weitere Bedienstete eingestellt werden.
Schattenwirtschaft
In Griechenland boomt die Schattenwirtschaft. Jeder vierte Euro wird schwarz erwirtschaftet. Das ist ein europäischer Spitzenwert. Geschätzt gehen dem griechischen Staat so jährlich mehr als 30 Milliarden Euro Steuereinnahmen flöten. Wegen des Benzinschmuggels verliert Griechenlands Staatskasse ein Vermögen durch illegalen Kraftstoffhandel und Spritpanscherei.
Sozialpolitik
Weiterhin werden griechische Rentnerinnen und Rentner in einem Rentensystem versorgt, welches sich Athen ohne zusätzliche Schulden nicht leisten kann. Insgesamt gibt Griechenland 17,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Renten aus, das ist mehr als die 13,2 Prozent, die EU-Staaten durchschnittlich ausgeben (Quelle: Eurostat 2014). Im Zuge der Sparprogramme der letzten Jahre wurden viele öffentlich Bedienstete nicht entlassen, sondern in Rente geschickt. In Griechenland liegt die Durchschnittsrente bei 960 Euro, was 63 Prozent des Durchschnittseinkommens entspricht. In Deutschland z.B. lag die Durchschnittsrente im Westen Ende 2013 bei 734 Euro und im Osten bei 896 Euro.
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