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Neue gesetzliche Anpassung im 2008 (KRG). Im Oktober 2008 erliess das kurdi-sche Parlament in der KRG-Region ein Gesetz zur Änderung verschiedener Artikel des Zivilstandsgesetzes. Die Rechte der Frauen sollten bezüglich Heirat, Scheidung und Erbschaft gestärkt werden. Im Vorfeld forderten Frauenorganisationen, dass zum Beispiel der Begriff Noshouz (Gehorsam der Frau gegenüber dem Mann) ge-strichen wird oder dass Frauen das Recht erhalten, die Scheidung gegen den Willen des Mannes einzureichen. Die Diskussionen zwischen Frauenorganisationen und religiösen Führern waren heftig. Noshouz wird neuerdings mit der Anpassung auch auf Männer angewendet. Auch bezüglich Ehebruchs wurden Änderungen im Strafge-setz gemacht: Vorher stand nur der Ehebruch der Frau unter Strafe, neuerdings auch der des Mannes.
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Die Behörden in der KRG-Region sind oft nicht bereit, die Frauen von ihren Ehe-männern zu scheiden, und sie versuchen, zwischen den Parteien zu vermitteln, da-mit die Frau zu ihrem Ehemann zurückkehrt.7 Auch eine Kontaktperson weist darauf hin, dass die Richter oft nicht gewillt sind, die Frauen von ihren Ehemännern zu scheiden und dass die Frauen unter Druck gesetzt und zu ihren Ehemännern zu-rückgebracht werden.8
Scheidung und Brautgeld. Gemäss den neuen gesetzlichen Anpassungen in der KRG-Region hat die Frau beim Abschluss des Ehevertrages die Möglichkeit zu er-wähnen, dass sie sich scheiden lassen kann,9 und Frauen können sich seither scheiden lassen, wenn sie auf das Brautgeld verzichten.10 Gemäss einer Kontakt-person vor Ort ist eine Scheidung ohne vorherige Abmachung im Ehevertrag schwie-rig, und die Frau, muss, wie oben erwähnt, auf ihr Brautgeld und eine zukünftige Unterstützung verzichten.11
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Wie ist die Situation von geschiedenen Frauen in der KRG-Region?
Traditionelle Rolle der Frau. Auch wenn die kurdische Gesellschaft aufgrund rural-urbaner und regionaler Unterschiede oder der sozialen Klassen heterogen ist, sind die Vorstellungen bezüglich Heirat oder Scheidung einheitlich verankert. Ein wichti-ges Charakteristikum der Ehe ist die Idee der Dauerhaftigkeit. Das Sprichwort, dass die Frau das Haus in einem weissen Kleid betritt und in einem weissen Tuch ver-lässt, veranschaulicht diese Haltung.19 In der kurdischen Gesellschaft, wie in ande-ren Gemeinschaften in der Region, gilt die Ehe für Mädchen als höchste Priorität. Wie Sheri Laizer beschreibt, ist die Ehe «raison d’être» der Frauen. Eine unverheira-tete Frau habe den Makel, von der Gesellschaft als abgelehnt zu gelten: Sie sei zu wenig gut, zu wenig schön oder zu alt. Am schlimmsten ist der Makel des «Nichtgut-seins»: moralisch untauglich, ein Frau mit «Erfahrung» zu sein.20
Soziale Diskriminierung geschiedener Frauen. Sobald eine Familie um die Hand eines Mädchens angehalten hat, bleibt der Name der Familie für immer mit dem Mädchen verbunden. Auch wenn die Scheidungsraten steigen, wird eine Scheidung immer noch als sozial inakzeptabel gewertet. Der Ruf der betroffenen Frau ist ge-schädigt und das Heim einer geschiedenen Frau kein guter Ort für einen Besuch einer unverheirateten Frau.21 Die Betroffene wird als «second hand good» gesehen
und die Möglichkeiten für eine weitere Heirat sind stark eingeschränkt.22 Wie in vie-len patriarchalen Gesellschaften sollte die Frau in ihrem Leben nur einen Partner haben, es sei denn, sie sei Witwe. Einer geschiedenen Frau bleibt oft nichts anderes übrig, als zu ihrem Vater oder ihrem Bruder zurückzugehen.23
Eine Scheidung bedeutet auch, dass sich die Frau der Gesellschaft stellen muss, die sich geschiedenen Frauen gegenüber diskriminierend verhält, und dass sie oft auch gegen den Wunsch der eigenen Familie, die vielfach die Scheidung nicht unterstützt, ankämpfen muss.24 Auch Frauen, die geschieden aus dem Westen zurückkehren, werden von der kurdischen Gemeinschaft diskriminiert.25
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Häusliche Gewalt.
Wie das US Department of State in seinem letzten Bericht be-schreibt, ist häusliche Gewalt in der KRG-Region weit verbreitet. In den ersten acht Monaten des Jahres 2009 registrierte die lokale NGO Human Rights Data Bank 363 gewalttätige Vorfälle gegen Frauen: 295 Drohungen, 40 Morde und 32 sexuelle Übergriffe.28 Ehrenmorde haben in den letzten Jahren dramatisch zugenommen, wie auch die Anzahl der Selbstverbrennungen.29
Selbstmord
In den letzten Jahren hat die Selbstmordrate von Frauen in der KRG-Region zugenommen. Die Selbstverbrennung ist für viele Frauen der einzige Aus-weg, dem sozialen Druck und der frauenfeindlichen Tradition zu entkommen. Seit dem Jahr 2000 sollen sich über 10’000 Frauen verbrannt haben. Im Jahr 2009 ver-brannten sich beispielsweise allein in der Ranya-Region 62 Frauen.