Alle Jahre wieder kommt nicht nur der Osterhase, sondern auch die Hetze gegen abzockende, gierige und betrügerische Ärzte. Der Sachverhalt ist einfach. Krankenkassen streichen Leistungen aus ihrem Katalog und der Patient muß sie zukünftig selbst zahlen. Darüber ist der Bürger - die Beiträge steigen ja trotzdem - zu Recht sauer. Damit sich der Volkszorn nicht "nach oben" entlädt, präsentiert man dem Bürger einen Sündenbock, und da bietet sich der Arzt, der ja immer noch ein bißchen besser verdient als der Rest, natürlich an. Es war ja auch psychologisch sehr geschickt von den ach so um unsere Gesundheit besorgten Politikern und Bürokraten, daß die Ärzte die den Krankenkassen zufließende "Praxis"gebühr in bar vom Patienten verlangen mußten, ein Umstand, der wenig bekannt war, aber natürlich auch den Haß auf "den Abzocker" schürte.
Heute erfahren wir also vom Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des Kassen-Spitzenverbandes (MDS) Peter Pick, der monatlich vermutlich ein Vielfaches eines einfachen Klinikarztes oder einer Krankenschwester abgreift, daß "die Ärzte" jedes Jahr MEHR ALS EINE MILLIARDE EURO mit den sog. IGeL-Leistungen verdienen, d.h. mit Leistungen, die zwar dem Stand der Medizintechnik entsprechen, aber von der Kasse nicht bezahlt und daher auch nicht abgerechnet werden können. Oberabzocker: Orthopäden, Hautärzte, Urologen.
Ein Absatz, der bereits schweres Geschütz auffährt. Legen wir aber die Milliarde auf 150.000 niedergelassene Ärzte um, verbleiben, freundlich aufgerundet, 1.800 Euro pro Arzt und Quartal. Wobei nicht geklärt ist, ob der Bürokrat "verdienen" oder "einnehmen" meint. Vermutlich einnehmen, denn was ein Arzt an einer IGeL-Leistung "verdient", dürfte ziemlich individuell sein. Halten wir also fest: Oberabzocker wie Urologen drücken ihren Patienten also im Schnitt 50 Tests zur Prostatakrebs-Früherkennung auf's Auge, Augenärzte 100 Tests zur Glaukom-Früherkennung. Im Quartal. Man vergleiche dazu das sog. Regelleistungsvolumen, das bspw. ein Hautarzt (II/2015 NRW) für die Behandlung von 1.328 Patienten im Quartal von den gesetzlichen Kassen erhält: 20.100 Euro. Vergleiche dazu: Personalkosten für zwei Arzthelferinnen kurz nach der Ausbildung pro Quartal: 13.000 Euro. Ohne auf die Frage des medizinischen Nutzens einzugehen ist klar, daß diese 1.800 Euro pro Quartal durchaus eine Nummer sind, mit der ein Arzt rechnen muß. Denn es dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, daß jeder Arzt, der ausschließlich vom Regelleistungsvolumen der gesetzlichen Kassen leben müßte, sofort zusperren könnte. Weil dieses RLV oft nicht einmal mehr die Fixkosten deckt. Konsequenterweise hat meine Hautärztin inzwischen auch ihre Kassenzulassung in den Müll geschmissen, weil es sowieso sinnlos ist.
Aber gesamtgesellschaftlich summiert sich das Ganze natürlich, und statt sinnlos an Ärzte zu fließen könnte man mit diesen 33 Euro, die jeder sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland also pro Jahr für IGeL-Leistungen aufwendet, auch Deutschlands Aufrüstung finanzieren, denn wenn irgendwann die 2% des BIP in die Bundeswehr fließen sollen, wie von der Kanzlerin befohlen, dann muß, relativ gesehen zu heute, jeder der sozverspfl. Beschäftigten dafür 700-800 Euro MEHR pro Jahr aufbringen als heute. Ich hab's bereits mehrfach erwähnt.
Doch wie verkaufen wir das dem Steuerdepp, der bpsw. vor der Praxis meiner Hautärztin steht und liest: Wir müssen draußen bleiben? Richtig. Abzocke, Ärztegier, weil's nämlich nichts bringt, das ganze IGeL-Zeugs. Wäre das medizinisch zu begründen, würde ich mich ja freuen. Nur komischerweise zahlen die privaten Krankenversicherung, die WIRTSCHAFTLICH und damit WISSENSCHAFTLICH rechnen müssen, das Ganze anstandslos, d.h. das Verhältnis aus Aufwand und Ertrag (oder Aufwand heute vs. Ersparnis in der Zukunft, bspw. Krebsvorsorge vs. Krebsbehandlung), erscheint ihnen gerechtfertigt. (Wie hart kalkuliert wird, sieht man bspw. an einer Gelbfieberimpfung, eigentlich ein lächerlicher Betrag relativ gesehen zu einer Behandlung, aber da die Kasse weiß, daß ich ohne Impfung die Reise nicht antreten kann, sagt sie: machs dir doch selbst.)
Es wundert also nicht, daß die Gründe, die gegen die IGeL-Leistungen aufgefahren werden, an Erbärmlichkeit kaum noch zu überbieten sind. Was ist beispielsweise ein RISIKO einer Ultraschalluntersuchung der weiblichen Brust? Richtig, ein Fehlalarm. RISIKO. Eine Alarmanlage, die zu häufig heult, ist also ein Risiko. Im Gegensatz zu einer, die ab und zu auch mal einen reinläßt. Ein weitere "GEFAHR sei, dass kleine Tumoren unnötig operiert werde", was immer das heißen soll, denn ich habe mal gehört, daß bei der Tumorbehandlung, auch bei der Operation gilt, je kleiner desto gut, je eher desto besser. Muß wohl veraltet sein, genauso wie mein Wissen, daß eine vom Zahnarzt gelegentlich durchgeführte Zahnreinigung langfristig sinnvoll ist. Laut Kassen gibt es aber "keine oder nur geringe Hinweise auf einen Nutzen."
Besonders eklig wird es bereits bei der Glaukom-Vorsorge, vulgo Augeninnendruckmessung. Diese einfache Untersuchnung liefert schnell einen wichtigen Hinweis auf eine drohende Schädigung des Auges. Aber sie habe nur "eingeschränkte Aussagekraft". Ja natürlich hat sie das, genauso wie Blut im Urin nur "eingeschränkte Aussagekraft" hat, aber eindeutig anzeigt, daß irgendetwas faul ist. Und die Untersuchung abzulehnen, weil sie "Patienten VERUNSICHERT", das ist aus medizinischer Sicht so fadenscheinig und an den Haaren herbeigezogen, daß man den schmierigen Beamtenarsch direkt selbstzufrieden an seinem Tisch grinsen sieht dabei. Hach, der arme Patient aber auch, er könnte doch verunsichert werden, lassen wir ihn lieber Erblinden, aber er hat ein gutes Gefühl dabei.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz Eugen Brysch (was es alles für schöne, gutdotierte Sesselfurzerposten gibt - Schirmherrin ist übrigens Uschi Glas) hat auch schon eine Idee: 14 Tage Bedenkzeit für IGeL-Leistungen. Womit sie sich erledigt haben dürften, denn der geringe Gewinn wird dann durch den Zeit- und Kostenaufwand für einen weiteren Besuch ("Deutsche gehen zu oft zum Arzt" heißt es doch immer) wieder aufgefressen, also läßt der Arzt es halt sein und der Kassenpatient stirbt dumm. WAS medizinisch alles möglich ist, und WAS ihm regelmäßig bereits vorenthalten wird, das erfährt er sowieso so gut wie nie.
Das letzte Wort soll die NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (GRÜNE, was sonst) haben, stolze Strickliesel und Heilkräuterweibchen (aus ihrem Lebenslauf!), die dafür kämpft, den Schwachsinn der Homöopathie jetzt auch noch an den Universitäten zu lehren (bekanntermaßen gibt es für diese Parawissenschaft keinerlei Studien, die IRGENDEINEN NUTZEN dieser völlig überteuerten Kügelchen und Tinkturen ohne Inhaltsstoffe nachweisen, zumindest keinen, der oberhalb der von Placebos und Pilgerfahrten nach Lourdes liegt, wo ist hier gleich die Kostenfrage und das Patientenwohl????):
"Ein Verkauf von Zusatzleistungen gegen Bargeld kann die Arzt-Patienten-Beziehung negativ belasten."
Wenn du dann mit ausgefallenen Zähnen oder blind zu Hause hockst, kannst Du dich trotzdem glücklich schätzen, daß du bis zum Schluß eine positive, unbelastete Arzt-Patienten-Beziehung hattest. Ach so, wie war das noch gleich mit der "Praxis"gebühr...
Quelle: dpa-Roundup "Krankenkassen: Selbstzahler-Leistungen bringen meist nichts." Unter dieser Schlagzeile inzwischen schon bei WELT, Handelsblatt und verschiedenen weiteren Zeitungen "online".