"Man kann der Welt nicht entfliehen"
Starökonom Jagdish Bhagwati über gute Globalisierung, irre Protektionisten und was das alles mit Reißverschlüssen zu tun hat.
Interview: Lisa Nienhaus
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Bhagwati: Einzelne Branchen können natürlich getroffen werden, wenn ein anderes Land das Produkt – etwa T-Shirts – besser und billiger herstellt. Das ist die Natur des internationalen Handels. Wenn sie lernen, Dinge besser zu machen als ich, dann muss ich mich anpassen. Aber Freihandel ist nicht der Grund dafür, dass die Arbeiterschaft als Ganzes immer kleiner wird.
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Bhagwati: Einzelne Verlierer gibt es immer. Aber es ist eine andere Frage, ob die Arbeiterklasse als Ganzes getroffen wird. Das wäre der Punkt, an dem Karl Marx wieder ins Spiel käme. Denn wenn der Freihandel die gesamte Arbeiterklasse in Bedrängnis bringt, möchte man natürlich Grenzen schließen. Dann würde selbst ich ein bisschen Freihandel und Globalisierung aufgeben, um eine bessere Verteilung zu erreichen. Aber ist das wirklich so? Wird die Welt unsozialer durch Globalisierung? Ich glaube nicht.
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ZEIT: Anders gefragt: Was gewinnt die westliche Welt denn durch den freien Handel?
Bhagwati: Na ja, erst einmal bekommen wir seit Jahren günstigere Produkte. Aber ich bin nicht wie Milton Friedman, der sagt: Wenn ich etwas billiger bekomme, nehme ich es! Ich finde: Wenn ich etwas billiger bekomme und danach feststelle, dass es jemandem gestohlen wurde, dann sollte ich es nicht nehmen! Weil es das System kaputt macht.Wir müssen uns deshalb auch die Folgen anschauen. Wenn etwa einzelne Branchen mit der internationalen Konkurrenz nicht mehr mithalten können, dann müssen wir helfen.
ZEIT: Wenn eine ganze Stadt wie Detroit zusammenbricht, weil die Leute Autos aus anderen Ländern kaufen, wie soll man dann den Arbeitern helfen, die ihre Jobs verlieren?
Bhagwati: Sie müssen sich anpassen an die Stellen, die da sind. Und wenn sie in einer Stadt leben, in der es nichts mehr gibt, wie in Detroit, dann muss man sie in andere Regionen schaffen.
ZEIT: Das klingt hart.
Bhagwati: Das ist es nicht. Es geht um Hilfe. Menschen müssen eine Menge dazulernen, wenn sie ihre Stelle am Band verlieren und stattdessen in die Dienstleistungen wechseln, etwa bei McDonald’s an der Kasse arbeiten wollen. Diese Leute brauchen Anpassungshilfe, zum Beispiel durch Bildung. Wenn wir sie ihnen gewähren, dann ist Freihandel eine gute Sache. Und wir müssen sie ihnen gewähren, finde ich. Die Welt hat sich verändert. Heute steht jeder mit irgendwem auf der Welt in Konkurrenz.
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