Sonntag bringt der Deutschlandfunk öfter gute Themen, in Essay und Diskurs.

[Links nur für registrierte Nutzer]

Privileg, Zwang, Identität

Der Mensch als Staatsbürger


Staatsbürgerschaft regelt Rechte und Pflichten eines Menschen in einem Staat. Sie ist Privileg und Zwang zugleich - und Teil der Identität eines Menschen. Wer keine hat, ist gefährdet, gilt als gefährlich und muss auf alle Rechte verzichten. Welche Zukunft hat das Konzept?
Es steht doch die Frage, wo die Welt-Elite hin will - weg von der Nationalität und dem Staat an sich ?

Staatsbürgerschaft bzw. Staatsangehörigkeit ist keine wirklich freiwillige Beziehung. Sie ist zunächst einmal Schicksal. Niemand sucht es sich aus, in einem diktatorisch oder demokratisch regierten Staat geboren zu werden, in einem reichen oder armen Land. Natürlich kommt es darauf an, ob man als Mann oder als Frau geboren wird, in einer reichen oder in einer armen Familie, als Angehöriger einer Minderheit und so weiter. Doch über das, was einen Menschen erwartet an Wissen, Glück, Gesundheit, Erfolg, an Leiden, Unsicherheit, Gewalt, Krankheit, entscheidet nicht wenig die Staatsbürgerschaft.



Staatsbürgerschaft ist ein Wesensmerkmal der menschlichen Kultur. Ein Zustand, der in der Zivilisationsgeschichte eine gewisse Form von Stabilität und Rechtlichkeit verspricht. Der aber reiner Menschlichkeit, globaler Gerechtigkeit und wahrer Freiheit im Wege stehen kann. Wirklich frei wären wir doch erst, wenn man sich seine Staatsangehörigkeit aussuchen könnte. Oder wenn so etwas gar nicht mehr nötig wäre, da alle Menschen auf der Welt frei und gleich wären.
Mit welchen Folgen ?

Aber selbst wenn sich beide Seiten an die durch die Staatsbürgerschaft vorgegebene Grundbeziehung zwischen Mensch und Staat halten, sind Konflikte unausweichlich. Nicht nur, weil die einen zu viel davon erwarten oder die anderen sich den damit verbundenen Pflichten entziehen, sondern auch weil das Konzept selber voller Widersprüche steckt.
Die deutsche Staatszugehörigkeit bedeutet zwar automatisch eine Zugehörigkeit zur Europäischen Union und damit zu ihrer Rechtsprechung, hebt aber die nationale Staatsbürgerschaft keineswegs auf. Von der Hoffnung, auch in dieser Hinsicht immer weniger Deutsche, Franzosen, Niederländer und so weiter und dafür immer mehr Europäer zu werden, sind wir weiter entfernt als noch vor ein paar Jahren. Die Bedeutung der Staatsangehörigkeit hat im Gegenteil auch in Europa in den letzten beiden Jahrzehnten wieder zugenommen. Nicht nur in Bezug auf den Grundvertrag zwischen Staat und Individuum, die Rechte und Pflichten, sondern mehr noch in Bezug auf den symbolischen politischen Gehalt.
Stellt sich nicht doch der Mensch immer die Frage, wo er hin gehört, zu welcher Gemeinschaft, zu welcher Kultur und den dazu gehörenden Traditionen - will man den Menschen zu einem Weltbürger machen - wo gehört er dann hin ?

Braucht nicht jeder Mensch seine Nische ?

Und ist das Wort "Weltbürger" nur ein Begriff dafür, daß wir zwar Teil der Welt sind, aber im Persönlichen doch einer Gemeinschaft angehören möchten ?

Und die immer noch aktuelle Frage: [Links nur für registrierte Nutzer]

Deutschland heute: Ein alter Mythos ist wiedergeboren - der Mythos von der kulturellen Identität. Nicht nur Pegida und AfD beschwören ihn; ebenso zeigt er sich in Debatten um das Kulturgutschutzgesetz wie in der Glorifizierung von Nationalmannschaften. Wird Kultur dann relativ, austauschbar und beliebig?
Gehört für mich themenmäßig zusammen, denn eines schließt das andere nicht aus - ist Heimatliebe ein Mythos ?

Linke wie Rechte, Progressive wie Konservative, Pragmatisten wie Idealisten appellieren immerzu und allenthalben an die gemeinsamen Werte unserer Kultur. Doch liegt genau darin das Problem: Wie der Philosoph Andreas Urs Sommer gezeigt hat, gibt es Werte überhaupt nicht - jedenfalls nicht in einem allgemeingültigen und allseits verbindlichen Sinne.