* Landgrabbing
Der Begriff
Landgrabbing hat weltweit seit dem Jahr
2008 eine steile Karriere gemacht.
Landnahme, Landraub, Landgrabscherei? Eine präzise deutsche Übersetzung fehlt bisher.
Gemeint sind
großflächige Käufe hauptsächlich von
privaten, aber auch staatlichen Investoren und Agrarunternehmen, die Agrarflächen kaufen oder langfristig pachten, um sie in eigener Regie zur Herstellung von Agrarrohstoffen zu nutzen. Dabei bewegen sich die internationalen Investoren ebenso wie die staatlichen, halbstaatlichen oder privaten Verkäufer oft in
Grauzonen des Rechts und in einem
Niemandsland zwischen traditionellen Landrechten und modernen Eigentumsverhältnissen. Häufig könnte man bei Landgrabbing von einer Landreform von oben sprechen oder der Etablierung
neuer, privatwirtschaftlicher Kolonialverhältnisse.
Der
Weltagrarbericht befasste sich natürlich mit dem jahrtausendealten Problem der ungerechten Land- verteilung, Ansätzen zu Landreformen und gemeinschaftlicher Bodennutzung. Seine Grundaussage ist einfach:
Sichere Pacht- und Eigentumsverhältnisse und vergleichbare Formen von Gemeinschaftseigentum samt der entsprechenden Wassernutzungsrechte sind unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass bäuerliche Betriebe in die eigene Zukunft investieren. Sie sind die Grundlage aller nachhaltigen Entwicklung und Bodenbewirtschaftung. Kaum ein Wirtschaftsbereich der Welt ist so
intransparent wie der des
Grundeigentums. (Original-Zitat)
An ein
globales Landkataster ist auch in Zeiten von Google Maps nicht zu denken. Relikte der Geschichte erhalten sich hier besonders lange. Vergangene Gesellschafts- und Wirtschaftsformen, Ideologien, Stammesrechte, Geschlechterprivilegien sowie Narben von Kriegen und Vertreibung bleiben sichtbar. Die Herrschaft über Grundbücher wird bis heute weltweit nicht nur gerichtlich, sondern vielerorts mit roher privater wie staatlicher Gewalt geregelt. (Original-Zitat)
Der Aufkauf konzentriert sich auf die schwächsten Länder
Die Informationen, die die Land Matrix, ein unabhängiges Landbeobachtungsprojekt staatlicher und nichtstaatlicher Entwicklungsorganisationen seit
2009 weltweit zusammenträgt, zeigen die Dimensionen und die Gewalt von
Landgrabbing. Mindestens fünf Prozent der gesamten Ackerfläche Afrikas hat in den letzten Jahren ihren Besitzer gewechselt. Die größten Landnahmen konzentrieren sich auf Länder, deren Rechtsverhältnisse besonders unsicher und deren Regierungen schwach sind. Sie haben zudem einen besonders hohen Anteil von Hungernden an der Bevölkerung (Demokratische Republik Kongo, Sudan, Mosambik, Äthiopien, Sierra Leone).
Fakten & Zahlen
Nur 9% der Landakquisitionen für landwirtschaftliche Nutzung (Gesamtfläche 40,98 Millionen Hektar), die die Land Matrix im November 2018 erfasste, hatten allein die Lebensmittelproduktion zum Ziel. 38% der Fläche war für Pflanzen bestimmt, die nicht der menschlichen Ernährung dienen. Auf 15% sollen Flex Crops wachsen, die je nach Marktlage zu Sprit, Tierfutter oder Nahrungsmitteln verarbeitet werden können. Die restliche Fläche war für mehrere Produkte zugleich bestimmt.
Land Matrix. Agricultural Drivers. November 2018.
Rund 26,7 Millionen Hektar Land haben sich Investoren seit dem Jahr 2000 weltweit für landwirtschaftliche Zwecke angeeignet – eine Fläche so groß wie das Vereinigte Königreich und Slowenien zusammen. Der am stärksten betroffene Kontinent ist Afrika. Von 1004 im Land Matrix-Bericht erfassten Agrardeals entfielen 422 Geschäfte mit einer Gesamtfläche von 10 Millionen Hektar auf Afrika. Beliebt sind aber auch Osteuropa und Südostasien.
Analytical Report of the Land Matrix II: International Land Deals for Agriculture. Land Matrix, 2016.
Europäische Firmen und Finanzakteure spielen bei Landnahmen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Eine Auswertung von Land Matrix-Daten ergab, dass sich 60 britische Firmen bei Landtransaktionen rund 1,97 Millionen Hektar in verschiedenen Ländern außerhalb der EU aneigneten. Es folgen je 17 Unternehmen aus Frankreich und Italien, die mehr als 600.000 Hektar Land in ihren Besitz brachten.
Landgrabbing und Menschenrechte: Die Rolle von EU-Akteuren im Ausland. FIAN, 2017.
Für den Zeitraum 2007-2017 hat die Organisation GRAIN mindestens 135 gescheiterte Geschäfte mit Ackerland dokumentiert, die die Lebensmittelproduktion zum Ziel hatten. Die Fläche umfasst 17,5 Millionen Hektar, fast die Größe Uruguays. Auch wenn die Agribusiness-Pläne scheiterten, handelt es sich um Land Grabbing, denn das Land geht fast nie an die Gemeinschaften zurück. Geplatze Deals für die Agrarproduktion hatten 2010 ihren Höhepunkt, doch seit 2015 nehmen sie wieder zu.
Failed farmland deals: A growing legacy of disaster and pain. GRAIN, 2018.
Weltweit nutzen rund
2,5 Milliarden Menschen
50% der Landfläche nach dem
Gewohnheitsrecht. Nur ein Fünftel des Landes, das ländliche und indigene Gemeinden in Entwicklungsländern bewirtschaften, ist durch
Landrechte vor Landraub durch Regierungen und Unternehmen
geschützt.
Common Ground. Securing Land Rights and Safeguarding the Earth. Oxfam, 2016.
Von den 10,3 Millionen landwirtschaftlichen Betrieben in der EU weisen zwei Drittel (65,4%) eine Größe von weniger als 5 Hektar auf. 2016 bewirtschafteten sie lediglich 6,1% der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Dagegen kontrollieren große Betriebe (100 Hektar und mehr), die nur 3,3% aller Betriebe ausmachen, mehr als die Hälfte (52,2%) der Fläche. Die 7% der Betriebe mit 50 Hektar oder mehr bewirtschafteten gut zwei Drittel (68,1%) der landwirtschaftlich genutzten Fläche der EU.
Erhebung über die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe 2016. Eurostat, Juni 2018.
Landgrabbing ist vorrangig ein Problem in Staaten mit
schlechter Regierungsführung, da Investoren aufgrund
niedriger rechtsstaatlicher Standards leicht Land kaufen und pachten können. Oxfam wertete zwischen 2000 und 2011 abgewickelte Landgeschäfte aus 56 Ländern aus - drei Viertel der Länder wiesen Defizite im Bereich Mitspracherecht, Rechenschaftspflicht und Korruptionskontrolle auf.
Poor Governance, Good Business. How land investors target countries with weak governance - Oxfam, 2013.
Die
Konzentration von Landbesitz hat sich in den letzten Jahrzehnten auch in
Europa, gerade in
Osteuropa, extrem beschleunigt und erreicht
Dimensionen wie in Brasilien oder Kolumbien, die für ihre ungleiche Landverteilung bekannt sind. In der
EU kontrollieren
3% der Grundbesitzer - die großen Betriebe, die über 100 Hektar oder mehr verfügen -
die Hälfte der
landwirtschaftlichen Flächen.
Land concentration, land grabbing and people’s struggles in Europe. Transnational Institute, 2013.
Die Bodenpreise sind in Deutschland in den letzten Jahren explodiert. Allein 2017 stiegen die Preise für Agrarflächen im Bundesdurchschnitt im Vergleich zum Vorjahr um 8%, seit 2007 verteuerten sie sich um 161% auf 24.064 Euro/Hektar. In
Mecklenburg-Vorpommern und
Brandenburg haben sich die Preise seit 2007 fast vervierfacht. Am teuersten war 2017 der Hektar in Bayern mit 60.864 Euro, am günstigsten im Saarland mit 9.676 Euro.
Kaufwerte für landwirtschaftliche Grundstücke. Statistisches Bundesamt, 2018.
Eine Auswertung von über 600 Land Deals zeigt, dass 34% der Produktion von Lebensmitteln dienen, während die übrigen Projekte den Anbau von Futter- und Energiepflanzen zum Ziel haben. Bei den meisten Projekten ist die Ernte für den Export bestimmt.
Transnational Land Deals for Agriculture in the Global South. CDE, CIRAD, GIGA, 2012.
Laut einer Studie der Weltbank wurden zwischen 2008 und 2009 Landgeschäfte über eine Fläche von 56 Millionen Hektar Land getätigt - dies entspricht der fast der Hälfte des EU-Ackerlandes. Rund 70% der Deals spielten sich in Subsahara-Afrika ab in Ländern wie Äthiopien, Mosambik und Sudan.
Rising Global Interest in Farmland: Can It Yield Sustainable and Equitable Benefits? Weltbank, 2011.
Land Grabbing geht häufig mit
Water Grabbing einher: Die mit dem Land verknüpften Wasserrechte spielen meist eine zentrale Rolle. Unternehmen aus Saudi Arabien kaufen oder pachten beispielsweise riesige Flächen im Ausland zur Produktion von Nahrung, da im eigenen Land Wasser ein knappes Gut ist.
Squeezing Africa dry: behind every land grab is a water grab - GRAIN, 2012.
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