bpb / 01.06.2008 / Jan Schneider
Historische Entwicklung der jüdischen Einwanderung Jan Schneider
Mit dem Aufkommen der
zionistischen Bewegung wanderten seit den frühen
80er Jahren des
19. Jahrhunderts Juden nach Palästina ein. Für die Zeit bis zur
Staatsgründung 1948 werden allgemein
fünf Einwanderungswellen (Alija, Plural: Alijot) unterschieden.
Vor der Staatsgründung
Die erste
Alija zwischen
1882 und
1903 umfasste etwa
25.000
hauptsächlich
russische und
rumänische Juden und war nicht
zuletzt eine Reaktion auf eine Reihe
von antisemitischen Pogromen in
Südrussland. Sie führte zu
ersten
größeren Ortschaften und
landwirtschaftlichen Betrieben in
einem Gebiet, das bis dato relativ
dünn besiedelt und wirtschaftlich
schwach entwickelt war.
Zwischen
1904 und
1914 kamen weitere
40.000 Juden nach Palästina. Bei dieser Gruppe handelte es sich überwiegend um Angehörige der
"zionistischen Arbeiterschaft" in Russland, die unzufrieden mit dem Verlauf der sozialen Reformbewegungen waren und infolge der Umwälzungen des Jahres 1905 ebenfalls Opfer von antisemitischen Übergriffen wurden.
Weitere rund
35.000 Einwanderer, überwiegend aus
Polen und
Russland bzw. der
Sowjetunion, bildeten zwischen
1919 und
1923 die
dritte Alija, die u. a. durch die
Balfour-Erklärung und den damit
verbundenen Aufschwung für das zionistische Projekt eines eigenen jüdischen Staates motiviert war. [1]
Zwischen
1924 und
1931 kamen weitere
80.000 Juden, wiederum primär aus der
Sowjetunion und aus
Polen. Besonders die polnischen Juden litten unter dem Antisemitismus in der polnischen Regierungspolitik, die sie aus wichtigen Segmenten der Wirtschaft ausschloss. Im Gegensatz dazu waren die Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Entfaltung für Juden in Palästina zu dieser Zeit bereits deutlich verbessert, und eine jüdische Infrastruktur hatte sich herausgebildet.
Die
größte vorstaatliche Einwanderungswelle, die
fünfte Alija zwischen
1932 und
1939, umfasste rund
200.000 Juden. Sie hatten – überwiegend nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 – die Zeichen der Zeit erkannt und sich entschieden, ihre Heimat zu verlassen.
Unter den
Immigranten der 1930er Jahre waren auch bereits
mehrere Tausend Juden aus orientalischen Ländern mit großen jüdischen Gemeinden wie etwa
Jemen und
Irak. Zwischen 1939 und 1945 gelang weiteren rund
70.000 europäischen
Juden aus
Polen, Deutschland, Rumänien, Ungarn und der
Tschechoslowakei die Flucht vor dem Nazi-Terror. Bisweilen werden sie ebenfalls der fünften Alija zugerechnet. Diese Einwanderer hatten nicht nur die Schwierigkeit der Ausreise aus Mittel- und Osteuropa zu bewältigen, sondern sahen sich auch vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden Teilung Palästinas mit restriktiven Einwanderungsbestimmungen der britischen Mandatsmacht konfrontiert. Am Vorabend der israelischen Staatsgründung umfasste die jüdische Bevölkerung Palästinas über
600.000 Menschen.
Flucht und Vertreibung im Rahmen des Unabhängigkeitskrieges
Palästina war
zu Beginn der
jüdischen Einwanderung Ende des 19. Jahrhunderts
keineswegs unbewohnt. Vor Ort lebte – zunächst überwiegend in
friedlicher Koexistenz mit den
jüdischen Zuwanderern – eine teils nomadische, teils sesshafte arabische Bevölkerung, die insgesamt rund
400.000 Menschen betrug. [2]
Daneben gab es eine Reihe von kleinen jüdischen Gemeinden, die zusammengenommen etwa 20.000 Menschen umfasste und deren Ansiedlung überwiegend auf die Ende des
15. Jahrhunderts aus
Spanien vertriebenen
Juden sowie jüdische Wallfahrer des ausgehenden Mittelalters zurückging. Besonders in den gemischt bevölkerten Städten
Haifa, Jaffo, Ramle und
Akko überschnitten sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Lebens- und Wirtschaftsräume beider Bevölkerungsgruppen.
Neben Juden wanderten auch Araber aus umliegenden Regionen nach Palästina und ließen sich nieder. Bereits in den frühen 1920er Jahren kam es jedoch zu Unruhen und teils bewaffneten Konflikten zwischen Juden und Arabern (zumeist über Landfragen), aber auch zwischen den beiden Gruppen und der britischen Mandatsmacht in Palästina. In den 1930er und 1940er Jahren und verstärkt nach dem Teilungsplan der Vereinten Nationen (UN) aus dem Jahr 1947, der zwei Staaten auf palästinensischem Boden vorsah, kam es zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen.
Unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung durch den Jüdischen Nationalrat am
14. Mai 1948 erklärten Ägypten, Syrien, Jordanien, der Libanon, Saudi-Arabien und der Irak dem neuen Staat Israel den Krieg. Dieser erste israelisch-arabische Krieg dauerte über ein Jahr und führte zu massiven Vertreibungs- und Fluchtbewegungen, da das siegreiche Israel auch Gebiete eroberte, die nach dem UN-Plan zum arabischen Staat Palästina gehören sollten.
Insgesamt wurden zwischen
600.000 und
800.000 Menschen arabischer Herkunft
heimatlos:
Mehr als
450.000 ließen sich im
Gazastreifen sowie in dem bis
1967 jordanisch kontrollierten Teil der
Westbank nieder,
70.000 in Transjordanien (dem heutigen Königreich Jordanien),
75.000 in Syrien und weitere
100.000 im Libanon. Auch im Irak (rund 4.000) und in Ägypten (rund 7.000) fanden palästinensische Flüchtlinge Zuflucht. [3]
Anders als für die meisten Juden, die in der erlangten und verteidigten Unabhängigkeit Israels den verwirklichten zionistischen Traum sahen, bedeuteten Krieg, Flucht und Vertreibung des Jahres 1948 für die
arabischen Palästinenser eine
Katastrophe (Nakba).
1948 verblieb ein kleinerer Teil der Araber im neu gegründeten Staat:
Gut
150.000 Nicht-Juden erhielten die
israelische Staatsbürgerschaft und wurden so zu einer
ethnischen Minderheit. Deren Angehörige werden je nach (Selbst)-Definition als israelische Araber oder als palästinensische Israelis bezeichnet. Diese Gruppe umfasst heute mehr als
1,4 Millionen Personen.
Für die überlebenden jüdischen Gemeinschaften im
Nachkriegseuropa hatte der gewonnene Unabhängigkeitskrieg
Signalwirkung. Mehrere Zehntausend Juden machten sich auf den Weg nach Israel. Bereits kurz nach der Staatsgründung fand auch eine
Masseneinwanderung orientalischer Juden aus dem
Iran, dem
Irak, Marokko und
Jemen statt, die teilweise einem
Exodus gleichkam und in den Herkunftsländern quasi zu einem
Verschwinden der jüdischen Bevölkerungsgruppen führte. [4]
Allein in den ersten Jahren zwischen
1948 und
1952 kamen über
600.000 jüdische Immigranten nach Israel und
verdoppelten die Gesamtbevölkerung. Mitte der
1950er und Anfang der
1960er Jahre sank die jährliche Gesamtzahl der Neueinwanderer. Zwischen 1960 und 1989 kamen durchschnittlich
15.000 pro Jahr, der größte Teil aus Europa sowie aus Nord- und Mittelamerika.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs
setzte die bis dato
größte
Einwanderungswelle ein. Sie war zu
fast
90 % von Zuwanderern aus den
Staaten der
ehemaligen Sowjetunion
geprägt und hält auf niedrigem
Niveau bis heute an.
Hauptherkunftsländer sind
Russland
und die
Ukraine. Seit
1989 sind
insgesamt rund
1,3 Millionen Juden
und nicht-jüdische
Familienangehörige als Immigranten
nach Israel gekommen. Eine bedeutende Einwanderergruppe der letzten Jahrzehnte waren daneben
Juden aus
Äthiopien (siehe Abschnitt "Integration").
Die
Einwanderung ist seit dem Ausbruch der
zweiten Intifada [5] im
Herbst 2000 jedoch
stark rückläufig; im Jahr 2006 kamen weniger als
20.000 Neueinwanderer nach Israel, 2007 waren es nur noch rund
18.000 (im Vergleich zu durchschnittlich 73.000 pro Jahr zwischen 1992 und 1999).
Bilanz der Zu- und Abwanderung
Seit der Staatsgründung wies Israels Wanderungssaldo alljährlich einen
beachtlichen Überschuss an Immigranten aus. Insbesondere gegenüber den Rekordzahlen der frühen 1990er Jahre fielen
Abwanderungen kaum ins Gewicht. Dennoch gab es sie zu jeder Zeit:
Jüdische Israelis, die es aus familiären oder beruflichen Gründen vorzogen, etwa in den Vereinigten Staaten oder Europa zu leben; Neueinwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die mit den klimatischen Bedingungen und politischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten nicht zurechtkamen und nach relativ kurzer Zeit heimkehrten oder in ein Drittland weiterwanderten; sowie Alteingesessene, die des Dauerkonfliktes bzw. der angespannten und bisweilen gefährlichen Lebenssituation in Israel überdrüssig wurden und einen Neustart anderswo versuchten.
Bereits
1980 ergaben die Ergebnisse der US-amerikanischen Volkszählung, dass mehr als
150.000 israelische Staatsbürger – teils mit doppelter Staatsangehörigkeit – in den
Vereinigten Staaten lebten, von denen etwa ein Drittel in Israel geboren waren. [6] Abwanderungen aus Israel führten jedoch nicht zwangsläufig zu permanenter Emigration. Häufig stellen sie nur temporäre Verlagerungen des Lebensmittelpunktes dar. Betrachtet man den Migrationssaldo, so wandern alljährlich zwischen 7.000 und 12.000 israelische Staatsangehörige ab.
In den Jahren 2001 bis 2006 waren es insgesamt rund
65.000, darunter etwa 90 % Juden. In den letzten drei Jahren wurde dieser "demografische Aderlass" jeweils nur noch
knapp durch Einwanderung kompensiert. Für das Jahr 2008 gehen US- amerikanische Schätzungen erstmals von einem positiven Wanderungssaldo von 2,5 Migranten pro 1.000 Einwohnern aus. [7]
Emigration steht im direkten Widerspruch zum zionistischen Ideal, das den raison d ́être des Staates begründet:
Die jüdischen Diaspora-Gemeinden in der Welt sollten sich in Israel versammeln – also "heimkehren".
Vor diesem Hintergrund wurde
häufig abfällig über Israelis gesprochen, die ihr Land verließen, um in Übersee ein vermeintlich
bequemes Leben fernab der
Kriege und
Konflikte zu führen. Doch haben die allgemein gewachsene Mobilität sowie Prozesse der Re-Migration bzw. ökonomisch bedingten Pendelmigration dazu geführt, dass
(temporäre) Abwanderung mittlerweile als
normales Phänomen angesehen wird. Gerade die sehr gut ausgebildeten jungen Erwachsenen arbeiten häufig für einige Jahre im Ausland, vorzugsweise in den
Metropolen der
nordamerikanischen West- und
Ostküste.
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