Durch Teresien da Silva (Anne Frank Stiftung)
Jahrzehntelang wurden die Tagebücher von Anne Frank und deren Echtheit von Revisionisten in Zweifel gezogen. Anne Frank ist durch ihr Tagebuch zu einem wichtigen Symbol des Holocaust geworden. Vielen Anhängern extrem rechter Strömungen ist sie ein Hindernis. Ihr persönliches Zeugnis von der Judenverfolgung und ihr Tod im Konzentrationslager stehen der Rehabilitierung des Nationalsozialismus im Weg.
Einer der ersten gedruckt erschienenen Angriffe auf die Echtheit des Tagebuchs stammt aus den fünfziger Jahren. Der deutsche Lehrer L. Stielau schrieb 1958 in einer Schülerzeitung: ???Die gefälschten Tagebücher der Eva Braun, der Königin von England und das nicht viel echtere Tagebuch von Anne Frank haben den Profiteuren der deutschen Niederlage gewiß einige Millionen eingebracht, uns dagegen aber empfindlich getroffen." Stielau war in den dreißiger Jahren in Deutschland an der Leitung der Hitlerjugend beteiligt und nach dem Krieg aktives Mitglied der Deutschen Reichspartei, einer nazistischen Gruppierung. Es war das erste Mal, daß Zweifel an der Echtheit des Tagebuchs in die Schlagzeilen gerieten.
Anfang 1959 erstattete Otto Frank Strafanzeige gegen Stielau. Nach ausführlicher Prüfung der handschriftlichen Aufzeichnungen von Anne Frank urteilte das Lübecker Gericht 1960, daß das Tagebuch echt sei. Daraufhin hielt die Staatsanwaltschaft 1961 die Beweislage für ausreichend, um einen Prozeß einzuleiten. Dazu ist es jedoch nie gekommen. Stielau erklärte, daß er aufgrund der gerichtlichen Voruntersuchung von der Echtheit des Tagebuchs überzeugt sei, und widerrief seine Äußerungen. Später bedauerte Otto Frank, daß es nicht zu einer Verurteilung gekommen war und er sich auf einen Vergleich eingelassen hatte: ???Wenn ich gewußt hätte, daß es Menschen gibt, für die ein Vergleich in dieser Sache nicht als hinreichender Beweis gilt, dann hätte ich den Prozeß durchgesetzt."
Angesichts dessen, daß die Diffamierungen weitergingen, wäre es wahrscheinlich tatsächlich besser gewesen, wenn Otto Frank den Prozeß zu Ende geführt hätte. In den sechziger und siebziger Jahren erscheinen weitere Veröffentlichungen, die die Echtheit des Tagebuchs bezweifeln, jedoch ohne daß ein Richter bemüht wird. Bis 1976. In diesem Jahr wird das Tagebuch Gegenstand eines Rechtsstreits in Frankfurt.
Seit 1975 hatte H. Roth über seinen eigenen Verlag Broschüren und Pamphlete mit Titeln wie Anne Franks Tagebuch - eine Fälschung und Anne Franks Tagebuch - Der Große Schwindel verbreitet. 1976 legte Otto Frank eine einstweilige Verfügung gegen die Verbreitung von Roths Pamphlet das Tagebuch der Anne Frank - Wahrheit oder Fälschung? ein. Das Anne Frank Haus trat in dieser Sache als Nebenkläger auf. Zwei Jahre später verfügte der Richter, daß Roth unter Androhung einer Geldbuße von maximal 500.000 DM oder einer Gefängnisstrafe von höchstens einem halben Jahr, derartige Äußerungen über das Tagebuch von Anne Frank in der Öffentlichkeit zu unterlassen habe. In nächster Instanz brachte Roth ein Gutachten von R. Faurisson ein, der das Tagebuch auf seine Bitte hin ausführlich untersucht hatte. Das Gutachten konnte das Gericht nicht überzeugen, die Berufung wurde im Juli 1979 abgewiesen. 1980 veröffentlichte Faurisson das Ergebnis seiner Untersuchung in Französisch unter dem Titel Le journal d'Anne Frank est-il authentique? 1985 erschien in Belgien die niederländische Übersetzung Het Dagboek van Anne Frank - een vervalsing, diesmal ohne Fragezeichen.
Zwei Gerichtsverfahren bezüglich der Echtheit des Tagebuchs endeten aufgrund des Rechts auf freie Meinungsäußerung mit Freisprüchen. Beide Verfahren fanden 1979 in Deutschland statt. Im ersten Fall ging es um die Verbreitung von Pamphleten durch den Rechtsradikalen E. Schönborn im Juli 1978 in Frankfurt. In diesen wurde behauptet, das Tagebuch von Anne Frank sei "eine Fälschung und das Produkt jüdischer antideutscher Greuelpropaganda, um die Lügen über sechs Millionen vergaste Juden aufrecht zu erhalten und den Staat Israel zu finanzieren." Der zweite Fall spielte sich in Stuttgart ab, wo der Nazi W. Kuhnt wegen öffentlicher Anstiftung zum Rassenhaß und der Verleumdung des Angedenkens Verstorbener angeklagt wurde. Kuhnt schrieb in einem extrem rechten Monatsblatt, das Tagebuch sei "eine Fälschung" und "ein Schwindel". In beiden Fällen verfügte das Gericht, daß eine Verurteilung wegen Beleidigung erfolgen könnte, sofern durch eventuell Beleidigte Klage eingereicht würde. Die Medien reagierten heftig auf diese Freisprüche.
Am 19. März 1993 endete nach Jahren eine Gerichtsverhandlung in Hamburg. Auch hier ging es um die Echtheit des Tagebuchs von Anne Frank. Alles hatte 1976 begonnen, als E. Römer nach Theateraufführungen des Tagebuchs Pamphlete mit der Überschrift ???Best-Seller - ein Schwindel" verteilte. Hier wurde behauptet, das Tagebuch sei eine Falsifikation. Die Staatsanwaltschaft beschloß, Römer zu belangen. Otto Frank war in diesem Fall Nebenkläger. 1977 wurde Römer vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 1.500 DM verurteilt. Während der Berufungsverhandlung verteilte ein Gleichgesinnter namens E. Geiss Pamphlete im Gerichtssaal, worin behauptet wurde, das Tagebuch sei ein einziger Betrug. Geiss kam nun ebenfalls vor den Richter und wurde zu einer Gefängnisstrafe von einem halben Jahr verurteilt. Er legte ebenfalls Rechtsmittel ein und die Fälle Römer und Geiss wurden zusammengefaßt. Das Bundeskriminalamt (BKA) wurde beauftragt, das Papier und die Tinte der Manuskripte von Anne Frank einer technischen Prüfung zu unterziehen. Das Ergebnis dieser Untersuchung war, daß die betreffenden Papier- und Tintensorten sowohl während des Kriegs als auch einige Jahre danach benutzt wurden. Bemerkenswert war die Feststellung des BKA: ???Die auf den losen Blättern angebrachten Verbesserungen sind teilweise auch mit schwarzer, grüner und blauer Kugelschreibertinte geschrieben worden." Diese Kugelschreibertinte war erst 1951 auf den Markt gekommen. Eine Kontrolle der Befunde des BKA war jedoch unmöglich, weil konkrete Angaben über den Ort, die Art und den Umfang der Kugelschreiber-Korrekturen fehlten. Zwanzig Jahre früher, in der Verhandlung Stielau, ist jedoch von Graphologen festgestellt worden, daß die Manuskripte von Anne Frank selbst geschrieben wurden. Das Gutachten des BKA schien das wieder in Frage zu stellen. Das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel veröffentlichte 1980 die Ergebnisse des BKA-Gutachtens in wenig verantwortungsvoller Weise. Die Botschaft des Artikel lautete: ???Die Echtheit des Dokuments wird damit weiter in Zweifel gezogen." Der Artikel sorgte im In- und Ausland für einige Aufregung.
Im August 1980 verstarb Otto Frank. Die Manuskripte seiner Tochter hinterließ er dem niederländischen Staat, der sie dem Rijksinstituut voor Oorlogsdocumentatie (RIOD, heute NIOD) übergab. Zu seinem Erbe ernannte Otto Frank den Anne Frank Fonds in Basel, dem damit auch das Copyright am Tagebuch zufiel. Das RIOD beschloß, auch wegen der ständigen Anfechtung der Echtheit der Dokumente, die vollständigen Tagebücher der Anne Frank in einer wissenschaftlichen Ausgabe zu veröffentlichen. Das Gerechtelijk Laboratorium in Rijswijk wurde hinzugezogen, um die Manuskripte Anne Franks einer gründlichen dokumententechnischen und graphologischen Untersuchung zu unterwerfen. Das BKA wurde vom Gerechtelijk Laboratorium gebeten, die Blätter anzugeben, auf denen Spuren von Kugelschreibern gefunden wurden. Das BKA konnte jedoch auf keine einzige Stelle verweisen, an der sich Kugelschreibertinte befunden hätte. Das Hamburger Gericht hatte beschlossen, die Ergebnisse der RIOD-Untersuchung abzuwarten. 1986 wurden die vollständigen Tagebücher von Anne Frank sowie die positiven Ergebnisse der Untersuchung des Gerechtelijk Laboratorium unter dem Titel De dagboeken van Anne Frank publiziert. Die deutsche Übersetzung wurde von dem Hamburger Gericht als Beweismittel benutzt. Nach all den Jahren wurde der Prozeß 1990 wiederaufgenommen. Geiss wurde nun im Wiederaufnahmeverfahren zu einer Geldstrafe von 6.000 DM verurteilt. Römer war inzwischen gestorben. Die Verteidigung von Geiss legte 1991 Revision ein mit der Begründung, die Straftat sei bereits verjährt. Am 19. März 1993 wurde das Urteil wegen Verjährung annulliert, und das Verfahren wurde endgültig abgeschlossen.
Die Leugnungen der Echtheit des Tagebuchs waren damit jedoch noch nicht zu Ende. Der belgische nichtwirtschaftliche Verein Vrij Historisch Onderzoek veröffentlichte 1991 Het dagboek van Anne Frank: een kritische benadering (Das Tagebuch von Anne Frank: eine kritische Annäherung), worin die Echtheit des Tagebuchs in Zweifel gezogen wurde. Im Herbst 1992 wurde diese Veröffentlichung in Öffentlichen Bibliotheken in den Niederlanden verbreitet. Die Autoren dieses Buchs sind der Franzose R. Faurisson und der Belgier S. Verbeke. Sie sind Anhänger einer internationalen Strömung, dem Historischen Revisionismus, der leugnet, daß die Nazis im zweiten Weltkrieg die systematische Ausrottung der Juden planten (siehe Hintergrundinformation Revisionismus). In Het dagboek van Anne Frank: een kritische benadering wird behauptet, Otto Frank habe das Tagebuch nach dem Krieg geschrieben. Die Autoren sind der Ansicht, das Tagebuch enthalte eine Reihe von Widersprüchen, unterzutauchen im Hinterhaus müsse schlicht unmöglich gewesen sein, und der Ausdruck und die Handschrift von Anne Frank seien zu erwachsen.
Im Dezember 1993 zogen das Anne Frank Haus und der schweizerische Anne Frank Fonds vor Gericht, um die weitere Verbreitung von Het dagboek van Anne Frank: een kritische benadering in den Niederlanden verbieten zu lassen. Der Anne Frank Fonds war als Erbe Otto Franks und Inhaber der Rechte am Tagebuch an diesem Verfahren beteiligt. Fünf Jahre später, am 9. Dezember 1998, verbot das zuständige Amsterdamer Gericht, die Echtheit des Tagebuchs von Anne Frank in der Öffentlichkeit in Frage zu stellen. Jedwede Verbreitung des Buchs und aller anderen Materialien mit vergleichbarem Inhalt sind per Gerichtsbeschluß verboten. Der Richter bestätigte die Echtheit des Tagebuchs. Auf jede Übertretung steht ein Zwangsgeld von 25.000 Gulden.
Das Anne Frank Haus ist sich bewußt, daß die Bestreitung der Echtheit des Tagebuchs im Internet unvermindert wiederholt werden kann und prüft die Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.