Zum Text, Aufbau und Stil
Der
Leviathan ist eine
systematische staatstheoretische Abhandlung. Das Werk ist in vier Bücher mit
insgesamt 47 Kapiteln aufgeteilt. Der
erste Teil widmet sich umfassend dem Menschen als der kleinsten Einheit des Gemeinwesens und seinem Leben im
"Naturzustand". Dabei setzt sich Hobbes mit dem philosophischen Menschenbild seiner Zeit auseinander, findet aber eigene Positionen, indem er sich von der Antike und von der Scholastik (der christlichen Philosophie des Spätmittelalters) abgrenzt.
Das
zweite Buch behandelt das
Gemeinwesen selbst und den
Übergang vom
Chaos in die geordnete
Gesellschaftlichkeit.
Im
dritten Teil legt Hobbes ausführlich und detailliert die Bibel aus und bringt diese Interpretation in Übereinstimmung mit seiner Staatstheorie.
Der
vierte Teil schließlich widmet sich dem
Aber- und Unglauben, der
falschen Religion und der
Tatsache, dass auch die
offiziellen Kirchen Nutzen daraus ziehen.
Hobbes spannt den Bogen weit: Von den Menschen über Gesellschaft und Staat bis hin zur Religion mitsamt einer Bibelauslegung fächert er das gesamte geistesgeschichtliche Panorama seiner Zeit auf. Doch das Werk ist so klar gegliedert, dass der Leser den Faden nie verliert. Hobbes' Stil ist präzise und geradeheraus, er bringt jeden Gedanken auf den Punkt, vollzieht die Argumente Schritt für Schritt und vermeidet Abstraktionen. Jeder Begriff wird erklärt oder definiert, und für jede Position gibt es eine Beweisführung. Hobbes schreibt verständlich und geradezu unterhaltsam, wenn er sich z. B. zu
Seitenhieben gegen die
Scholastik oder die
Kirche hinreißen lässt. Allein der Stil zeigt schon, dass Hobbes ein
eigenständiger Denker ist, der sich vor
keiner Institution demütig verneigt.
Interpretationsansätze
• Der Leviathan ist mehr als nur eine Staatstheorie, er ist ein umfassendes philosophisches Werk,
das den Menschen von seinen Wahrnehmungen bis hin zu seinen Trieben, Träumen und Zielen
erklärt und dabei auslotet, inwieweit er überhaupt ein gemeinschaftsfähiges Wesen ist.
• Die Menschen gehen in Hobbes' Theorie den Gesellschaftsvertrag gleichberechtigt und aus freien
Stücken ein. Er entspricht den Interessen eines jeden. Damit wird zum ersten Mal eine Art
kollektiver Vernunft Grundlage einer politischen Theorie.
• In einer Zeit, die noch stark an das Feudalsystem und dessen Gottgewolltheit glaubte, war dies ein Paradigmenwechsel: Der Mensch, sein Verstand und seine Natur stehen nun im Mittelpunkt, die Rolle der Kirche als Staats- und Sinnstifterin wird angegriffen. Hobbes ist der Erste, der theologische Rücksichten aufgibt.
• Der Gesellschaftsvertrag garantiert auch die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben und sicher zu leben. Hier klingen frühe bürgerlich-liberale Positionen an: Der Staat soll Rahmenbedingungen für die freie Ökonomie schaffen.
• Der Staat ist absolut und verlangt unbedingten Gehorsam. Dieses Autoritäre an Hobbes' Vorschlag wurde oft kritisiert. Haben die Menschen einmal entschieden, ihre Macht abzutreten, dann geben sie ihre politische Mitbestimmung auf. Was ihnen bleibt, ist nur die ökonomische Freizügigkeit und das private Glück. Die Gefahr, dass der Staat selbst missbräuchlich handeln kann, schätzt Hobbes als gering ein.
• Das berühmte Titelbild des Leviathan zeigt eine riesige menschliche Gestalt - den Souverän -, die aus lauter kleinen Menschenleibern zusammengesetzt ist. Die Gestalt symbolisiert: Der Leviathan ist so mächtig, dass die Freiheit des Einzelnen in ihm aufgelöst wird.
Historischer Hintergrund
Staatstheorie in Zeiten des Bürgerkriegs
Hobbes' Werk kann nicht ohne den geschichtlichen Hintergrund verstanden werden. Der Grundgedanke des Leviathan - Krieg als Prinzip des menschlichen Daseins - ist nichts anderes als Hobbes'
eigene Erfahrung. 1642 brach in England der Bürgerkrieg zwischen dem alten Adel mit König Charles I. an der Spitze und dem jungen Parlament aus.
Außerdem überschattete der blutige Krieg mit Spanien die englische Politik, und auch die verschiedenen religiösen Konfessionen mischten im kriegerischen Treiben mit. Der Bürgerkrieg endete mit der
Hinrichtung des Königs im Jahr 1649.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wurde ein König nicht von einem Widersacher, sondern aufgrund eines
Parlamentsentscheids hingerichtet. Die Monarchie wurde - vorübergehend - abgeschafft und eine Republik trat an ihre Stelle. Hobbes selbst sprach von
"revolution": Ihm war klar, dass hier das Oberste zuunterst gekehrt wurde. Daher rührte seine Suche nach einem vernünftigen, geordneten Staat, einer starken Zentralgewalt, die das Chaos bändigt und trotzdem möglichst allen Glück und Wohlstand garantiert.
Daraus ergab sich auch sein
Wunsch nach
ungeteilter Staatsmacht, die
weder durch Mitspracherecht der Untertanen
noch durch kirchliche Macht
eingeschränkt wird:
Jede Fraktionierung führt, so seine Erfahrung, zu gesellschaftlicher Wirrnis und Unfrieden.
Entstehung
Hobbes verfasste den Leviathan im französischen Exil; er war bereits über 60 Jahre alt und musste wegen seiner Schüttellähmung einen Schreiber beschäftigen. Die Abschnitte über den Naturzustand und die Vergesellschaftung des Menschen hatte er bereits in seinem Werk De Cive (Vom Bürger) vorbereitet, das sich mit der bürgerlichen Gesellschaft befasst.
1650 stellte er dann die ersten
37 Kapitel des Leviathan fertig und veröffentlichte das Werk im Jahr darauf in England zusammen mit De Cive.
Gleichzeitig mehrten sich am Pariser Exilhof von Charles II. die Vorwürfe, Hobbes sei ein
Atheist und
Verräter. Er war in der Tat
radikaler geworden. Anders als in früheren Werken trat er im Leviathan entschlossen auf und nahm keine Rücksicht mehr auf Traditionen oder politische Bindungen. Sein Denken war auf seinem
Zenit angelangt, alle in früheren Schriften noch vorsichtigen Schritte hatte er
radikal zu Ende gedacht.
Diese
Kompromisslosigkeit machte ihm politische Feinde: Seine Widersacher, die stärker auf die aktuellen politischen Machtveränderungen achteten als er, nutzten sie, um ihn bei Hof zu isolieren. Also floh er im gleichen Jahr nach England zurück, wo sein
Hauptwerk erschien. Für eine lateinische Übersetzung seines Buches - Latein war damals die Weltsprache der Gelehrten - erhielt er in seinem Heimatland
keine Druckerlaubnis. Diese Übersetzung erschien deshalb in
Amsterdam.
Nach der
Erstausgabe 1651 ist der Leviathan in England erst wieder
1840 verlegt worden.
Wirkungsgeschichte
Der deutsche Philosoph
Gottfried Wilhelm Leibniz bescheinigte Hobbes, er sei der
Erste gewesen, der in der
Staats- und
Rechtsphilosophie die richtige
Argumentations- und
Demonstrationsmethode angewandt habe.
Bis heute besticht sein Werk durch
Originalität und
Radikalität. Hobbes wurde schon früh als eigenständiger Denker anerkannt, der mit der geistesgeschichtlichen Tradition brach. An seinem staatstheoretischen Gedankengebäude
messen sich politische Theorien bis heute.
Nach Erscheinen des Leviathan begann eine jahrzehntelange Kontroverse um das Buch. In England erschienen gut 100 Pamphlete
gegen Hobbes, kaum eines sprach für ihn. Viele machten sich über den Titel lustig:
Warum sollte ein Ungeheuer aus der Vorstellungswelt der Antike Sinnbild für einen vernünftigen Staat sein? Hobbes selbst galt vielen als gottloses, rebellisches "Monster".
Er wurde
angefeindet, sogar
bedroht: Immerhin gab es zu dieser Zeit noch Ketzerprozesse. Englands Kirchen warfen ihm vor,
Atheist zu sein (was er
nicht war), weil er viele kirchliche Grundannahmen bestritt und die Nähe des christlichen Glaubens zum Aberglauben darstellte.
Die
Universität Oxford -
seine Universität -
verbrannte wenige Jahre
nach seinem Tod seine politischen Schriften wegen ihrer angeblich
verderblichen Wirkung in Bezug auf Staat, Herrschaft und Kirche.
Auf dem Kontinent dagegen war die Wirkung auf die Gesellschaftsphilosophie von Anfang an groß; nicht nur der junge
Leibniz bekannte sich zu
Hobbes, auch
Baruch Spinozas - Tractatus theologico-politicus (1670) ist unverkennbar von ihm geprägt.
David Hume, Jean-Jacques Rousseau, Denis Diderot, Immanuel Kant und
Karl Marx, sie alle sind maßgeblich von ihm beeinflusst worden.
Hobbes hat das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, Macht und Recht erstmalig auf provozierende und produktive Weise thematisiert und regte zum
Nach- und
Weiterdenken an.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel stellte beispielsweise fest, dass der Kampf aller gegen alle in der bürgerlichen Gesellschaft keineswegs aufgehoben sei, sondern erst richtig entbrenne.
Über den Autor
Thomas Hobbes wird am 5. April 1588 in Westport (England) geboren. Sein Vater, ein wenig gebildeter Landgeistlicher und Trunkenbold, macht sich nach einer Schlägerei mit einem Glaubensbruder auf und davon. Glück im Unglück: Ab sofort kümmert sich Hobbes' Onkel um seine Ausbildung. Er erlernt in
Oxford die klassischen Sprachen und die Physik und Logik Aristoteles' kennen. 1608 beendet er das Studium und wird Tutor, später Privatsekretär in der hochadeligen Familie Cavendish. Diese Tätigkeit führt den jungen Hobbes ins Ausland: Er begleitet seine adeligen Schützlinge mehrfach auf die übliche "Grand Tour", die oft mehrjährige Bildungsreise auf den Kontinent.
Hobbes beginnt einen intensiven geistigen Austausch mit Philosophen seiner Zeit:
Francis Bacon, René Descartes, möglicherweise auch
Galileo Galilei. Seine wichtigsten
philosophischen Themen werden die
Staatsverfassung, die
Willensfreiheit und die
Bedingungen der
Möglichkeit für
eine menschliche Gesellschaft.
Im englischen Bürgerkrieg unterstützt er die
absolutistische Staatsverfassung. 1640 veröffentlicht er die
Elements of Law, in denen auch seine Abhandlung
Human Nature enthalten ist, und verteilt sie unter den
Abgeordneten des Parlaments, um sie
für die
Sache des Königs zu beeinflussen. Als das Parlament die
Vertreter der absolutistischen Politik des Königs unter Anklage stellen will, fühlt sich Hobbes bedroht und flieht nach Frankreich. Dort erteilt er dem Thronaspiranten Charles Stuart Mathematikunterricht. 1647 erkrankt Hobbes schwer und behält eine Schüttellähmung zurück, die ihn zwingt, einen Schreiber zu beschäftigen. Hobbes wird am Exilhof des englischen Königs in Paris isoliert, man bezichtigt ihn des Verrats. Er kehrt nach England zurück, verpflichtet sich dem republikanischen England gegenüber zur Treue, gerät dann aber später wieder in eine prekäre Situation, als 1660 die Monarchie restauriert wird und die Republikaner mit dem Tod bedroht werden. Hobbes bleibt aber unbehelligt und verbringt den Rest seines Lebens als Gast beim
Earl of Devonshire sowie in London. Er veröffentlicht
philosophische Schriften und fordert die
Säkularisierung der
Universitäten. 1679 stirbt Hobbes 91-jährig.
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