5.August.1993 in "The Gazette Montreal
Autor erzählt Erlebnisse von Nazi-Konzentrationslager
ST.LAURENT
Als elfjähriger Häftlingsjunge wurde Moshe Peer mindestens sechsmal in die Gaskammer des Konzentrationslagers Bergen-Belsen geschickt. Er überlebte jedes Malund beobachtete dabei mit Grauen, wie die mit ihm in die Gaskammer gebrachten Frauen und Kinder um ihn herum vergast zusammenfielen und starben. Bis zum heutigen Tag weiß Peer selber nicht, wie er die Vergasungen überleben konnte. “Vielleicht widerstehen Kinder besser, ich weiß nicht,” sagte Peer in einem Interview letzte Woche.
Neunzehn Jahre arbeitete der nun 60jährige Peer an einem Buch über seine Horrorerlebnisse in Bergen-Belsen, die er als Rechenschaftsbericht aus erster Hand versteht. Am Sonntag sprach er vor etwa 300 jungen Erwachsenen in der Petah Tikva Sepharden Gemeinde in St. Laurent über sein Buch und seine Erfahrung als Holocaust-Überlebender.
Die Versammlung war Teil des von der Synagoge ausgerichteten Shabbaton 93, an dem junge Erwachsene aus ganz Nordamerika zum Zwecke eines kulturellen und sozialen Erlebnisses teilnahmen.
Peers Buch mit dem Titel "Unvergeßliches Bergen-Belsen" vermittelt dem Leser das Gefühl, als sei er Zeuge der Belsener Szenerie. Peer gibt aber zu, daß er es nie schaffen wird, die von ihm erlebte lebendige Hölle wirklichkeitsgetreu darzustellen. "Der Zustand im Lager ist nicht zu beschreiben." sagte Peer. "Es ist nicht möglich, den Horror mit nach Hause zu nehmen."
1942, im Alter von 9 Jahren, wurden er und sein jüngerer Bruder und Schwester in ihrer Heimat Frankreich verhaftet. Ihre Mutter kam nach Auschwitz. Sie kehrte nicht zurück. Peer und seine Geschwister kamen zwei Jahre später nach Bergen-Belsen. Für ihn war die Trennung von seinen Eltern eine Qual, aber im Lager überleben zu wollen, wurde rasch zur Priorität.
"Da lagen Teile von Körpern und ganze Körper herum. Manche lebten, manche waren tot," erinnert sich Peer. "Bergen-Belsen war schlimmer als Auschwitz. In Auschwitz wurden die Leute sofort vergast, wodurch sie nicht lange leiden mußten. Aber in Bergen-Belsen verbrachten die Menschen Monate um Monate, bis sie starben. Sie litten eine lange Zeit."
Peer berichtete von russischen Gefangenen, die in einem offenen Lager "wie Hengste" gehalten wurden. Sie bekamen kein Wasser und nichts zu Essen. "Einige drehten wegen des Hungers durch. (...) Fiel jemand während des Appells um, wurde er auf der Stelle geschlagen. Nach dem Appell mußten die Gefangenen wieder in ihre Barracken zurück, wo sie ein kleines Stückchen Brot mit gefärbtem Wasser erhielten. Peer und seine Geschwister - die alle überlebten - wurden von zwei Lagerfrauen versorgt. Es gelang ihm nicht, die beiden Frauen nach dem Krieg ausfindig zu machen. Kinder spielten im Lager Fangen. Aber es gab immer welche, die zu schwach oder zu krank waren, um hoch zu kommen.
Nach dem Krieg traf sich Peer wieder mit seinem Vater und seiner Familie in Paris und sie gingen nach Israel. Peers vier Kinder wurden dort geboren. Nach dem Militärdienst in einigen Kriegen wanderte Peer 1974 nach Montreal aus. Selbst 49 Jahre später wird Peer immer noch von seinen Erlebnissen heimgesucht und liegt nachts wach. Was ihn aber am meisten verbittert, ist, daß der Rest der Welt zuschaute und den Holocaust geschehen ließ. "Niemand sagte den Deutschen, es nicht zu tun. Sie hatten die Erlaubnis der ganzen Welt," sagte er.
Eines der letzten Wunder unserer Zeit?