----------Für zwei junge Leute im Südosten der Türkei ist der Tag ihrer Hochzeit zum schwärzesten Tag ihres Lebens geworden. „Ich hatte Träume“, sagt die 17-jährige Braut. „Aber die sind jetzt dahin.“ Auch ihr drei Jahre jüngerer Bräutigam wehrte sich vergeblich gegen die Eheschließung. Er geht noch zur Schule, wollte Lehrer werden und später einmal aus Liebe heiraten. Jetzt sagt er: „Es gibt kein Zurück mehr.“ Die zwei Kinder im südostanatolischen Diyarbakir wurden zu unfreiweilligen Hauptpersonen einer Zwangsheirat. Ihre verfeindeten Familien legten damit einen Streit bei, der sonst wahrscheinlich in einen blutigen Kleinkrieg umgeschlagen wäre. Obwohl sie das Leben der beiden Teenager zerstört haben, sind sich die Erwachsenen keiner Schuld bewusst. „Wir haben nur nach unseren Bräuchen gehandelt“, sagt die Mutter des Bräutigams. „Berdel“ -Mädchentausch - nennen die Türken die Tradition der Zwangsvermählungen, bei denen ein Junge und ein Mädchen aus der einen Familie mit zwei jungen Leuten aus einer anderen Sippe verheiratet werden. Manchmal wollen die Familien mit der Doppelheirat das sonst fällige Brautgeld sparen, manchmal werden damit Streitigkeiten beigelegt. Gefragt werden die Brautleute in keinem Fall. In Seifenopern im türkischen Fernsehen kommt der Brauch hin und wieder in Herzschmerz-Geschichten vor, doch im armen und sozial rückständigen Südosten des Landes ist er harte Realität. Umfragen zufolge fürchten sich 90 Prozent der jungen Frauen im südostanatolischen Kurdengebiet vor einer Zwangsheirat.
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