"Lobbyisten der Ausländer"
Eintagsfliegen haben naturgemäß ein kurzes Gedächtnis. Damit sind sie gewissermaßen die Politiker unter den Insekten. Sie schwirren in Berlin ebenso herum wie in Brüssel. Nehmen wir zum Beispiel den EU-Innen- und Justizkommissar Franco Frattini. Er kam jetzt mit einer für ihn völlig neuen Idee auf den Markt: der "zirkulären Migration". Gemeint ist eine Einwanderung auf Zeit. Die EU-Staaten (bekanntlich unter Vollbeschäftigung leidend) sollen sich für "Saisonarbeiter" aus der Dritten Welt öffnen. Zugleich will man die Herkunftsländer verpflichten, ihre Bürger anschließend wieder aufzunehmen. Selbst der ansonsten so miesepetrige Wolfgang Schäuble strahlt: Endlich hat jemand das Rad erfunden!
Dummerweise gibt es Lebewesen, deren Gedächtnis nicht ganz so kurz ist. Die sensationelle Eingebung des Franco Frattini hat mindestens 40 Jahre auf dem Buckel. Sie wurde einst Fleisch in der Figur des "Gastarbeiters" und liegt seit geraumer Zeit moosbewachsen auf dem Friedhof politischer Schnapsideen. Die vermeintlichen Gäste kehrten keineswegs in ihre Heimat zurück. Im Gegenteil. Sie holten Freunde und Verwandte nach, vervielfältigten sich innerhalb weniger Jahre zu Millionen und mühen sich heute nach Kräften, die verbliebenen Eingeborenen in das parallelgesellschaftliche Multi-Kulti-Patchwork zu integrieren.
Das Frattini-Rad sieht rund aus, aber es dreht sich nicht. Wer den Einzug ins Schlaraffenland geschafft hat, den kriegen keine zehn Pferde mehr weg. Die in Brüssel ausgeheckte Migranten-Zirkulation findet allenfalls zwischen Arbeitsagentur und Sozialamt statt - beflügelt von der Erfahrung, daß man sich nur lange genug vor der Ausreise drücken muß, um schließlich doch noch einen Aufenthaltstitel zu ergattern. Die Herkunftsländer können sich leicht zur Wiederaufnahme ihrer Ex-Bewohner verpflichten, solange in den Wirtsvölkern eine Gutmenschen-Lobby die (ohnehin längst überfällige) Massenabschiebung verhindert.
Zu dieser Lobby zählt der ehemalige CDU-Generalsekretär Geißler. Er nennt sich "Heiner", weil ihn sein richtiger Vorname Heinrich wohl zu deutsch dünkt. Der mittlerweile 77jährige ist vor allem für zuwandernde Frauen dankbar. "Es ist ein Glück", jubiliert er, "heute muß es der Hans nicht länger mit der Grete treiben". Denn: "Die wahren menschlichen Beziehungen sind nicht national, sondern international und rassenübergreifend." Auch deshalb ist Geißler jetzt dem linken Polit-Netzwerk Attac beigetreten. Dieses will den G-8-Gipfel in Heiligendamm mit Massendemonstrationen begleiten - rassenübergreifend.
Attac kämpfe "für eine soziale und ökologische Globalisierung", begründet Geißler sein neues Engagement. Wenigstens das ist ehrlich. In den Medien erscheinen die Attac-Aktivisten oft als Kritiker oder gar als Gegner der Globalisierung. Tatsächlich sind sie das, was Lenin einst als "nützliche Idioten" bezeichnete. Sie gaukeln sich vor, die real existierende Globalisierung sei eine noch nicht ganz ausgereifte Frühform ihrer selbst. Wie einst beim Sozialismus müsse die mangelhafte Praxis nur ein wenig nachgebessert werden, dann eröffne sich das so heiß ersehnte Paradies auf Erden. Mit Geißler als Pförtner.
Aber wie heißt es so trefflich? Im Falschen kann nichts richtig sein. Die Expansion einer verfehlten Idee vergrößert höchstens den Schaden. Der Mensch organisiert seine Wohlfahrt in Solidargemeinschaften. Die wichtigste ist der Nationalstaat. Er schafft sozialen Ausgleich, hilft den Schwachen und gewährleistet demokratische Teilhabe. Wer ihn schleift, zerstört die politische Schutzhülle des Volkes. Das bedeutet: An der Globalisierung ist nicht die Form, sondern das Prinzip falsch.
Wir müssen Lobbyisten für die Ausländer sein", ruft Heiner Geißler. Mit gleicher Logik hat er einst dafür gesorgt, daß sich die CDU zu einer zweiten SPD entwickelte. Man vertritt nicht mehr sich selbst, sondern den anderen - was zwangsläufig im Identitätsverlust endet. Um die CDU ist es nicht schade. Aber die Deutschen sollten sich noch einmal gut überlegen, ob sie sich am Zug der Attac-Lemminge beteiligen. Dann könnten sie sich allerdings gleich auf Rügen über die Klippen stürzen - ohne Umweg über Heiligendamm.
Geißlers jüngstes Buch trägt übrigens den Titel: "Was würde Jesus heute sagen?" Die Frage ist rhetorisch gemeint. Der Autor beantwortet sie mit intimer Einfühlungsgabe - wie ein Vater, der seinen Sohn genau kennt. Aus jener himmlischen Warte ist Menschheitsbeglückung natürlich kein Problem.