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In den vergangenen Monaten hatte Ghazi reichlich Gelegenheit, den General zu verhöhnen. Amerikanische Minister, Politiker, Bürokraten, Offiziere und Sicherheitsexperten gaben sich einander in Islamabad die Klinke in die Hand. Sie alle sind von der Sorge getrieben, dass Pakistan, der Schlüsselstaat im Kampf gegen den Terror, »wegbrechen« könnte. US-Vizepräsident Dick Cheney überbrachte im Februar dieses Jahres die deutlichste Botschaft. Entweder werde der General im Kampf gegen die Taliban härter auftreten, soll Cheney zu Musharraf gesagt haben, oder die USA würden ihre finanzielle und militärische Hilfe kürzen. Das kam einem Befehl ziemlich nahe.
Für Abdul Raschid Ghazi war der Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten eine besondere Genugtuung. Dass Cheney so hart mit dem General ins Gericht ging, ist auch auf Ghazi zurückzuführen. Der nämlich gilt als führender Talib, auch wenn er diesen Begriff ablehnt, weil »Afghanistan ein anderes Land mit anderen Traditionen ist«. Ghazis Ideen und Methoden aber gleichen denen der Taliban: »Wir wollen ein islamisches System. Wir wollen die Scharia. Wenn die Regierung sie nicht durchsetzt, dann wird es das Volk tun.«
Ghazi hat sein ganz eigenes Volk, die Schüler und Schülerinnen seiner Medressen Dschamia Fareedia und Dschamia Hafza. Die Madrassen liegen im Herzen der Hauptstadt Islamabad, gleich neben der Roten Moschee, die eine Hochburg der Radikalen ist. Sie haben zusammen rund 8000 Schüler, mehr als die Hälfte davon Frauen. Ghazis Schülerinnen waren es auch, die nahezu eine Staatskrise auslösten, als sie Ende März eine kleine staatliche Bibliothek besetzten. Tiefschwarz verschleiert und mit langen Stöcken bewaffnet, stürmten die Frauen die Bibliothek und halten sie bis zum heutigen Tag besetzt. Gleichzeitig nahmen sie eine Frau fest, die angeblich ein Bordell betrieb. Seither treiben die Schülerinnen der Dschamia Hafza ihre Kampagne gegen die »Amoralität« voran, wie sich die 16-jährige Zanib Bibi ausdrückt. »Wir lernen in der Medresse, was Sünde ist und was nicht. Viele Menschen haben das vergessen!« Vergangene Woche erst brachen die Medresse-Schülerinnen in einem Massagesalon ein. Sie setzten 25 Chinesinnen fest, die sie allerdings nach Intervention des chinesischen Botschafters bei der pakistanischen Regierung wieder freiließen. Pakistan hat zu China traditionell sehr enge Beziehungen. »Wir mussten uns wehren«, begründet Ghazi die Aktionen, »denn die Regierung hat eine Reihe von Moscheen abreißen lassen!« Tatsächlich haben die Behörden in Islamabad kleine illegal gebaute Moscheen einebnen lassen, um neue Straßen zu bauen.
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Kampf gegen die Taliban zu führen heißt für die pakistanische Regierung meist auch, die Paschtunen zu bekämpfen, die auf pakistanischer Seite der Grenze leben. Das ist eine heikle Angelegenheit für Musharraf, aus der seine Gegner leicht Kapital schlagen können. »Er führt auf Befehl der USA gegen das eigene Volk Krieg« – so kommentiert Abdul Raschid Ghazi die Forderung der USA an Musharraf, mehr gegen den Terrorismus zu tun. Die Brüder Ghazi sollen vor einiger Zeit eine Fatwa erlassen haben, wonach Soldaten, die in den pakistanischen Grenzgebieten kämpfend sterben, ein muslimisches Begräbnis verweigert werden soll. Das war ein gezielter Schlag gegen eine Armee, die sich als Wächter des islamischen Staates Pakistan versteht. Die Fatwa sollte die Soldaten in Gewissenskonflikte stürzen. Wenn sie ihre Befehle ausführten, würde Allah sie verstoßen. Ghazi sagt, dass das nicht so eindeutig gemeint gewesen sei. »Wir haben nur gesagt, dass wir darüber nachdenken sollen, ob ein solcher Soldat eine respektvolles Begräbnis erhalten solle oder nicht!« Dann lächelt er wieder das zufriedene Lächeln eines Mannes, dem ein Coup gelungen ist.
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Die Analyse Siddiqas hat etwas Beruhigendes und Beunruhigendes zugleich. Das Beruhigende besteht darin, dass eine Kaste, die über solch gewaltige Pfründen verfügt, nicht zu ideologischem Radikalismus neigt. Dem pakistanischen Militär als Institution geht es weniger um Allah als um den Mammon. Das macht die Generäle berechenbar. Sie mögen die fundamentalistischen Mullahs hofieren. Doch das geschieht aus opportunistischen Motiven, nicht aus innerster Überzeugung. Das Beunruhigende am Buch Siddiqas allerdings ist, dass dieses Militär keinerlei demokratische Kontrolle will, sie per definitionem ablehnt. Ohne demokratische Reformen – so scheint es – kann sich Musharraf aber nicht mehr lange halten. Zu groß ist der Druck von der Straße, zu instabil wird das Land.
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