Israelische Siedlungspolitik
"Die Hälfte unseres Ackerlands verloren"
Die jüdischen Siedlungen im Westjordanland wachsen allen Abkommen zum Trotz weiter. Für viele Familien schwindet damit ihre Lebensgrundlage. Awad und Adallah Abu Swai setzen all ihre Hoffnung in einen Prozess vor Gericht.
Von Torsten Teichmann, ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv
Südlich von Bethlehem, tief im Westjordanland. Der Palästinenser Awad Abu Swai spricht schnell und aufgeregt in sein Handy. Dabei schaut er auf einen kleinen Hügel, der nur 400 Meter entfernt ist. Das Land dort gehört unter anderem seiner Familie. Aber die 40 Personen auf der Kuppe sind keine Verwandten. Es sind jüdische Siedler. Abu Swai fürchtet, dass sie ihm auch dieses Stück Boden nehmen wollen: "Siedler aus der ganzen Welt dürfen sich hier einrichten. Aber ich, als Besitzer des Landes habe keine Rechte?"
In allen jüngeren Abkommen zwischen der israelischen Regierung und den Vertretern der Palästinenser ist der Stopp des Siedlungsbaus im Westjordanland ein zentraler Punkt. Israel ist dem nie nachgekommen. Im Gegenteil: In den vergangenen Jahren sind existierende Siedlungen auf palästinensischem Boden noch einmal gewachsen. Auch neben dem Haus der Familie Abu Swai fahren große Baumaschinen: Ein Kanal für Fäkalien wird dort offenbar gebaut und außerdem zwei Straßen für die Siedler. Früher standen genau dort Aprikosenbäume der Familie, sagt Abu Swaid.
Papiere aus der Zeit des Osmanischen Reiches
Vom Dach des Hauses aus gibt es den besten Überblick: Links liegt die jüdische Siedlung Eifrat, mit vielen, massiven Steinhäusern. Schräg davor ist eine Siedlung mit weißen Wohnwagen zu sehen. Und noch einmal weiter rechts liegt der Hügel, auf dem gerade die Siedler stehen.
Awad Abu Swai und sein Bruder Abdallah wollen sich wehren. Sie haben Beweise für ihren Landbesitz: Papiere aus der Zeit der Osmanischen Reiches, des britischen Mandats und von israelischen Behörden. Sie wollen klagen. Der Prozess dauert lang und kostet viel Geld. Aber es ist ihre letzte Hoffnung, einen Teil ihres Landes zu behalten.
Im Dorf Um Salamona ist es dafür zu spät. Der Bürgermeister Mahmud Taqarqa zeigt, wo in Zukunft die Grenzanlage verlaufen soll, die an vielen Stellen eine Mauer ist. Eine Karte des Applied Research Instituts zufolge verläuft die geplante Trennlinie zehn Kilometer östlich der international anerkannten Grenzlinie. Also wieder auf palästinensischem Grund und Boden: "Das Gebiet, das beschlagnahmt worden ist, umfasst 200.000 Quadratmeter. 300.000 Quadratmeter liegen auf der anderen Seite der Mauer. Das bedeutet: Das Dorf hat die Hälfte seines Ackerlands verloren".
In der Gegend südlich von Bethlehem ist die Landwirtschaft für viele Familien die einzige Einnahmequelle. Es gibt keine andere Arbeit. Die Väter sitzen bereits daheim - aber was soll aus den Söhnen werden, die kein Land mehr erben? Dass die neuesten diplomatischen Vermittlungsversuche daran etwas ändern, bezweifelt Taquara: "Darüber sprechen alle: Was wollen Olmert und Abbas eigentlich beraten? Wenn sie sich treffen und gleichzeitig der Bau der Mauer und der Siedlungen weitergeht? Was haben die dann zu beraten?"
"Wir wollen Pflanzen setzen"
Wieder passieren Autos der Siedler das Haus der Familie Abu Swai. Sie seien eingeladen zu einem Picknick, erklärt eine Frau. Über die Frage, wem das Land gehört, will sie nicht sprechen.
Awad Abu Swai hält Abstand. Er fürchtet, von der israelischen Armee verhaftet zu werden, wenn er jetzt auf seinen Hügel marschiert. Aber er hat einen anderen Plan: "Wir wollen Pflanzen setzen. Denn die Siedler berufen sich darauf, dass der Hügel nicht genutzt werde. Also holen wir diese Woche Bäume, pumpen Wasser und beackern den Boden, so Gott will."