Der Schriftsteller Ralph Giordano hatte sich zuletzt mit harschen Worten in die Auseinandersetzung um den gepanten Kölner Moscheebau eingeschaltet, teilweise mit Formulierungen, die auch ich als jenseits des Vertretbaren angesehen hatte. Insbesondere fühlten sich einige junge Muslime zu Unrecht in Generalhaftung genommen.
Nun hat er einen (am Sonntag im Kölner Stadtanzeiger veröffentlichten) Offenen Brief an diese Jugendlichen geschrieben, in dem er seine Haltung näher - und sehr differenziert - erläutert. Nicht nur in Rahmen der Debatte um die Kölner Moschee halte ich diesen Brief für Pflichtlektüre, unabhängig davon, daß ich mir den einen oder anderen Punkt darin nicht zueigen mache.
Einige Auszüge:
"Sie fragen: »Meinen Sie uns, Herr Giordano?« Ich antworte: Solange Sie wahrheitswidrig so tun, als sei Ihre gelungene Einordnung in die Gesellschaft exemplarisch für den Status quo der muslimischen Minderheit in Deutschland, und dabei wirklichkeitsferne Sätze fallen wie »die Frage nach Integration stelle sich gar nicht« - so lange meine ich Sie.
Sollten Sie aber ebenso erschüttert sein wie ich über das, was türkische Kritikerinnen berichtet haben aus dem Alltag von Unterdrückung, Abschottung, Ausbeutung, Zwangsehe und Gefangenschaft muslimischer Frauen und Mädchen als Norm - dann meine ich Sie nicht. Solange Sie es widerspruchslos hinnehmen, dass islamische Gebetsstätten in Deutschland nach Eroberern der türkisch-osmanischen Geschichte benannt werden (wie Sultan Selim I. und Mehmet II., Erstürmer von Konstantinopel), so genannte Fatih-Moscheen - so lange meine ich Sie.
(...) Sollte aber von Ihrer Seite eine klare, unmissverständliche Abkehr von der Scharia kommen, dem islamischen »Rechtssystem«, das mit Demokratie, Menschenrechten, Meinungsfreiheit, Gleichstellung der Geschlechter und Pluralismus unvereinbar ist - dann meine ich Sie nicht.
Solange Sie bestreiten, dass es in den Parallelgesellschaften türkische Gewaltkultur gibt, überbordenden Nationalismus, offenen Fundamentalismus, ausgeprägten Antisemitismus und öffentliches Siegergebaren mit demographischer Drohung - so lange meine ich Sie.
(...) Ich sehe auf dem Foto in Ihre jungen Gesichter, empfinde dabei große Sympathien und möchte mich mit Ihnen eigentlich gar nicht streiten, sondern viel lieber mit Ihnen sprechen - außerhalb der Ditib. Das ist ein Angebot."
[Links nur für registrierte Nutzer]