Das ICH ist eine Einbahnstraße
Spiegel: Herr Roth, wann haben Sie zuletzt versucht, sich zu ändern?
Roth: Ich mich selber? Das geht gar nicht! Das habe ich aufgegeben.
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Roth: Es ist eine Urform unseres Selbst; die psychische Grundausstattung, mit der wir auf die Welt kommen. Daraus entsteht alles andere. Man kann es auch Temprament nennen.
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Roth: Die Gene bestimmen zwischen 20 und 50 Prozent der Persönlichkeit eines Menschen. Aber auch das, was eine Frau während der Schwangerschaft erlebt, entscheidet mit über das Temprament eines Kindes: Ob es offen oder ängstlich sein wird, ein stabiles oder ein zaghaftes Ego entwickelt, ob es pedantisch ist oder lässig. Diese Weichen stellt das limbische System [...] das ab der sechsten Schwangerschaftswoche entsteht.
Roth: Der Spielraum, in dem der Mensch überhaupt empfinden kann, ist bei der Geburt bereits in beträchtlichem Maße umrissen.
Roth: Das unbewusste Selbst ist in seinen neuronalen Grundzügen kaum kaputtzukriegen. Wahrscheinlich gehörten die Lebenstüchtigen zu den sicher gebundenen Kindern. Zusammen mit einer positiven genetischen Veranlagung macht das einen Menschen ziemlich unverwundbar. Experten bezeichnen das als Resilienz.
Spiegel: Kann ein Kind auch später noch dieser Widerstandskraft erlangen?
Roth: Kaum. Denn das unbewusste Selbst lässt sich die Regie nicht mehr aus der Hand nehmen, wenn das Kind mit etwa 3 Jahren sein Kleinkindverhalten ablegt. Dann beginnt eine völlig neue Phase, die er bewussten sozialen Prägung. Sie dauert zwar lang, bis zum 20. Lebensjahr; bis dahin ist der orbifortale Cortex , in dem die Ergebnisse unserer Erziehung abgespeichert sind, ausgereift. Aber aus einem vertrödelten Kleinkind wird niemals ein pünktlicher Erwachsener werden. ...
Roth: Das eigentliche Problem ist: Wir sehen uns selbst immer nur so, wie es das das Unbewusste, das Kleinkind in uns zulässt. Und das hat gelernt, wie es sich sehen muss, damit es sich gut fühlt. Deshalb können wir kein objektives Bild von uns haben, sondern sehen uns immer positiver, als die anderen das tun. Das trifft auf Männer noch eher zu als auf Frauen. [...] Frauen neigen signifikant dazu, sich schlechter zu machen, als sie sind – Männer zum Gegenteil.
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Roth: Die Persönlichkeit eines Menschen gibt nun mal den Rahmen vor, an dem er sich langhangelt. Bei machen ist der sehr eng; diese Menschen sind absolut null anpassungsfähig. Dazu gehören auch Erfinder, Politiker und Entdecker, die sich durch keinen Mißerfolg abschrecken lassen.
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Roth: Sprachentwicklung, Kommunikation, Diplomatie – da können wir mit 50,60,70 alles Mögliche lernen. Unser akademisches Wissen können wir ein Leben lang entwickeln. [...] Aber nur an der Oberfläche.
Was sich früh ausbildet und unser Verhalten am stärksten beeinflusst – unser emotionales Grundgerüst -, hört am frühesten auf, stark veränderbar zu sein. Und was am längsten veränderbar ist – das rationale Wissen -, hat am wenigsten Auswirkungen auf unser Verhalten.
(Auszug aus Interview im Spiegel Nr. 35)