Wenn Soldaten keine Märtyrer sein wollen
Die acht von der PKK freigelassenen Türken werden in ihrem Land als Feiglinge beschimpft. Weil sie noch leben.
Von Kai Strittmatter
Sind tote Soldaten die besseren Soldaten? Ist Überleben im Krieg ein Zeichen von Feigheit? Diese bizarren Fragen debattiert die Türkei, seit die PKK am Montag acht entführte türkische Soldaten freigelassen hat.
Als am 21. Oktober 20 Soldaten in einen Hinterhalt gerieten, bei dem zwölf getötet wurden, da waren die restlichen acht wahrscheinlich froh, mit dem Leben davongekommen zu sein. Noch erleichterter waren sie wohl, als die PKK sie nach einer Gefangenschaft von nur zwei Wochen in die Türkei zurückschickte. Ihr Land jedoch begrüßte sie nicht mit Freude, noch nicht einmal mit Erleichterung.
Während ein großer Teil von Politik und Medien lange angestrengt versuchte, sie zu ignorieren, sagte Justizminister Mehmet Ali Sahin, er sei "sehr traurig gestimmt" und könne sich "nicht freuen über die Freilassung der acht". Weshalb? "Kein Mitglied der türkischen Streitkräfte sollte in eine solche Lage geraten."
Der Türkei keine Ehre gemacht
Auf Nachfrage sagte der Minister: "Es hat mich sehr gestört, dass der Eindruck entstanden ist, dass ein türkischer Soldat mit ein paar Räubern mitgeht. So wurde der Propaganda der Terrororganisation der Boden bereitet." Was der Türkei Ehre mache, seien "Soldaten, die beim Schutze ihres Landes wenn nötig jederzeit das Märtyrertum ins Auge fassen."
Mancher im Publikum musste da erst einmal schlucken. "Was bitte erwartet der Minister von ihnen?", fragte der Istanbuler Politologe Ahmet Insel im Radio empört: "Hätten sie wie die Japaner etwa Harakiri machen sollen?" Bald jedoch zeigte sich, dass der Justizminister nicht völlig Unrecht hatte, als er sich danach verteidigte, er habe lediglich "die Gefühle der Gesellschaft wiedergegeben".
Es ist dies die Zeit in der Türkei, da schrill zum Krieg getrommelt wird, da die Titelblätter der Zeitungen den türkischen Soldaten nur in zweierlei Posen abbilden: als waffenstarrende Rambos, die ungerührt durch den Schlachtenrauch marschieren - oder als Märtyrer, die die Nation rächen muss.
Die Bilder der acht Gefangenen, die sie unversehrt im Verein mit ihren Kidnappern zeigen und die Freilassung, um die sich offenbar auch Abgeordnete der türkischen Kurdenpartei DTP bemüht hatten, all das passte vielen nicht ins Konzept. In den Zeitungen, auf Webseiten wurden Verleumdungen gestreut: Die acht hätten sich kampflos ergeben und so "Ehre und Stolz" der Armee beschmutzt, ist eine. Es befänden sich "Maulwürfe" unter den Rückkehrern, eine andere.
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Aber auch türkische Liberale sind fassungslos. "Eine Schande, eine Sünde",
nennt die Autorin Perihan Magden die Äußerungen Sahins. "Man weiß nicht, wie viele Länder es gibt in der Welt, die ihre Toten mehr lieben als ihre Lebenden", fragt der Politologe Soli Özel aus Ankara. Und Bürgerrechtler Orhan Cemal Cengiz schrieb, hier zeige sich "ein Nationalismus, dessen Liebe einzig der Nation gilt, nicht aber den Menschen, die diese Nation ausmachen."
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