In der Kurdenfrage besteht die Gefahr, dass die staatlichen Angebote zu spät, um wirklich zu einem Frieden zu führen
Neue Einsicht in Ankara
Kommentar von Jürgen Gottschlich
Es ist eine gute Nachricht für den Start der Türkei ins neue Jahr. Nach längerer Unterbrechung spricht die Regierung wieder intensiver mit dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan über eine politische Lösung des Kurdenkonflikts.
Offenbar ist man in Ankara nach einigen Zweifeln jetzt doch davon überzeugt, dass Öcalan noch genügend Einfluss auf die Guerilla der PKK hat, um über ihn einen Waffenstillstand und womöglich das Ende des bewaffneten Kampfes in die Wege leiten zu können.
Die PKK hat im letzten Jahr eindrücklich unter Beweis gestellt, dass sie nach wie vor in der Lage ist, auch größere militärische Aktionen in der Türkei durchzuführen. Dabei mag ihr der syrische Diktator Assad geholfen haben, aber auch für die nahe Zukunft gilt, dass der Bürgerkrieg in Syrien und die instabile Lage im Irak dazu führen kann, dass die PKK eher mehr als weniger Spielraum für ihre Aktionen bekommen wird.
Außerdem droht aus Sicht der türkischen Regierung nach der autonomen kurdischen Region im Nordirak nun auch noch eine autonome kurdische Zone in Syrien. Alles Gründe, ernsthaft zu versuchen, den jahrzehntelangen blutigen Konflikt mit der PKK endlich zu lösen.
Die türkische Regierung, und vor allem ihr uneingeschränkter Chef Tayyip Erdogan, muss sich jetzt entscheiden,
ob sie den Kurden echte politische Zugeständnisse anbieten will oder nicht. Lange war es ein Tabu, dass die Regierung mit Öcalan verhandelt. Das gilt zwar so nicht mehr. Aber eine Autonomie, die das zentralstaatliche System der Türkei substanziell in Frage stellt, wird von der Mehrheit der türkischen Gesellschaft nach wie vor vehement abgelehnt.
In der Kurdenfrage besteht deshalb immer die Gefahr, dass die staatlichen Angebote, wenn sie denn kommen, zu spät und zu substanzlos sind, um wirklich zu einem Frieden zu führen.