Die S-Bahn (Rinbahn) verkehrte vor diesem Tag noch ungehindert zwischen Ost- und Westberlin. Die S-Bahn unterstand der DDR „Reichsbahn“ und wurde von ihr verwaltet. Das Bahnpersonal war zum großen Teil in der SED oder SEW organisiert, DDR-Bahnpolizei konntrollierte und sicherte alle Bahnanlagen, hatte aber im Westsektor auf den Bahnhöfen keine Hoheitsbefugnisse. War alles durch alliierte Kontrollratsbeschüsse so geregelt.
Die Straßenübergänge zwischen Ost- und Westberlin waren frei und unkontrolliert. Auf Westberliner Seite machten Schilder in verschiedenen Sprachen darauf aufmerksam, daß man jetzt die Westsektoren verläßt. Auf Ostberliner Seite sah man gelegentlich einen Doppelposten Vopos, den man um den Weg fragen konnte.
In den letzten Wochen vor dem Mauerbau war eine erhöhte Fluchtbewegung per S-Bahn zu bemerken. Bis zu 2000 Personen verließen täglich in Fluchtabsicht, zwischen den normalen Reisenden und dem Pendlerverkehr zu den Arbeitsstätten in W-Berlin, den Ostsektor. Personen mit Koffern wurden auf den Ostberliner Bahnhöfen und im Vorfeld der grenzüberschreitenden Straßen angehalten und kontrolliert.
Meine Tante kam auch noch mit der S-Bahn zuletzt so rüber. Durch Gerüchte und gewisse Anzeichen war zu spüren, daß etwas in der Luft lag und daß es für Ostberlin so nicht weitergehen konnte. Daher auch die Frage von einer Journalistin auf Ulbrichts Pressekonferenz nach einer möglichen Grenzsperre, um die Fluchtbewegung einzudämmen. Aufmerksame Beobachter hatten ja schon die Fertigung und Hortung von Betonzaunpfählen und Quadratmeter großen Hohlblocksteinen und die Zusammenziehung von Betriebskampfgruppen bemerkt. Um keine Panik oder Stampede mit einer Massenflucht auszulösen, mußte Ulbricht so reagiergen und „beruhigen“.