"Dritter Weg" oder Wiedervereinigung?
Mir war klar geworden, wir würden es nicht schaffen, innerhalb der Strukturen des alten Systems eine neue menschlichere, demokratischere Gesellschaft zu gestalten. Auch nicht auf dem "Dritten Weg" eines demokratischen Sozialismus, der vehement und intensiv diskutiert wurde.
Die Politikfähigkeit des "Neuen Forums" war für mich erschöpft. Sie löste zwar mit ihren Selbstzweifeln Entzücken in der westlichen Linken aus, aber gleichermaßen auch Hoffnung beim damaligen Regierungschef Hans Modrow, der einen geordneten Wandel und lediglich eine Konföderation mit der BRD eingehen wollte, und seiner angeblich geläuterten Truppe.
Wohin hätte uns der "Dritte Weg" geführt?
Aussichten im Konjunktiv
Zwei oder drei Funktionäre wären in die Wüste geschickt worden, die anderen wären geblieben. Die Staatssicherheit hätte - unter Modrow war sie bereits umbenannt worden - "Amt für nationale Sicherheit" geheißen, die Strukturen wären undurchsichtig geblieben und in einigen Jahren hätte man uns in jene Lager gesperrt, die schon lange geplant worden waren für all diejenigen, die sich in jener Zeit des Umbruchs zu weit nach vorne gewagt hatten. Gerade jene, die den "Dritten Weg" immer beschworen haben, wie mein Kollege Friedrich Schorlemmer, der auch Studentenpfarrer war, hätten sich großen Gefahren ausgesetzt.
Mir war klar, eine Vermischung beider Systeme würde nicht funktionieren. Genauso wenig, wie man lobend den Autobahnbau der Nazis erwähnen kann, ohne die Folgen des ganzen Systems damit zu verharmlosen, konnte man die DDR mit der BRD verquicken, ohne dadurch das ganze Unrechtssystem in seiner Fragwürdigkeit zu relativieren.
Hätten wir den "Dritten Weg" mit zwei deutschen Staaten gewagt, wie hoch wäre heute beispielsweise die Verschuldungsquote? Schon im Jahr 1989 bezahlte die DDR Zins- und Tilgungsraten in einer Höhe von sechs Milliarden DM. Das waren laut Alexander Schalk-Golodkowksi, dem Leiter des DDR-Außenhandelsministeriums, die gesamten Exportgewinne eines Jahres.
Wie hoch wäre das Arbeitslosengeld? Wie sähe die soziale Absicherung aus? Wie viele Altbauten wäre in diesen 18 Jahren noch verfallen? In den Regalen hätten sich Senf, Margarine und Essig gestapelt, weil viel mehr nicht im Angebot gewesen wäre.
Die noch höhere Arbeitslosigkeit, zu der es gekommen wäre, hätte fraglos Ausgaben in Milliardenhöhe verursacht. Die DDR-Kassen waren leer.
"Was wussten wir schon?"
Alle Pläne einer schrittweisen Annäherung oder eines langfristigen, stufenweisen Übergangs zur Deutschen Einheit gingen an der Wirklichkeit vorbei. Dennoch räume ich ein: An einer Stelle hatten meine Freunde immer recht - und dies war der schwächste Punkt auch in meiner Argumentation: Was eigentlich wussten wir schon von der Bundesrepublik Deutschland? Wir kannten das System der Bundesrepublik, das wir als Alternative nutzen wollten, nicht genau. Ich setzte auf die Experten der Bundesrepublik, die sehr eloquent verbargen, dass es ihnen auch so ging wie uns.
Vielleicht, mutmaßten wir, würden jene Leute im Westen, die jedes Jahr den 17. Juni in Erinnerung an den Volksaufstand der DDR 1953 betulich als "Tag der deutschen Einheit" begangen hatten, nun ihre Schubladen öffnen, in denen die detaillierten Pläne zur Deutschen Einheit nur darauf warten, endlich hervor geholt zu werden?
Aber die Schubladen im Westen waren leer. Zunächst waren keine tragenden, vorausschauenden Konzepte vorhanden. Dafür jede Menge Irrtümer und Vorurteile.