Angeregt durch den Thread über Dawkins: die Frage nach der entscheidenden Evolutionseinheit.
Die Formel vom "Survival of the Fittest" dürfte ja jedem bekannt sein, denke ich.
Aber die große Streitfrage besteht noch immer darin, welche Einheit es eigentlich ist, die "fit" seien und sich reproduzieren kann. Charles Darwin selbst ging ja vom einzelnen Individuum aus, zweifelte aber auch öfter daran. Warum? Weil die Selektion doch nur diejenigen Eigenschaften begünstigen und überleben lassen sollte, die dem eigenen Reproduktionserfolg dienlich sind und Menschen, die zugunsten anderer auf eigene Vorteile bzgl. des Reproduktionserfolgs verzichten, mit der Zeit doch eigentlich aussterben müssten. (Oder man denke an die Homosexualität.)
(Man könnte das natürlich auch kulturell erklären oder mit einen "egoistischen Altruismus" a la Hobbes, von dem die Anekdote überliefert ist, dass er einem siechenden Bettler etwas Geld gegeben hat und von einem Priester, der mit seinen Büchern nicht einverstanden war, gefragt wurde, ob er das denn auch getan hätte, wenn Christus nicht die Liebe zu den Armen gepredigt hätte.
Die Antwort von Hobbes: "Aber selbstverständlich hätte ich das getan! Ich bin ja auch egoistisch, denn dadurch, dass ich dem Penner geholfen habe und seinen Hungertod verhindert habe, steigt ja auch mein persönliches Wohlbefinden!"
Man könnte ergänzend die Frage stellen, ob nicht auch seine Reprodutionschancen steigen, wenn er mit seiner Güte ein paar Damen beeindruckt.)
Wie auch immer: eine evolutionsbiologische Antwort auf diese Frage wurde in den 70er Jahren von Richard Dawkins formuliert, der die einzelnen Gene als Evolutionseinheit versteht und insofern argumentierte, dass das in Kauf nehmen individueller Nachteile genetische Vorteile implizieren könnte - solange man eben den Träger der gleichen Gene unterstützt. (Was natürlich weitere Fragen bezüglich der Reichweite dieser "Gensolidarität" beinhaltet.)
Apropos Reichweite: es gibt natürlich auch fundamentale Gegenpositionen, die von viel größeren Evolutionseinheiten als den Genen oder den Individuen ausgehen. Der bekanntes Gegensacher Dawkins dürfte jedenfalls Stephen Gould sein. Er hat nicht nur eine positivere Sicht auf die Religion als Dawkins und ist im Gegensatz zu ihm auch der Ansicht, dass die Evolution nicht graduell, in kleinen Schritten verläuft, sondern ruckhaft und in Phasen mit großer, intensiver Veränderung und in Phasen mit lang anhaltendem Stillstand.
Außerdem sind die entscheidende Evolutionseinheiten für ihn nicht Individuen oder Gene, sondern Populationen, Arten - potentiell sogar ganze Systeme.
Eine Annahme, die auch Wolfgang Wieser vertritt (Systeme), der aber in anderer Hinsicht wieder näher an Dawkins ist. (Kulturelle Evolution, "Meme" etc.)
Bzgl. dieser Einheiten dürfte vielleicht noch immer die Annahme am populärsten sein, die schon Augustinus formuliert hat, für den die Arterhaltung ein naturgesetzliches Bestreben war. Diese These sickerte auf vielfältige Weise durch die Philosophie in die Politik, ist aber seit einigen Jahren in einen fast pathologischen Masochismus umgeschlagen, nach dem es "der Welt doch besser ginge, wenn die Menschheit endlich aussterben würde."
Ich persönlich glaube jedenfalls, dass Individuen und ein relativ eng gestricktes Umfeld (Familie, Partner etc.) als entscheidende Einheiten zu verstehen sind. Vielleicht auch noch die Gene. Aber ich wüsste nicht, ob ich diese Annahme wirklich fundiert begründen könnte. Und ich würde auch nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass Darwin, Dawkins und Co. damit einverstanden wären, wie ich ihre Positionen dargestellt habe.
Dafür mach' ich jetzt eine Umfrage.