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Vollständige Version anzeigen : Wie ein Staatsgebilde seine eigenen Waffenträger verarscht



Untergrundkämpfer
12.07.2012, 15:39
Geöffnete Feldpost: Die Sortiermaschine war’s. Möglicherweise (http://augengeradeaus.net/2012/07/geoffnete-feldpost-die-sortiermaschine-wars-moglicherweise/#comments)


Das hatte damals für mächtigen Wirbel gesorgt: Einzelne Briefe von Bundeswehrsoldaten im Afghanistan-Einsatz kamen geöffnet in der Heimat an. Und es fehlten ausgerechnet USB-Sticks und Speicherkarten aus Kameras – aus Briefen von Soldaten, die im OP North südlich von Kundus eingesetzt waren. Schon im vergangenen Jahr hatte die Bundeswehr gezielte Manipulation für unwahrscheinlich gehalten, der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus sah dennoch Ungereimtheiten

Nun scheint die Angelegenheit endgültig amtlich abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt, zuständig wegen des Sitzes des zentralen Feldpostamtes in der hessischen Stadt, hat das Verfahren eingestellt. (Die Kollegen von der Welt hatten das gestern schon mitbekommen.) Die Mitteilung der Staatsanwälte vom (heutigen) Donnerstag:


Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungsverfahren wegen möglicher Feldpost-Manipulation ein

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hat unter dem 05.07.2012 das gegen Unbekannt gerichtete Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Diebstahls und der Verletzung des Briefgeheimnisses eingestellt, da die Ermittlungen keine strafrechtlich relevanten Sachverhalte ergeben haben.
Die umfangreichen Ermittlungen führten zu dem Ergebnis, dass möglicherweise eine Sortiermaschine im Briefzentrum in Darmstadt für die Beschädigungen der Sendungen ursächlich war. Eine von unbekannten Personen erfolgte Öffnung der Postsendungen ist zwar nach wie vor nicht auszuschließen, konnte aber in keiner Weise nachgewiesen werden.
Nachdem sämtliche Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhaltes und zur Überprüfung der als auffällig gemeldeten Feldpostsendungen der Soldaten mit Einsatzgebiet Afghanistan als ausgeschöpft gelten können, war das Ermittlungsverfahren einzustellen.

Also: Es war die Sortiermaschine. Möglicherweise. Aber wie sagte der Wehrbeauftragte schon im vergangenen Jahr? Ich weiß nicht, ob die Sortiermaschine etwas gegen die Soldaten aus dem OP North hat.

Nachtrag: So ganz zufrieden ist der Wehrbeauftragte nach der Einstellung der Ermittlungen nicht – gerade flattert mir seine Stellungnahme ins Postfach:


Auch wenn die umfassenden und mit großer Sorgfalt geführten fast anderthalbjährigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Darmstadt im Ergebnis keinen eindeutigen und einer Person zurechenbaren Nachweis für eine gezielte Verletzung des Brief- oder Postgeheimnisses und damit ein strafrechtlich relevantes Verhalten ergeben haben, haben die Untersuchungen Defizite bei der Beförderung der Feldpost sowohl im Inland als auch im Einsatzland offenbart.
Die Staatsanwaltschaft hat festgestellt, dass sich an mehreren Stellen auf dem Transportweg der Feldpost Gelegenheit für Eingriffe in das Post- und Briefgeheimnis sowie den Diebstahl von Postgut bieten. Anderslautende Berichte des Verteidigungsministeriums vom 24. Januar 2011 sowie vom 5. April 2011 waren somit unzutreffend.
Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hat allein auf dem Postweg der für Afghanistan bestimmten Feldpost aus Deutschland mindestens drei potenzielle Tatorte für unberechtigte Zugriffe auf die Postsendungen identifiziert. Ebenso wurden mehrere Möglichkeiten eines unberechtigten Zugriffs auf Postsendungen im Bereich des OP North im Zeitraum ab November 2010 identifiziert. Auch beim Transport der Feldpost vom OP North ins Camp Marmal nach Masar-i-Scharif gab es zumindest in Einzelfällen – so bei einem Transport vom 19. Januar 2011 – Möglichkeit zum Zugriff auf die Post, da diese nicht in einem verschlossenen und versiegelten Umschlag angeliefert worden sei, sondern in einem offenen Beförderungsbehältnis.
Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft scheint es dennoch am wahrscheinlichsten, dass die Beschädigungen von Briefen durch eine Sortiermaschine der Deutschen Post entstanden sind. Dies legen laut Staatsanwaltschaft ein Selbstversuch und auch eine kriminaltechnische Untersuchung beschädigter Briefumschläge nahe. Allerdings betont die Staatsanwaltschaft auch, dass es sich lediglich um eine begründete Vermutung handelt. In der Einstellungsverfügung stellt die Staatsanwaltschaft Darmstadt fest: „Folglich kann in keinem der von Soldaten aus Afghanistan gemeldeten Fälle des Verlusts von Speichermedien definitiv nachgewiesen werden, dass der Verlust auf die Sortiermaschine der Deutschen Post AG beim Postzentrum 64 in Darmstadt und nicht auf eine Straftat zurückzuführen ist.“
Festzuhalten bleibt: In der Zeit von Oktober 2010 bis Januar 2011 sind zahlreiche Postsendungen von Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan beschädigt und zum Teil ohne Inhalt beim Adressaten angekommen. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft waren 34 Soldatinnen und Soldaten mit einer Anzahl von etwa 50 Sendungen betroffen. Augenfällig ist laut Staatsanwaltschaft „die hohe Anzahl der von den Soldaten gemeldeten Fälle der Beschädigung von Feldpostbriefen mit Inhaltsverlust (USB-Sticks) aus Afghanistan“. Ebenso hat die Staatsanwaltschaft eine Häufung von Fällen bei Soldaten festgestellt, die am OP North eingesetzt waren. Letztlich könne aber nicht gesagt werden, ob das Abhandenkommen von Speichermedien auf ein strafbares verhalten Unbekannter an den im Laufe der Ermittlungen als virulent erkannten Stellen auf dem Postweg von Afghanistan nach Deutschland oder aber auf ein Einwirken der Sortiermaschine beim Postamt 64 in Darmstadt zurückzuführen sei.
Um künftig einen vollständig sicheren Ablauf in der Behandlung der Feldpost zu gewährleisten, habe ich das Bundesministerium der Verteidigung gebeten, die im Zuge der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Darmstadt aufgezeigten Defizite bei der Beförderung der Feldpost abzustellen und für eine umfassende Überwachung des Feldposttransports Sorge zu tragen. Schließlich handelt es sich beim Post- und Briefgeheimnis um ein Grundrecht, welches jedem Staatsbürger – auch solchen in Uniform – durch unsere Verfassung garantiert wird.


Dazu passt auch diese Meldung wie die Faust aufs Auge:

Degradiert - der Soldat vor Gericht (http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/auslandseinsaetze-degradiert-der-soldat-vor-gericht-11817410.html)


8. August 2008: Nach einem Hinweis auf einen Waffenschmuggel errichten Isaf-Bundeswehrsoldaten nahe Kunduz eine Straßensperre. Als sich zwei Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit nähern und auf Warnschüsse nicht reagieren, gibt ein Soldat einen Feuerstoß auf eins der Fahrzeuge ab - eine Frau und zwei Kinder werden getötet. Weil der Soldat seinen Standort vor dem Einsatz in Afghanistan im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) hatte, ermittelt diese - und stellt das Verfahren im Mai 2009 ein, weil sie keinen Anhaltspunkt für ein strafbares Verhalten erblickt. Vorausgegangen ist ein Dreivierteljahr, in dem das Tatgeschehen rekonstruiert wurde und sich die zuständige Staatsanwältin in die schwierige Materie einarbeiten musste.

Weil für die Verfolgung von Straftaten im Auslandseinsatz die Staatsanwaltschaft am Heimatstandort des Soldaten zuständig ist, wundert es nicht, dass die bislang befassten Strafverfolgungsbehörden kaum über die erforderlichen Spezialkenntnisse verfügten. Das ist zwar keinem Staatsanwalt vorzuwerfen, denn besondere Fälle erfordern besondere Kenntnisse, und kein Staatsanwalt muss über Einsatzregeln der Bundeswehr und wehrrechtliche Spezialvorschriften von vornherein Bescheid wissen. Zum Problem wird es aber, wenn sich bei einem neuerlichen Vorfall der nun zuständige Staatsanwalt abermals neu einarbeiten muss, weil der Verdächtige einen anderen Heimatstandort hatte. Solche unnötigen Verzögerungen führen zu erheblichen psychischen Belastungen für den betroffenen Soldaten und seine Kameraden. Werden mehrere verdächtigt, können sogar in einem Verfahren die zuständigen Strafverfolgungsbehörden über ganz Deutschland verteilt sein und unterschiedliche Gerichte den Sachverhalt unterschiedlich würdigen. Das ist dem System föderaler Strafverfolgung zwar immanent, für Soldaten aber nicht gerade beruhigend.

CDU, CSU und FDP wollen zur Beendigung dieses Zustands eine „zentrale Zuständigkeit der Justiz für die Verfolgung von Straftaten von Soldaten, die diesen in Ausübung ihres Dienstes im Ausland vorgeworfen werden“, schaffen, das Bundeskabinett hat einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. Neben dem Gerichtsstand des Heimatstandorts soll danach zusätzlich ein zentraler Gerichtsstand in Kempten im Allgäu geschaffen werden. In einem früheren Referentenentwurf von 2010 war noch Leipzig vorgesehen, aber Kempten bietet sich an, weil Bayern dort bereits eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Fälle eingerichtet hat, die in die Zuständigkeit des Freistaats fallen, dort also bereits eine gewisse Expertise vorhanden ist. Das ist erfreulich, weil hierdurch die weitere Herausbildung von Spezialkenntnissen und damit verbunden eine Verkürzung der Verfahrensdauern und eine Stärkung der Rechtssicherheit für Soldaten im ohnehin belastenden Auslandseinsatz zu erwarten ist. Eine „gefährliche Nähe zwischen Militär und Justiz“, wie von Kritikern behauptet, entsteht hierdurch nicht; das Gegenteil ist der Fall: Sobald die Strafverfolgungsbehörden über eigene Expertise verfügen, sind sie nicht mehr so sehr auf die Unterstützung durch die Bundeswehr angewiesen.

Das alles ist zu begrüßen und dient nicht nur der Rechtssicherheit der Soldaten, sondern ermöglicht auch eine effektivere Kontrolle ihres Handelns - immerhin geht von ihrer Bewaffnung eine massive Bedrohung aus. Zu kritisieren ist aber, dass die Bundesregierung das Hauptproblem bei der Strafverfolgung von Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz weiterhin unangetastet lässt: die Ermittlungen vor Ort.

Wird eine Straftat in Deutschland begangen, kann die Staatsanwaltschaft Wohnungen durchsuchen, Zeugen vernehmen, den Tatort besuchen oder Verdächtigen Blutproben entnehmen lassen und so weiter. In Afghanistan oder im Kosovo kann sie es nicht. Denn dem steht der völkerrechtlich verankerte Grundsatz territorialer Souveränität entgegen, nach dem es einem Staat nur in Ausnahmefällen erlaubt ist, auf fremdem Staatsgebiet hoheitlich tätig zu werden. Aber selbst wenn es Deutschland erlaubt würde, vor Ort Ermittlungen aufzunehmen, wäre das nach der Strafprozessordnung nicht möglich - sie ist nur in Deutschland anwendbar. Deshalb ermitteln nicht Polizisten oder Staatsanwälte, sondern diejenigen, die ohnehin vor Ort sind: Soldaten, die hierzu aber nur aufgrund rechtlicher Hilfskonstruktionen befugt sind. Sie untersuchen streng genommen nämlich überhaupt nicht den strafrechtlichen Vorwurf, sondern führen, weil jede Straftat im Einsatz auch ein Verstoß gegen die Disziplin ist, Disziplinarermittlungen durch, deren Ergebnisse sie den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellen. Zu dieser Abgabe ist der Disziplinarvorgesetzte des Verdächtigen zwar verpflichtet, die Möglichkeit einer verbindlichen Einflussnahme auf die Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft aber nicht; sie kann nur Wünsche äußern - ein zumindest befremdlicher Zustand. Mit der Eigenschaft als Disziplinarermittlung geht außerdem einher, dass die ermittelnden Soldaten nicht über die gesamte Palette strafprozessualer Eingriffsbefugnisse verfügen. Die oben genannte Blutentnahme etwa bleibt ihnen verwehrt, was nur folgerichtig ist, denn warum sollte sie dem Disziplinarvorgesetzten für die Aufklärung einer bloß dienstrechtlichen, also im Grunde arbeitsrechtlichen Verfehlung gestattet sein? Mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wäre das jedenfalls nicht vereinbar.

Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass der Beschuldigte im Strafverfahren nichts sagen muss; im Gegenteil: Solange er niemand anderen einer Straftat bezichtigt, darf er lügen, bis sich die sprichwörtlichen Balken biegen. Der Soldat dagegen „muss in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit sagen“. Er kann bei Gefahr einer Selbstbelastung zwar die Aussage verweigern - er darf aber nicht lügen. In dieser Situation, der Vernehmung durch Vorgesetzte, denen der Soldat zum Gehorsam und zur Wahrheit verpflichtet ist, besteht für ihn die sehr realistische Gefahr, sich selbst zu belasten. Die Verwendung von Aussagen gegen einen Beschuldigten, die dieser aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung getätigt hat, ist aber im Strafverfahren nicht zulässig, das heißt, selbst wenn der Täter gesteht, kann er, wenn es keine anderen Beweise gibt, nicht verurteilt werden. Denn diese Instrumentalisierung des Beschuldigten gegen sich selbst würde ihn, wie das Bundesverfassungsgericht bereits 1981 entschieden hat, zum Objekt des Verfahrens degradieren und ihn seiner Menschenwürde - in unserem Rechtsstaat das höchste Rechtsgut überhaupt - berauben. Die Alternative wäre ein Unrechtsstaat.

Die Bundesregierung darf es deshalb nicht bei dem Entwurf belassen, sondern muss endlich die Grundlage für vernünftige Ermittlungsarbeit vor Ort und einen effektiven Rechtsschutz der Soldaten schaffen und bestimmte Soldaten, etwa Feldjäger, zu Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft ernennen - verfassungs- und völkerrechtlich wäre das nämlich durchaus zulässig. Diese bekämen hierdurch kriminalpolizeiliche Befugnisse und hätten den Weisungen der Staatsanwaltschaft zu folgen. Vernehmungen würden dann nicht mehr im Rahmen des Disziplinarverfahrens mit der Wahrheitspflicht, sondern nach den Regeln der Strafprozessordnung durchgeführt. Den Soldaten, vor allem aber dem Rechtsstaat wäre hiermit gedient.