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Vollständige Version anzeigen : Die Gen-Kultur-Koevolution



Renfield
06.12.2013, 11:32
Teil 1
Wie wurde aus einem Affen der Mensch, wie wir ihn heute kennen? Nach gängiger Sichtweise waren es die Kräfte der Natur, die unsere Vorfahren formten, ihn auf zwei Beine stellten, sein Gehirn größer werden ließen und ihn zum Werkzeugbenutzer machten. Doch seit einigen Jahrzehnten schiebt sich eine neue Theorie immer weiter in den Vordergrund, die dem Entwicklungsgeschehen einen faszinierenden Dreh verleiht: Die Gen-Kultur-Koevolution. Der zufolge hat sich der Mensch in beachtlichem Umfang selbst geschaffen – indem er sich biologisch an seine eigene kulturelle Umwelt anpasste und mit diesen evolutionären Neuerwerbungen die Möglichkeit für weitere Innovationen ins Leben rief.
Ein wichtiges Beispiel stellt der menschliche Werkzeuggebrauch dar. Der Umgang mit Werkzeugen, auch wenn es sich um einfache Steinabschläge handelt, ist mit Sicherheit nicht in unseren Genen angelegt und verlangt jahrelange Übung. Doch obwohl es sich um ein zunächst rein kulturelles Verhalten handelte, hat sich der Mensch anatomisch daran angepasst. Besonders auffällig natürlich der "opponierbare" Daumen, womit gemeint ist, dass unser Daumen stark nach innen gedreht ist und sich gegen die anderen Finger pressen lässt. Im Gegensatz zum Schimpansen, dessen Daumen eher als langer Großzeh zu denken ist, wird damit ein fein justierbarer Präzisionsgriff möglich.
Jede Hand ist anders, die eine hat lange, die andere kurze Finger, die Daumen sind unterschiedlich beweglich, Muskeln, Sehnen und Bänder weisen einen je individuellen Verlauf auf. In einem groß angelegten Experiment konnten Anthropologen nachweisen, dass die Versuchsteilnehmer, die über besonders "menschliche" Hände verfügten, gleichzeitig auch am besten mit einfachen Steinwerkzeugen umgehen konnten. Ein starkes Indiz dafür, dass sich die menschliche Hand nach Maßgabe ihrer handwerklichen Nützlichkeit entwickelt hat (1).
Wie es aussieht, reicht unsere Anpassung an die Werkzeugkultur noch wesentlich tiefer. Entwicklungspsychologische Forschungen haben gezeigt, dass Kleinkinder mehr Wissen über die Eigenschaften von unbelebten Objekten wie Gewicht, Härte oder physikalische Trägheit besitzen, als sie auf Grund ihrer beschränkten Erfahrungen eigentlich haben dürften. Es wird vermutet, dass wir uns dieses erfahrungsunabhängige Wissen vor allem durch den Werkzeuggebrauch angeeignet haben, der im Laufe der Vorgeschichte eine immer wichtigere Rolle spielte. Physikalisches Wissen ist beim Menschen demnach teilweise zu einer Art angeborenem Instinkt geronnen (2). Dazu passt auch, dass Kleinkinder über die erblich bedingte Tendenz verfügen, Gegenstände gegeneinander zu schlagen, um etwas über deren physikalische Eigenschaften zu erfahren (3).
Darüber hinaus weisen neue Experimente auf, dass es bestimmte Hirngebiete gibt, die auf die Benutzung von Werkzeugen spezialisiert sind. Nun ist beim Werkzeuggebrauch die Koordination von Hand und Auge entscheidend. Zur Überraschung der Forscher zeigte sich, dass diese Hirngebiete auch bei Blinden und Blindgeborenen aktiv sind, wenn sie sich Werkzeugarbeiten vorstellen. Diese Hirnstrukturen werden also nicht auf Grundlage von Übung und Erfahrung für diese Arbeiten in Dienst genommen, sondern sind von vornherein – genetisch gesteuert – für diese Tätigkeiten vorgesehen (4).
Lassen wir den Prozess noch einmal Revue passieren: Wenn die frühen Vormenschen über eine primitive Werkzeugkultur verfügten, hatten die Individuen einen Selektionsvorteil, die am geschicktesten mit Werkzeugen umgehen konnten. Dadurch verfeinerte sich die Werkzeugherstellung im Laufe der Zeit. Gleichzeitig wurde die Fähigkeit zum Werkzeuggebrauch immer wichtiger und immer stärker positiv selektioniert. Vieles spricht dafür, dass sich dieses Modell auf viele andere körperliche, psychische und kulturelle Erscheinungen ausdehnen lässt.
Vielleicht noch erstaunlicher sind unsere Fähigkeiten in Bezug auf eine sehr spezielle Art von Werkzeugen. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das gleichzeitig weit, schnell und präzise werfen kann. Sogar unser nächster Verwandter, der Schimpanse, ist ein geradezu erbärmlicher Werfer, obwohl er über bemerkenswerte Körperkräfte verfügt (früher einmal fand ich Schimpansen ziemlich niedlich. Seitdem ich im Anatomiekurs ihre Schädel einschließlich des Gebisses begutachten und im Gehege beobachten durfte, wie sich beim Klimmzug am Kletterbaum unter dem schütteren Fell Bizeps und Unterarmmuskeln strafften, sind sie mir eher unheimlich).
Vor ungefähr zwei Millionen Jahren traten beim Menschen gewisse Veränderungen am Schulterblatt, dem Oberarm und der Lage der Schultermuskulatur auf, die einen kräftigen, explosionsartigen Wurf ermöglichten. Mit dem Einsatz von Steinen, Wurfhölzern und Speeren konnte das Angebot von Jagdwild erheblich erweitert werden. Unter anderem dadurch, dass man große gefährliche Jagdtiere aus der Distanz heraus verfolgen konnte. Genauso waren Wurfgeschosse sicherlich sehr nützlich, um Löwen, Leoparden und andere Raubtiere auf Abstand zu halten (5).
Ein Kapitel mit vielen Fragezeichen stellt die sexuelle Scham dar – die Abneigung, sich der Öffentlichkeit völlig nackt zu präsentieren. Eine wahre Titanenarbeit bei der Untersuchung dieses Themas hat der Ethnologe Hans Peter Duerr mit seinen Büchern geleistet. Allein sein Werk "Intimität" (6) kommt auf ungefähr zweitausend Einträge im Literaturverzeichnis. Anhand dieser Überfülle ethnografischen und kulturhistorischen Materials führt er den Nachweis, dass es in allen Kulturen und zu allen Zeiten Schamverhalten gab und dass demonstrative Nacktheit oder öffentlicher Sex durchaus verpönt waren.
Natürlich sei hier gleich eingeräumt, dass sich dieses Schamverhalten kulturell auf sehr unterschiedliche Art ausdrücken kann. Es gibt ostafrikanische Kulturen, die das Verbergen weiblicher Beine bis hin zu den Knöcheln zwingend vorschreiben. Doch während die Damen in den wallenden Kleidern die westliche Mode der kurzen Röcke durchaus als "shocking" empfinden mögen, nehmen sie und ihre Umgebung nicht den geringsten Anstoß daran, dass sie sich mit nackter Brust in der Öffentlichkeit bewegen.
Und dennoch: In irgendeiner Form ist Schamverhalten in jeder einzelnen Kultur anzutreffen. Das spricht dafür, dass es sich um eine genetisch verankerte Verhaltenstendenz handelt. Genauso wie das Verbergen des Koitus wird dieses Unsichtbarmachen der Geschlechtsteile als Strategie gedeutet, sexuelle Rivalitäten einzudämmen (7).
Der entscheidende Punkt aber ist: Welchen Sinn hätte Schamhaftigkeit, wenn es keine Kleider gäbe? Wann Menschen überhaupt begonnen haben, sich Kleidung zu fertigen, liegt im Dunkeln. Gewisse Gründe sprechen dafür, dass dieser Zeitpunkt vor ungefähr 500.000 Jahren lag (8) – was evolutionär ein ziemlich spätes Datum darstellen würde. Doch sei’s drum: Die Fakten sprechen dafür, dass sich seit dieser Zeit ein evolutionäres Zusammenspiel zwischen Kleiderherstellung und körperlicher Scham etabliert hat.



1) http://www.sciencedaily.com/releases/2011/03/110307101504.htm
2) Mithen, Steven (1998): The Prehistory of the Mind. London.
3) Range, Friederike (2009): Wie denken Tiere? Wien.
4) Tool manipulation is represented similarly in the brains of the blind and the sighted. http://www.eurekalert.org/pub_releases/2010-06/afps-tmi062310.php
5) http://cashp.gwu.edu/ntroach/the-evolution-of-throwing/ (http://cashp.gwu.edu/ntroach/the-evolution-of-throwing/)
6) Duerr, Hans Peter (1990): Intimität. Der Mythos vom Zivilisations*prozess. Frankfurt am Main.
7) Diamond, Jared (2002): Der dritte Schimpanse. Frankfurt am Main.
8) http://web.archive.org/web/20070304054636/http:/*/www.sciencenews.org*/articles/20030823/fob7.asp

-jmw-
06.12.2013, 11:56
Wie wurde aus einem Affen der Mensch
Gar nicht!
(Nächste Frage, bitte...)

Flaschengeist
06.12.2013, 12:01
Gar nicht!
(Nächste Frage, bitte...)

Wie enstand der Mensch?

-jmw-
06.12.2013, 12:26
Wie enstand der Mensch?
Such Dir 'n Rabbi in Deiner Nähe, der klärt Dich auf.

Flaschengeist
06.12.2013, 13:23
(Nächste Frage, bitte...)


Such Dir 'n Rabbi in Deiner Nähe, der klärt Dich auf.

Nicht so lustlos junger Freund

-jmw-
06.12.2013, 19:05
Nicht so lustlos junger Freund

וַיַּעַשׂ אֱלֹהִים אֶת־חַיַּת הָאָרֶץ לְמִינָהּ וְאֶת־הַבְּהֵמָה לְמִינָהּ וְאֵת כָּל־רֶמֶשׂ הָאֲדָמָה לְמִינֵהוּ וַיַּרְא אֱלֹהִים כִּי־טוֹב ׃ וַיֹּאמֶר אֱלֹהִים נַעֲשֶׂה אָדָם בְּצַלְמֵנוּ כִּדְמוּתֵנוּ וְיִרְדּוּ בִדְגַת הַיָּם וּבְעוֹף הַשָּׁמַיִם וּבַבְּהֵמָה וּבְכָל־הָאָרֶץ וּבְכָל־הָרֶמֶשׂ הָרֹמֵשׂ עַל־הָאָרֶץ ׃ (בְרָא אֱלֹהִים אֶת־הָאָדָם בְּצַלְמוֹ בְּצֶלֶם אֱלֹהִים בָּרָא אֹתוֹ זָכָר וּנְקֵבָה בָּרָא אֹתָם וַיְבָרֶךְ אֹתָם אֱלֹהִים וַיֹּאמֶר לָהֶם אֱלֹהִים פְּרוּ וּרְבוּ וּמִלְאוּ אֶת־הָאָרֶץ וְכִבְשֻׁהָ וּרְדוּ בִּדְגַת הַיָּם וּבְעוֹף הַשָּׁמַיִם וּבְכָל־חַיָּה הָרֹמֶשֶׂת עַל־הָאָרֶץ ׃ וַיֹּאמֶר אֱלֹהִים הִנֵּה נָתַתִּי לָכֶם אֶת־כָּל־עֵשֶׂב זֹרֵעַ זֶרַע אֲשֶׁר עַל־פְּנֵי כָל־הָאָרֶץ וְאֶת־כָּל־הָעֵץ אֲשֶׁר־בּוֹ פְרִי־עֵץ זֹרֵעַ זָרַע לָכֶם יִהְיֶה לְאָכְלָה ׃ 30 וּלְכָל־חַיַּת הָאָרֶץ וּלְכָל־עוֹף הַשָּׁמַיִם וּלְכֹל רוֹמֵשׂ עַל־הָאָרֶץ אֲשֶׁר־בּוֹ נֶפֶשׁ חַיָּה אֶת־כָּל־יֶרֶק עֵשֶׂב לְאָכְלָה וַיְהִי־כֵן : וַיַּרְא אֱלֹהִים אֶת־כָּל־אֲשֶׁר עָשָׂה וְהִנֵּה־טוֹב מְאֹד וַיְהִי־עֶרֶב וַיְהִי־בֹקֶר יוֹם הַשִּׁשִּׁי ׃ פ

Jetzt besser? :)

Flaschengeist
06.12.2013, 19:07
וַיַּעַשׂ אֱלֹהִים אֶת־חַיַּת הָאָרֶץ לְמִינָהּ וְאֶת־הַבְּהֵמָה לְמִינָהּ וְאֵת כָּל־רֶמֶשׂ הָאֲדָמָה לְמִינֵהוּ וַיַּרְא אֱלֹהִים כִּי־טוֹב ׃ 26 וַיֹּאמֶר אֱלֹהִים נַעֲשֶׂה אָדָם בְּצַלְמֵנוּ כִּדְמוּתֵנוּ וְיִרְדּוּ בִדְגַת הַיָּם וּבְעוֹף הַשָּׁמַיִם וּבַבְּהֵמָה וּבְכָל־הָאָרֶץ וּבְכָל־הָרֶמֶשׂ הָרֹמֵשׂ עַל־הָאָרֶץ ׃ (Psalm 8.6-9) 27 וַיִּבְרָא אֱלֹהִים אֶת־הָאָדָם בְּצַלְמוֹ בְּצֶלֶם אֱלֹהִים בָּרָא אֹתוֹ זָכָר וּנְקֵבָה בָּרָא אֹתָם ׃ (1 Mose 2.7) (1 Mose 2.22) 28 וַיְבָרֶךְ אֹתָם אֱלֹהִים וַיֹּאמֶר לָהֶם אֱלֹהִים פְּרוּ וּרְבוּ וּמִלְאוּ אֶת־הָאָרֶץ וְכִבְשֻׁהָ וּרְדוּ בִּדְגַת הַיָּם וּבְעוֹף הַשָּׁמַיִם וּבְכָל־חַיָּה הָרֹמֶשֶׂת עַל־הָאָרֶץ ׃ 29 וַיֹּאמֶר אֱלֹהִים הִנֵּה נָתַתִּי לָכֶם אֶת־כָּל־עֵשֶׂב זֹרֵעַ זֶרַע אֲשֶׁר עַל־פְּנֵי כָל־הָאָרֶץ וְאֶת־כָּל־הָעֵץ אֲשֶׁר־בּוֹ פְרִי־עֵץ זֹרֵעַ זָרַע לָכֶם יִהְיֶה לְאָכְלָה ׃ 30 וּלְכָל־חַיַּת הָאָרֶץ וּלְכָל־עוֹף הַשָּׁמַיִם וּלְכֹל רוֹמֵשׂ עַל־הָאָרֶץ אֲשֶׁר־בּוֹ נֶפֶשׁ חַיָּה אֶת־כָּל־יֶרֶק עֵשֶׂב לְאָכְלָה וַיְהִי־כֵן ׃ 31 וַיַּרְא אֱלֹהִים אֶת־כָּל־אֲשֶׁר עָשָׂה וְהִנֵּה־טוֹב מְאֹד וַיְהִי־עֶרֶב וַיְהִי־בֹקֶר יוֹם הַשִּׁשִּׁי ׃ פ

Jetzt besser? :)

Ist das hebräisch? Kann ich nicht lesen... Danke für deine gehaltvolle Beantwortung meiner Frage!

-jmw-
06.12.2013, 19:18
Ist das hebräisch? Kann ich nicht lesen... Danke für deine gehaltvolle Beantwortung meiner Frage!
Na, aber den Anfang der Weisungen kennt man doch hoffentlich aus dem Schulunterricht!

Renfield
07.12.2013, 07:03
Teil 2
Tiere haben große Scheu vor dem Feuer. Und trotzdem fingen unsere Ahnen irgendwann einmal an, sich diese Naturkraft zunutze zu machen. Der Einfluss, den das Feuer auf die menschliche Evolution nahm, lässt sich wahrscheinlich gar nicht überschätzen. Dazu lohnt ein Blick auf die "Kochhypothese" der menschlichen Evolution, die der Anthropologe Richard Wrangham aufstellte (9). Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist der Fakt, dass aus gekochter oder sonst wie mit Feuer gegarter Nahrung wesentlich mehr Energie zu gewinnen ist als aus Rohkost. Und das nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren. Der Grund besteht darin, dass die Hitze in den Nahrungsmitteln chemische Verbindungen aufschließt, die für den Körper sonst nicht verwertbar wären. Unter anderem zeigten Experimente, dass Menschen aus gekochten Eiern fast doppelt so viel Protein verwerten können wie aus rohen.
Die frühesten Menschenvorfahren, Australopithecus und Homo habilis, waren kleine menschenaffenähnliche Wesen, die sich zwar schon zweibeinig fortbewegten, deren Beine und Füße aber noch eine ganze Reihe von affenartigen Merkmalen trugen, so dass sie wahrscheinlich äußerst flinke Kletterer waren. Kiefer und Zähne sind ausgesprochen kräftig, was auf zähe, ungegarte Nahrung schließen lässt. Vor allem aber waren ihre Gehirne nicht wesentlich größer als die von Schimpansen. Das Bild änderte sich vor ungefähr 1,9 Millionen Jahren mit dem Auftreten von Homo erectus, von dem lange Zeit später auch der moderne Mensch abstammen sollte. Homo erectus war größer und körperlich fast modern zu nennen. Klettern konnte er wohl kaum besser als wir. Kiefer, Mund und Zähne waren deutlich geschrumpft, und die Form der Brust- und Beckenknochen ließ den Schluss zu, dass der Magen-Darm-Trakt im Vergleich zu dem seiner Vorfahren auffallend reduziert war. Vor allem hatte die Hirngröße einen großen Sprung nach vorn gemacht und kam auf ca. 70% der heutigen Werte.
Damit ist für Wrangham der Fall klar: Homo erectus war der Erste, der seine Nahrung systematisch mit Feuer garte. Die neue Zartheit der Kost erlaubte es, dass sich Zähne, Kiefer und Kaumuskeln verkleinerten; die stark gesteigerte Energieverwertung machte einen deutlich verkürzten Darm möglich. Die eingesparte Energie wurde in größere Gehirne investiert. Höhere Intelligenz zahlt sich immer aus, solange sie physiologisch nicht zu teuer erkauft ist. Der Energiegewinn durchs Garen machte dieses Tauschgeschäft lukrativ. Auch auf die Fähigkeit zum Klettern konnte Homo erectus im Ausgleich für eine modernere Form des zweibeinigen Gangs verzichten – er hatte es nicht mehr nötig, vor Raubtieren auf Bäume zu flüchten. Denn die hielt er sich mit seinen Lagerfeuern vom Leib.
Einen kleinen Kinken weist die Theorie allerdings auf. Denn bislang ist nicht mit letzter Gewissheit bewiesen, dass der Mensch bereits vor 1,9 Millionen Jahren das Feuer nutzte. Spuren aus der Zeit von vor ca. 800.000 Jahren gelten als die ältesten sicheren Hinweise. Allerdings finden sich in Südafrika Indizien dafür, dass Hominiden schon vor 1,4 – 1,8 Millionen Feuer gezielt zum Fleischgaren verwendeten (10).
Die Zähmung des Feuers hat tiefgreifende Änderungen in unserer körperlichen Struktur hinterlassen – gilt das gleiche auch für unsere Psyche? Dieser Frage ging der Evolutionspsychologe Daniel Fessler nach (11). Dabei gelangte er zum Ergebnis, dass in der menschlichen Psyche angeborene Verhaltenstendenzen hinsichtlich des Feuers bestehen, die weit über reine Furcht hinausgehen. Zum ersten ist Feuernutzung eine absolute kulturelle Universalie. Man weiß von keiner menschlichen Gesellschaft, der das Feuer unbekannt sei. Außerdem übt Feuer eine geradezu unwiderstehliche Faszination aus, was sich zum Beispiel an der Popularität von Kaminen, Fackel- und Laternenumzügen, Kerzen in Halloweenkürbissen, Lampions, Feuerwerken oder ewigen Flammen ablesen lässt. Eine Faszination, die sich bei einigen Zeitgenossen zur Pyromanie, dem krankhaften Bedürfnis, Feuer zu legen, steigern kann.
Den Umgang mit Feuer müssen wir nicht gerade mühevoll oder widerwillig lernen. Vor allem kleine Kinder werden magisch davon ausgezogen; das Lernen geht freiwillig und selbstbelohnend vonstatten. Mit teilweise fatalen Folgen– immer wieder laufen Meldungen von Bränden, die von Kindern verursacht wurden, über den. Außerdem erfolgt dieses Lernen sehr schnell, so dass oft ein einziger "Lerndurchgang" reicht, um sich neue Techniken anzueignen. Auffallend leicht fällt auch die Bildung grundlegender Kategorien wie brennbar gegen unbrennbar. Und so wie Kinder – wie Säugerjungtiere überhaupt – im Spiel Zweikämpfe und die Rollen von Jäger und Gejagtem proben, festigen sie ihre Kenntnisse im Spiel mit Minifeuern. Zusammengenommen sprechen die Beobachtungen dafür, dass wir in gewisser Weise auch genetisch auf Feuernutzung angelegt sind. Womit in jedem von uns ein kleiner Feuerteufel steckt.


9. Wrangham, Richard (2009): Feuer fangen. Wie uns das Kochen zum Menschen machte. München.
10. Brain, C. K. (1993): A Cave’s Chronicle of Early Man. Transvaal Museum Monograph Nr. 8.
11. Fessler, Daniel M. T. (2006): A Burning Desire: Steps Toward an Evolutionary Psychology of Fire Learning. Journal of Cognition and Culture 6.3-4. S. 429-451.

Renfield
08.12.2013, 08:37
Teil 3

Unsere Sprache steckt nicht in den Genen. Wenn wir auf die Welt kommen, beherrschen wir kein einziges der hunderttausend Wörter unserer Muttersprache. Doch hat sich die komplexe menschliche Sprache als ein so überlegenes Kommunikationsmittel erwiesen, dass wir uns im Verhalten und in unserer körperlichen Struktur auf vielfältige Art daran angepasst haben.
Möglicherweise ist Sprache kein so ausschließliches Privileg des Menschen, wie man bisher glaubte. Denn gewisse Sprachfunktionen lassen sich schon bei Tieren beobachten. Die Grüne Meerkatze, eine afrikanische Affenart, verfügt über ganz spezielle Warnlaute für Adler, Schlangen und Leoparden. Interessanterweise sind diese Laute nicht angeboren, sondern müssen von den Jungtieren gelernt werden, gehören also zur "Kultur" dieser Spezies (12). Und bei Delfinen hat man kürzlich entdeckt, dass sie so etwas wie Eigennamen benutzen (13).
Trotzdem können Tiere keine menschliche Sprache lernen. Andererseits ist sie in allen menschlichen Gesellschaften vorhanden. Allein das lässt vermuten, dass sie keine kulturelle Zufälligkeit darstellt, sondern tief in der Funktionsweise unseres Nervensystems verankert ist. Sprachfähigkeit gehört also offensichtlich exklusiv zur menschlichen Konstitution. Und dieses körperliche und geistige ("instinktive") Fundament muss sich irgendwann einmal in der Evolution herausgebildet haben. Deshalb lohnt sich ein näherer Blick auf die wichtigsten Bestandteile unseres Sprechvermögens: Zunächst fällt auf, dass rein anatomisch – vor allem auf Grund der Lage des Kehlkopfs – noch nicht einmal unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, in der Lage sind, menschenähnliche Sprachlaute zu erzeugen (14).
Während sich bei Schimpansen ein weiter optimaler Hörbereich findet, sind die Ohren beim Menschen im schmalen Band von zwei bis vier Kilohertz am empfindlichsten – exakt der Bereich, in dem menschliche Sprache angesiedelt ist. Menschen verfügen also über ausgesprochene "Sprachohren" (15).
Außerdem finden wir weder bei Menschenaffen noch bei den älteren frühmenschlichen Fossilien Hinweise auf die charakteristischen Vergrößerungen derjenigen Hirnareale, die für die Sprachfunktion besonders wichtig sind (14). Schimpansenbabys haben einen ausgeprägten Drang, sich mitzuteilen und mit ihrer Umwelt Kontakt aufzunehmen. Aber sie tun dies stumm und vor allem über Gesten. Nur bei Menschenkindern – dies schon in den frühesten Lebensabschnitten – besteht der Antrieb, sich verbal zu artikulieren, zu plappern (16). Außerdem neigen Kinder spontan dazu, Dinge in ihrer Umgebung zu benennen und dafür Wörter zu erfinden (17).
Kinder lernen ihre Sprache sehr schnell, in den intensivsten Phasen bis zu einem Wort pro Stunde. Bei dieser Wissensaneignung sind sie in keiner Weise auf Drill oder besonderen "Frontalunterricht" angewiesen, sondern lernen sozusagen ganz nebenbei. Darüber hinaus sind sie sogar in der Lage, aus unvollständigen oder geradezu fehlerhaften Beispielen aus der Umwelt korrekte Sprache abzuleiten (18).
Auch unser Wortverständnis scheint hoch spezialisiert zu sein. Ein gesprochenes Wort wird innerhalb von ungefähr 100 Millisekunden erkannt, noch während des Wahrnehmens also. Oft genügt schon ein einzelner Wortbestandteil zur Identifikation (19).
Im Gegensatz zu Schimpansen, denen Zeichen der amerikanischen Gebärdensprache beigebracht wurden, zeigen schon sehr junge Menschenkinder ein gewisses Maß an intuitivem syntaktischem Verständnis. Durch Intonation und Sprechpausen grenzen sie auch einfache Zwei-Wort-Sätze gegeneinander ab. Bei der Wiedergabe von Sätzen wie "Der Hund beißt die Katze" achten sie anders als Schimpansen auf die Reihenfolge von Agens, Aktion und Objekt (20).
Für den Spracherwerb scheint es entwicklungsbiologisch vorgegebene Zeitfenster, sensible Phasen, zu geben. Die sogenannten Wolfskinder, die völlig isoliert von anderen Menschen aufwuchsen, entwickelten keine eigene Sprache und erlernten auch später in menschlicher Gesellschaft keine mehr, die über rudimentäre Formen hinausging (18).
Passgenau zum natürlichen Drang des Kindes zur Sprache gibt es bei Erwachsenen eine Reaktion, die diesem Antrieb entgegen kommt, den sogenannten "baby talk". Überall auf der Welt können wir Zeuge werden, wie Erwachsene beim Sprechen mit kleinen Kindern instinktiv in ein typisches Verhalten wechseln: Die Tonhöhe schraubt sich eine Oktave über die Normalsprache, die Betonung wird übertrieben, die Mimik bis zum Grotesken gesteigert, es werden vor allem einfache Wörter und Satzstrukturen verwendet und dazu wird überdeutlich artikuliert (21).


12. Diamond, Jared (2002): Der dritte Schimpanse. Frankfurt am Main.
13. http://www.schwaebische.de/journal/vermischtes/wissen_artikel,-Delphine-geben-sich-eigene-Namen-_arid,5472266.html
14. Leakey, Richard (1997): Die ersten Spuren. München.
15. http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/sprachfaehigkeit-fruehmenschen-waren-gute-zuhoerer-a-305388.html
16. Lumsden, C. und Wilson, E.O. (1984): Das Feuer des Prometheus. München.
17. Richter, Klaus (1999): Die Herkunft des Schönen. Mainz.
18. Zimmer, Dieter E. (2005): Sprache in Zeiten ihrer Unverbesserlichkeit. Hamburg.
19. Rickheit, G. et al. (2002): Psycholinguistik. Tübingen.
20. Eibl-Eibesfeldt, Irenäus (1986): Die Biologie des menschlichen Verhaltens. München

bernhard44
08.12.2013, 09:40
nun, das "Enūma eliš", der babylonische Schöpfungsmythos erzählt (Tafel 6) eine andere Geschichte! Eine die uns auch aus der Bibel in ähnlicher Form bekannt sein dürfte.

http://de.wikipedia.org/wiki/En%C5%ABma_eli%C5%A1


http://www.matrixseite.de/gfx/enki4.jpg

Enki und Ninmah treffen Ningishzidda (http://de.wikipedia.org/wiki/En%C5%ABma_eli%C5%A1)und sie hält Adamu in den Händen,
den sie gerade erschaffen haben


(http://de.wikipedia.org/wiki/En%C5%ABma_eli%C5%A1)

Renfield
10.12.2013, 08:09
Teil 4 und Schluss
Über die Gen-Kultur-Koevolution wäre noch viel zu sagen. Etwa darüber, wie stark wir uns an unsere Haustiere angepasst haben: Schon allein dadurch, dass in Viehhaltergesellschaften auch Erwachsene Milch vertragen, was ursprünglich nicht in unserer genetischen Ausstattung vorgesehen war. Oder einfach, wie sehr wir von Tieren fasziniert sind (Beispiel Katzenbilder).
Wahrscheinlich wurden auch die sozialen Instinkte der menschlichen Spezies durch unsere Vergangenheit als kooperative Jäger geprägt: Zu nennen wären die Fähigkeit zur Zusammenarbeit, Empathie, Gerechtigkeitssinn und die Neigung, soziale Fehltritte von anderen zu bestrafen.
Radikalere Theoretiker wagen die Vermutung, dass die Evolution nicht nur bis heute anhält, sondern sich in der jüngeren Vergangenheit sogar beschleunigt hat. Liegt der Grund für die hohe Intelligenz der Chinesen vielleicht gar nicht in den Anpassungen an die Herausforderungen einer eiszeitlichen Umwelt, sondern schlicht daran, dass es im Reich der Mitte seit Jahrtausenden die hellsten Köpfe waren, die die Prüfungen für die Beamtenlaufbahn bestanden, die besten Jobs erhalten und die größten Familien gegründet haben (1)?
Abschließend soll es hier um ein spezielles Phänomen gehen. Ob Musik, Tanz, Malerei, Dekor, Literatur, Film, Mode oder Design: Der Mensch ist ein extrem kreatives und ästhetisches Lebewesen. Dem Evolutionspsychologen Geoffrey Miller zufolge hat sich dieser Drang zum Schöpferischen durch das Wirken der sexuellen Selektion entwickelt (2). Dieser Mechanismus ist im Tierreich immer wieder zu beobachten. Er beruht darauf, dass Weibchen ihre Männchen nach bestimmten Merkmalen aussuchen – seien es lange Schwanzfedern, Mähnen, auffallende Fellzeichnungen, lange Reißzähne, Geweihe usw. Im ersten Schritt ist diese weibliche Wahl durchaus von Vorteil, denn diese Merkmale versprechen Gesundheit, große körperliche Leistungsfähigkeit und schlussendlich gute Gene für die Nachkommen. Der zweite Schritt besteht darin, dass sich diese körperlichen Merkmale mit den Genen, die die Vorliebe für diese Merkmale steuern, immer enger verbinden und sich im Gleichschritt verbreiten, wodurch der Prozess noch weiter aufgeschaukelt wird. Am Ende können dann sogar absurde Hypertrophien wie die Reißzähne des Säbelzahntigers stehen, oder Schwanzfedern, die so lang sind, dass sie den Vogel behindern.
Miller nun hat herausgefunden, dass auch beim Menschen kreative Akte in der Mehrzahl von männlichen Wesen ausgeführt werden. Gleichzeitig finden ihre Darbietungen vor allem den Beifall des weiblichen Publikums. Was nicht nur für Popmusiker oder Schauspieler gilt. Auch herausragende Vertreter der ernsteren Künste können sich oft vor weiblichen Verehrern nicht retten.
Wenn sich menschliche Kreativität auf dem Weg der sexuellen Selektion entwickelt hat, ist das wie gesagt nichts Neues: Dieser Evolutionsprozess ist über das gesamte Tierreich hinweg zu beobachten. Das Neue daran ist, an welchen Merkmalen dieser Prozess bei unserer Art ansetzt. Denn er erzeugte keine körperlichen Sonderbildungen wie Mähnen oder Hahnenkämme, sondern er verfeinerte Fähigkeiten, die sich in der Gen-Kultur-Koevolution herausgebildet hatten: Handwerkliches Geschick wurde übertragen auf Skulptur, Malerei, Körperschmuck oder die ästhetische Gestaltung von Gebrauchsgegenständen – von der Pfeilspitze bis zu Töpferware. Sprache wurde zum Ausgangsmaterial kreativer Erzeugnisse wie Lieder, Gedichte oder Geschichten.
Nun sieht die Theorie vor, dass sich im Gang der Evolution nicht nur die Fähigkeiten der Produzenten steigern, sondern sich auch auf der Empfängerseite (den Betrachtern und Zuhörern) die Sinne schärfen. Tatsächlich konnten Hirnforscher feststellen, dass der Mensch – gleich ob Laie oder Profimusiker – über ein extrem gutes Gehör für Musik verfügt und falsche Töne oder Rhythmuswechsel innerhalb von Sekundenbruchteilen wahrnimmt (3).
Von diesem Punkt aus ließe sich spekulieren, ob wir auch so etwas wie einen "Storyinstinkt" in uns tragen. Immerhin ließ sich in Untersuchungen die Beobachtung machen, dass Versuchspersonen bei Werbespots erfundene Geschichten lieber mochten als nüchterne Tatsachenbehauptungen (4).
Und das ist doch sehr bemerkenswert. Da wo viele Tiere die Veränderungen in der Natur registrieren und sich instinktiv auf den Winterschlaf vorbereiten, richtet sich unsere Instinktausstattung, die durch die Gen-Kultur-Koevolution gegangen ist, auch auf schöne Hollywood-Schmonzetten.


1: http://evoandproud.blogspot.de/2011/02/east-asian-intelligence.html
2. Miller, Geoffrey F. (2001): Die sexuelle Evolution. Heidelberg, Berlin.
3. Bethge, Philip (2003): Die Musik-Formel. In: DER SPIEGEL Nr. 31. S. 130–140.
4. Hsu, Jeremy (2008): The Secrets of Storytelling: Why We Love a Good Yarn. http://www.scientificamerican.com/article.cfm?id=the-secrets-of-storytelling&page=4