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Vollständige Version anzeigen : Christentum und Islam



John Donne
08.01.2006, 22:59
(Der Text ist recht lang; mir fällt es gelegentlich schwer, mich kurz zu fassen)

Zunächst einmal halte ich es für nötig, aufgrund der großen Zahl von Strängen, die schon thematisch den Islam, das Christentum oder auch beide behandeln, die Erstellung dieses Strangs rechtfertigen zu müssen. Dazu werde ich zunächst meine Motivation darstellen:
Anders als die ganz überwiegende Anzahl schon existierender Stränge zu diesem Thema soll in diesem Strang kein "Bashing" einer der beiden Religionen (oder sonst einer anderen) stattfinden. Man mag zurecht einwenden, daß auch nicht alle anderen Stränge zu diesem Thema ein reines "Bashing" darstell(t)en, sondern einige aufzeigen wollten, daß man mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten der heiligen Schrift einer jeder dieser Religionen nahezu alles begründen und übelste Demagogie betreiben kann. So wahr dies bis zu einem gewissen Grad ist (zu Einschränkungen komme ich weiter unten) und so nobel die Motivation auch sein mag, darauf hinzuweisen, daß in diversen Strängen über dem Islam der einer sachlichen Kritik angemesse Ton von einigen Diskutaten deutlich überschitten wurde, so sehr greifen nach meiner Meinung die in den hinweisenden Strängen gezogenen Konzequenzen zu kurz oder zu weit. Ziel dieses Strangs soll es sein, durch sachliche Kritik, in angemessenem und respektvollem Grundtton vorgetragen, an der Kompatibilität von Islam und Christentum mit dem modernen, westlichen Rechtsstaat darzulegen.

Zu weit greifen die in anderen Strängen gezogenen Schlußfolgerungen m.E. dann, wenn sie die Schwierigkeiten der Kompatibilität zwischen dem Islam und den modernen, westlichen Rechtsstaaten völlig leugnen und jede sachliche Kritik am Islam als latent xenophob zurückweisen. Zu kurz greifen sie m.E. dann, wenn sie die Existenz eines Kompatibilitätsproblems zwischen modernen, westlichen Rechtsstaaten und Islam zwar anerkennen, aber behaupten, dies sei bei allen anderen Religionen und insbesondere dem Christentum ebenso.
Meiner Meinung nach sind beide Konsequenzen im Sinne einer Lösungsorientierung wenn nicht gar schädlich dann zumindest weit suboptimal.
Über die heutzutage bestehenden Mängel in der Vereinbarkeit zwischen Christentum und modernem Rechsstaat wurde meines Wissen nach bisher in keinem Strang substanziell etwas geäußert.

Fangen wir mit dem Christentum an:
Da die Werte, auf denen die modernen, westlichen Rechtsstaaten fußen, Werte sind, die der christlich-jüdischen Tradition enstammen bzw. sich in ihr entwickelt haben, mag man auf den Gedanken kommen, daß gar kein Kompatibilitäsproblem (mehr) vorliegt. Dieser Schluß ist nicht zwingend.
In der Tat stellt die europäische Aufklärung in erheblichen Teilen eine Auseinandersetzung mit und eine Emazipation von traditionellen, dogmatischen und dabei vielfach durch die historische Entwicklung des Christentums, speziell der katholischen Kirche, geprägten Geisteshaltungen dar. Insofern stellen ganz wesentliche Teile der Aufklärung eine Auseinandersetzung Europas mit dem Christentum dar, das, wenn auch verspätet, in der (kath.) Kirche zu einer Selbstreflektion geführt hat, die am 2. Vatikanischen Konzil besonders deutlich wird.
Die Frage ist also, ob sich das kirchlich organisierte Christentum soweit gewandelt hat, das keinerlei Unvereinbarkeiten mit dem modernen Rechtsstaat mehr bestehen.
Das ist m.E. zwar nicht der Fall, jedoch sind kaum noch strittige Punkte übriggeblieben. Ganz wesenlich ist, daß das Christentum, das im Laufe des Hoch- und Spätmittelalters (z.B. durch den gewonnenen Investiturstreit) zu enormer weltlicher Macht gelangte und diese in der frühen Neuzeit auch behielt, den Verlust seiner weltlichen Macht verarbeitet hat und sich auf Seelsorge konzentriert. Dazu sind weltliche Macht oder ein Gottestaat keinesfalls notwendig, auch wenn Seelsorge keinesfalls nur in der Vorbereitung auf das Jenseits besteht.
Der christliche Gottesstaat, in der Spätantike(!) von Augustinus entworfen (De civitate Dei) und im Mittelalter gedanklich durchaus prägend (allerdings von Augustinus selbst für auf Erden für unerreichbar darstellt, wichtig dazu Joh. 18,36 "[..]Mein Reich ist nicht von dieser Welt.[..]"; Hintergrund für diese Schrift war die Erkenntnis, daß das christliche Rom wohl doch nicht mit der endzeitlichen Gottesherrschaft identisch sein könne, da es von den Westgoten erobert wurde.), spielt heutzutage keine Rolle mehr. Im Christentum ist heutzutage auch kein besonderes Rechtssystem vorgesehen, daß es auf Erden zu vollstrecken gilt. Weltliche Gerichte voll anerkannt.
Streiten kann man über bestimmte Passagen im CIC, die beispielsweise auf eine Rechtfertigung von sog. Kirchenasylen hinauslaufen und lauten "Der Bürger hat die Gewissenspflicht, die Vorschriften der staatlichen Ordnung nicht zu befolgen, wenn diese Anordnungen den Forderungen der sittlichen Ordnung, den Grundrechten des Menschen oder den Weisungen des Evangeliums widersprechen. Den staatlichen Autoritäten den Gehorsam zu verweigern , falls deren Forderungen dem rechten Gewissen widersprechen, findet seine Rechtfertigung in der Unterscheidung zwischen dem Dienst Gottes und dem Dienst an der staatlichen Gemeinschaft." Das geht m.E. deutlich über Art. 20 IV GG hinaus, wobei jedoch festzustellen ist, daß ein etwaiger vorsätzlicher Rechtsbruch der sich aus dem im CIC Gesagten ergibt, nicht davon entbindet, die entsprechende Strafe von der Staatsmacht auf sich zu nehmen. Hier liegt aber m.E. dennoch ein Konfliktpunkt vor. Weitere Punkte werden hoffentlich in der weiteren Diskussion dieses Stranges noch hinzugefügt.
Vor allem in der frühen Neuzeit wirkte die Kirche oftmals wissenschaftlicher Hemmschuh. Hier hat sie ihre Fehler weitgehend eingesehen und entsprechende Wissenschaftler, wenn auch spät, rehabilitiert. Den modernen Naturwissenschaften steht die Kirche aufgeschlossen aber teilweise sehr kritisch gegenüber. Etwas anderes bleibt ihr ohnehin nicht, da sie weit davon entfernt ist, die Publikation unliebsamer Ergebnisse unterdrücken zu können. Besonders im Bereich Kosmolgie ist die Kirche heute sehr interessiert, 1981 fand im Vatikan ein Symposium über dieses Thema statt, zu dem namhafte Vertreter eingeladen waren. Modernen Biotechnologien wie Klonen und Stammzellenforschung allgemein steht die Kirche sehr kritisch gegenüber. Die in Deutschland diesbezüglich bestehenden extensiven Verbote können jedoch nicht als aufgrund kirchlicher Kritik zustandegekommen angesehen werden.
Wesentlich ist auch die Historisierung der heiligen Schriften des Christentums, insbesondere des NT. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen und Veröffentlichungen existieren dazu. Keine der großen christlichen Kirchen bestreitet, daß die Heilige Schrift im Kontext gelesen werden muß.
Die Entwicklung des Christentums kann damit nicht vollständig abgeschlossen sein. Wie sie weitergehen sollte, darf und sollte hier durchaus diskutiert werden.


Der Islam:
Aufgrund geographischer und kultureller Unterschiede ist die Aufklärung an der islamischen Welt weitgehend vorbeigegangen. Insofern stellen die Werte des modernen Rechtsstaat aus Sicht des Islam ein gewissermaßen fremdes Konzept dar. Wesentlich ist, daß durch das Nichtdurchlaufen einer Aufklärung der (ausgelegte) Islam nach wie vor den Anspruch hat, auch weite Teile des weltlichen Lebens verbindlich zu regeln.
Hier treten zum modernen Rechtsstaat unmittelbar Reibungspunkte auf. Ich halte es für eine Grundlage des Zusammenlebens in einem modernen Rechtsstaat, daß dessen Befugnisse, Recht und Gerichtsbarkeit zu regeln, vorbehaltlos anerkannt werden. Das ist m.E. bei gleichzeitiger Anerkennung der Scharia als verbindlichem - und da göttlichen Ursprungs: übergeordnetem - Gesetz nicht der Fall. Ebenso scheint die Idee des islamischen Gottesstaates immer noch aktuell zu sein. Sie ist mit dem modernen Rechtsstaat keinesfalls vereinbar.
Weiter ist m.E. bedeutsam, daß es eine Historisierung des Koran nie gegeben hat. Nicht nur daß, eine derartige Forderung ist nach islamischer Ansicht geradezu blasphemisch. Ich dagegen bin wie Ex-Innenminister Schily der Meinung, man muß den Islam - wie alle anderen Religionen auch; gerade dem Christentum passiert das regelmäßig, was ich in einem modernen Rechtsstaat auch für nichts Außergewöhnliches halte - auch als grundsätzlichen "Irrtum" sehen dürfen, ohne vom Bannstrahl einer Fatwa oder - milder - dem Vorwurf des Antiislamismus getroffen zu werden.

Ich halte das Durchlaufen einer kritischen Selbstreflektion, verbunden mit einer Historisierung und Kontextualisierung ähnlich, wie es das Christentum in der Aufklärung getan hat, für den Islam für notwendig, um ihm in einem modernen, westlichen Rechtsstaat einen Großteil seines Konfliktpotentials zu nehmen. Ich halte diese Kritik für angemessen und das Verschweigen der Reibungspunkte zwischen Islam und Rechtsstaat für verwerflich. Der Islam wird, wenn er eine solche Entwicklung durchläuft, dadurch m.E. nicht derselbe bleiben. Wie er danach aussieht, wird die Zeit zeigen.

Grüße
John

Krabat
08.01.2006, 23:06
Wie kommt man eigentlich darauf, im Islam könne es eine Epoche der Aufklärung geben, die zum selben Resultat führt wie in christlichen Gesellschaften?

Die Ausgangsbedingungen sind unterschiedlich. Wie soll da dasselbe rauskommen?

Der Koran darf in keinem Komma verändert werden. Er wird als das Wort Gottes angesehen. Was soll man da diskutieren?

Ein gläubiger Moslem kann kein Demokrat in westlichen Sinne sein, sonst ist er kein Moslem mehr.

Werner Fink
08.01.2006, 23:14
Dass die werte des rechtsstaates aus der christlich-jüdischen tradition kommen halte ich allerdings für ein Gerücht!

John Donne
08.01.2006, 23:15
Wie kommt man eigentlich darauf, im Islam könne es eine Epoche der Aufklärung geben, die zum selben Resultat führt wie in christlichen Gesellschaften?

Durch lösungsorientiertes Denken.



Die Ausgangsbedingungen sind unterschiedlich. Wie soll da dasselbe rauskommen?

Der Koran darf in keinem Komma verändert werden. Er wird als das Wort Gottes angesehen. Was soll man da diskutieren?

Ich habe nie behauptet, daß "dasselbe" rauskommen muß. Das Leisten einer derartigen Selbstreflektion sehe ich als Bringschuld des Islam an. Wie das konkret vonstatten gehen soll, darüber müssen sich m.E. zuallerst die Muslime Gedanken machen. Daß der Koran als zeitloses und direktes göttliches Werk angesehen wird, steht einer solchen Entwicklung zweifellos entgehen. Du siehst richtig: diese Ansicht über den Koran ist die erste, die fallen muß, da ansonsten eine derartige Entwicklung vermutlich nicht möglich sein wird. Für umöglich halte ich sie aber nicht.

Grüße
John

John Donne
08.01.2006, 23:17
Dass die werte des rechtsstaates aus der christlich-jüdischen tradition kommen halte ich allerdings für ein Gerücht!

Dann solltest Du Dich geschichtlich besser informieren.

Grüße
John

Roberto Blanko
08.01.2006, 23:18
Wie kommt man eigentlich darauf, im Islam könne es eine Epoche der Aufklärung geben, die zum selben Resultat führt wie in christlichen Gesellschaften?

Die Mauren waren im Mittelalter bedeutend fortschrittlicher als die christliche Kirche. Manche Dinge ändern sich.


Der Koran darf in keinem Komma verändert werden. Er wird als das Wort Gottes angesehen. Was soll man da diskutieren?

Für die Bibel gilt das auch:


Ihr sollt nichts dazutun zu dem, was ich euch gebiete, und sollt auch nichts davontun, auf daß ihr bewahrt die Gebote des HERRN, eures Gottes, die ich euch gebiete
(Mose 5, 4, 2)


Alles, was ich euch gebiete, das sollt ihr halten und danach tun. Ihr sollt nichts dazutun und nichts davontun. Wenn ein Prophet oder Träumer unter euch aufsteht und dir ein Zeichen oder Wunder ankündigt und das Zeichen oder Wunder trifft ein, von dem er dir gesagt hat, und er spricht: Laß uns andern Göttern folgen, die ihr nicht kennt, und ihnen dienen, so sollst du nicht gehorchen den Worten eines solchen Propheten oder Träumers; denn der HERR, euer Gott, versucht euch, um zu erfahren, ob ihr ihn von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebhabt. Dem HERRN, eurem Gott, sollt ihr folgen und ihn fürchten und seine Gebote halten und seiner Stimme gehorchen und ihm dienen und ihm anhangen. Der Prophet aber oder der Träumer soll sterben, weil er euch gelehrt hat, abzufallen von dem HERRN, eurem Gott, der euch aus Ägyptenland geführt und dich aus der Knechtschaft erlöst hat, und weil er dich von dem Wege abbringen wollte, auf dem du wandeln sollst, wie der HERR, dein Gott, geboten hat -, auf daß du das Böse aus deiner Mitte wegtust.
(Mose 5, 13 1-6)


Ein gläubiger Moslem kann kein Demokrat in westlichen Sinne sein, sonst ist er kein Moslem mehr.

Das hätte man im Mittelalter über einen gläubigen Christen ebenso gesagt.

@ John: Das lese ich mir morgen durch, ist ne Menge Stoff.

Aber die Intention stimmt.

Gruß
Roberto

Werner Fink
08.01.2006, 23:44
Dann solltest Du Dich geschichtlich besser informieren.

Grüße
John
Nun, ein argument mit etwas mehr inhalt hatte ich mir schon erhofft.

Ich weiss, dass das behauptet wird. Die geschichte hat aber eher gezeigt, dass die kirche sich nur zögerliche mit freiheitlichen und rechtsstaatlichen ländern angefreundet hat. Mit absolutistischen monarchien, diktaturen, feudalsystemen hat sie null probleme. Denke doch nur mal an Franko!

Krabat
09.01.2006, 00:21
Die Mauren waren im Mittelalter bedeutend fortschrittlicher als die christliche Kirche. Manche Dinge ändern sich.



Das ist zwar Blödsinn, weil die Moslems damals ihre Frauen ebenfalls verpackt haben, aber da Du offenbar gesperrt bist, ist eine Diskussion dazu hinfällig.

Krabat
09.01.2006, 00:23
Durch lösungsorientiertes Denken.


Ich habe nie behauptet, daß "dasselbe" rauskommen muß. Das Leisten einer derartigen Selbstreflektion sehe ich als Bringschuld des Islam an.

Der Islam hat keine Bringschuld. Aber Begriffe wie "lösungsorientiertes Denken" finden die bestimmt sehr witzig.

"Selbstreflexion" dürfte auch sehr erheiternd wirken.

John Donne
09.01.2006, 00:44
Nun, ein argument mit etwas mehr inhalt hatte ich mir schon erhofft.

Tut mir leid, daß die Antwort sehr kurz ausgefallen ist. Was Du allerdings hier für ein Gerücht hältst, kann m.E. nicht seriös in Zweifel gezogen werden.



Ich weiss, dass das behauptet wird. Die geschichte hat aber eher gezeigt, dass die kirche sich nur zögerliche mit freiheitlichen und rechtsstaatlichen ländern angefreundet hat. Mit absolutistischen monarchien, diktaturen, feudalsystemen hat sie null probleme. Denke doch nur mal an Franko!
Du mißverstehst hier m.E. etwas: Wenn gewisse Überzeugungen, hier Werte, aus denen die Menschenrechte entstanden sind, in jüdisch-christliche Tradition gestellt werden, so bedeutet dies nicht zwangsläufig, daß Institutionen, die vorgaben, sich auf das Christentum zu berufen, dessen Werte wirklich und umfassend umgesetzt haben. Im Falle der katholischen Kirche hieße das einzugestehen, daß die katholische Kirche, insbesondere ihre Führung, stets wahrhaft christlich war. Das ist m.E. nicht der Fall. Es hat in ihr immer wahrhaftige Christen gegeben. Daß die (katholische) Kirche jedoch jahrhundertelang elementare christliche Gebote mißachtet hat, bestreitet eigentlich niemand.
Nichtsdestotrotz halte ich es für keineswegs zufällig, daß sich die Idee der Menschenrechte gerade in einem Umfeld, das trotz aller real existierenden Fehler auch der Kirche, stets in seinen Idealen jüdisch-christlich geprägt war, entwickelt hat. Die Idee des Naturrechts - als göttliches Recht, das der Schöpfung eigen ist - ist von den Scholastikern detailliert erörtert worden, auch wenn zur gleichen Zeit der einfache Mann in Europa davon wenig mitbekommen oder gespürt hat. Desweiteren sind auch hier Reformation und Aufklärung von Bedeuting. Es stimmt, daß die Menschenrechte historisch in weiten Teilen zunächst gegen die Kirchen oder in aufklärerischer Auseinandersetzung mit ihnen entstanden sind, trotzdem basieren sie auf Impulsen, die mit dem christlichen Menschenbild untrennbar verbunden sind. Insbesondere die Menschenwürde ist eine stark christlich gepägte Idee. Im Zusammenhang mit Grundrechten spricht selbst das Bundesverfassungsgericht von der überragenden Prägekraft des christlichen Glaubens (BverfGE 93, 1, 22). Ich denke also nicht, daß es sich dabei um Gerüchte handelt.

Grüße
John

John Donne
09.01.2006, 00:47
@ John: Das lese ich mir morgen durch, ist ne Menge Stoff.

Aber die Intention stimmt.


Ack, jetzt bist Du gesperrt.
Naja, Beiträge sind geduldig - ich bin es auch. Wenn Du wieder da bist, freue ich mich auf Deine Meinung.

Grüße
John

Praetorianer
10.01.2006, 16:37
...

Ich halte das Durchlaufen einer kritischen Selbstreflektion, verbunden mit einer Historisierung und Kontextualisierung ähnlich, wie es das Christentum in der Aufklärung getan hat, für den Islam für notwendig, um ihm in einem modernen, westlichen Rechtsstaat einen Großteil seines Konfliktpotentials zu nehmen. Ich halte diese Kritik für angemessen und das Verschweigen der Reibungspunkte zwischen Islam und Rechtsstaat für verwerflich. Der Islam wird, wenn er eine solche Entwicklung durchläuft, dadurch m.E. nicht derselbe bleiben. Wie er danach aussieht, wird die Zeit zeigen.


Hallo John,

einen schönen langen Beitrag hast du verfasst über deine Meinung zum Thema Rechtsstaatlichkeit im Christentum und Islam.

Du bist der Auffassung, langfristig müsste sich der Islam nach dem Muster der westlichen Welt entwickeln, wozu es zwingend notwendig ist, die Schriften des Islam in ihrem Kontext zu sehen.

Diesen Standpunkt kann man so vertreten, man setzt sich allerdings dem Vorwurf aus, sich selbst, bzw. die westlichen Demokratien als das Maß aller Dinge zu begreifen und eine Daseinsberechtigung abseits westlicher Wertmaßstäbe grundsätzlich auszuschließen.

Von daher würde ich so weit nicht gehen, eine Entwicklung nach westlichen Maßstäben einzufordern, wohl aber die von dir beschriebene Kontextualisierung, denn ohne diese halte ich ein friedliches Zusammenleben für schwerlich denkbar.

Es gibt durchaus friedliche Sekten (ob nun kleinere christliche oder welcher Religion auch immer), die ihre Probleme mit der Anerkennung eines Rechtsstaates haben (Mennoiten, z.B.), das Problem steckt m.E. in den kritischen Suren, aus denen ohne Beachtung des historischen Bezuges eine Rechtfertigung für Mord und Totschlag abgeleitet werden kann.

Zu beachten sind natürlich auch die unterschiedlichenKulturkreise des Islam, so ist der Islam in Malaysia schwerlich mit dem der arabischen Halbinsel vergleichbar!

SAMURAI
10.01.2006, 16:42
Hallo John,

einen schönen langen Beitrag hast du verfasst über deine Meinung zum Thema Rechtsstaatlichkeit im Christentum und Islam.

Du bist der Auffassung, langfristig müsste sich der Islam nach dem Muster der westlichen Welt entwickeln, wozu es zwingend notwendig ist, die Schriften des Islam in ihrem Kontext zu sehen.

Diesen Standpunkt kann man so vertreten, man setzt sich allerdings dem Vorwurf aus, sich selbst, bzw. die westlichen Demokratien als das Maß aller Dinge zu begreifen und eine Daseinsberechtigung abseits westlicher Wertmaßstäbe grundsätzlich auszuschließen.

Von daher würde ich so weit nicht gehen, eine Entwicklung nach westlichen Maßstäben einzufordern, wohl aber die von dir beschriebene Kontextualisierung, denn ohne diese halte ich ein friedliches Zusammenleben für schwerlich denkbar.

Es gibt durchaus friedliche Sekten (ob nun kleinere christliche oder welcher Religion auch immer), die ihre Probleme mit der Anerkennung eines Rechtsstaates haben (Mennoiten, z.B.), das Problem steckt m.E. in den kritischen Suren, aus denen ohne Beachtung des historischen Bezuges eine Rechtfertigung für Mord und Totschlag abgeleitet werden kann.

Zu beachten sind natürlich auch die unterschiedlichenKulturkreise des Islam, so ist der Islam in Malaysia schwerlich mit dem der arabischen Halbinsel vergleichbar!

Vollste Zustimmung !

Das gilt m.E. für Thora, Bibel und Koran gleichermassen.

Man kann ohne Reflektion rein- oder rausinterpretieren was man will.

mfg

John Donne
10.01.2006, 21:52
Hallo John,

einen schönen langen Beitrag hast du verfasst über deine Meinung zum Thema Rechtsstaatlichkeit im Christentum und Islam.

Du bist der Auffassung, langfristig müsste sich der Islam nach dem Muster der westlichen Welt entwickeln, wozu es zwingend notwendig ist, die Schriften des Islam in ihrem Kontext zu sehen.

Diesen Standpunkt kann man so vertreten, man setzt sich allerdings dem Vorwurf aus, sich selbst, bzw. die westlichen Demokratien als das Maß aller Dinge zu begreifen und eine Daseinsberechtigung abseits westlicher Wertmaßstäbe grundsätzlich auszuschließen.

Hallo George,

Du greifst einen wesentlichen Punkt auf, der in dieser Diskussion Bedeutung hat. Daß wir, d.h. der Westen, unser Wertesystem als Maß aller Dinge begreifen und quasi kulturimperialistisch dem Rest der Welt aufzuoktroyieren versuchen, wird uns ja in der Tat auch vorgeworfen.
Inwieweit das seine Berechtigung hat, darüber kann man trefflich streiten, vermutlich wäre dazu ein eigener Strang fällig. Ich möchte meine diesbezügliche Meinung nur kurz skizzieren: Wenn wir das Verbreiten unserer Wertvorstellungen, insbesondere der Menschenrechte, als kulturimperialistisch ansehen, dürfen wir uns aus humanitären Gründen nirgendwo mehr einmischen - und sollten dann auch keinerlei Hilfeleistungen mehr vornehmen. Sehen wir aber ein gewisses Wertekorsett als verbindlich an, haben wir die Pflicht zu helfen, aber gelegentlich - von den UN bilateral zu entscheiden - auch das Recht (und die moralische Pflicht), einzuschreiten.

Mein Eingangsbeitrag bezog sich allerdings auf die Situation bei uns. Und da bin ich entschieden der Meinung, daß die Werte, die wir nach einem langandauernden Prozeß als richtig erkannt haben, nicht über Bord geworfen und auch keiner Relativierung ausgesetzt werden sollten. Es kann nicht sein, daß aus falscher Toleranz von religiösen Ansichten oder sonstigen Traditionen (z.B. Frauenbeschneidung) Verletzungen grundlegender Rechte (z.B. körperliche Unversehrtheit) hingenommen werden. Wie das soeben gebrachte Beispiel zeigt, betrifft dies keineswegs nur den Islam.
Insofern betrifft meine Forderung zuallererst den europäischen Islam. Man mag mich für beschränkt halten, aber ich kann mir hier wirklich keine andere dauerhafte Lösung vorstellen.



Von daher würde ich so weit nicht gehen, eine Entwicklung nach westlichen Maßstäben einzufordern, wohl aber die von dir beschriebene Kontextualisierung, denn ohne diese halte ich ein friedliches Zusammenleben für schwerlich denkbar.

Das ist ein weiterer Punkt: Dauerhaft geht es selbstverständlich nicht nur um das Leben bei uns, sondern auch um ein friedliches Zusammenleben mit den Ländern im Nahen und Mittleren Osten. Hier ist letztlich bei der "kulturimperialistischen" Frage zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.



Es gibt durchaus friedliche Sekten (ob nun kleinere christliche oder welcher Religion auch immer), die ihre Probleme mit der Anerkennung eines Rechtsstaates haben (Mennoiten, z.B.), das Problem steckt m.E. in den kritischen Suren, aus denen ohne Beachtung des historischen Bezuges eine Rechtfertigung für Mord und Totschlag abgeleitet werden kann.

Stimmt. Die Mennoniten sind ein gute Beispiel: Sie verweigen den Wehrdienst (was ja nicht in allen Staaten erlaubt ist) und teilweise sogar das Bezahlen von Steuern, die für das Militär aufgewendet werden. Ob sie sich allerdings im Zweifel gegen das staatliche Rechtssystem stellen, weiß ich nicht genau. Man sieht aber, daß die Mennoniten sehr wanderfreudig immer dorthin gingen, wo man sie in Ruhe läßt und sie sich quasi als Staat im Staate selbst verwalten durften bzw. dürfen (Kanada, Paraguay). Mein Vater, der beruflich häufiger in Südamerika ist, war mal in Paraguay bei Mennoniten. Abgesehen davon, daß man dort von plattdeutschsprechenden Indios begüßt wurde, haben die Mennoniten auf ihrem ländlichen Gebiet für eine starke Infrastruktur und eine deutlich überdurchschnittliche Wirtschaftsleistung gesorgt. Und meines Wissens nach sind sie dort eingewandert bzw. in einer zweiten Welle extra ins Land geholt worden, um besonders unwirtliche Landstriche urbar zu machen. Gut möglich, daß sie mit entsprechenden Sonderrechten ausgestattet wurden.
Was die Suren angeht, sehe ich das auch so. Gerade deshalb ja meine Forderung.



Zu beachten sind natürlich auch die unterschiedlichenKulturkreise des Islam, so ist der Islam in Malaysia schwerlich mit dem der arabischen Halbinsel vergleichbar!
Das spielt definitv auch eine Rolle, ja.

Grüße
John

Praetorianer
10.01.2006, 23:49
Hallo George,

Du greifst einen wesentlichen Punkt auf, der in dieser Diskussion Bedeutung hat. Daß wir, d.h. der Westen, unser Wertesystem als Maß aller Dinge begreifen und quasi kulturimperialistisch dem Rest der Welt aufzuoktroyieren versuchen, wird uns ja in der Tat auch vorgeworfen.
Inwieweit das seine Berechtigung hat, darüber kann man trefflich streiten, vermutlich wäre dazu ein eigener Strang fällig. Ich möchte meine diesbezügliche Meinung nur kurz skizzieren: Wenn wir das Verbreiten unserer Wertvorstellungen, insbesondere der Menschenrechte, als kulturimperialistisch ansehen, dürfen wir uns aus humanitären Gründen nirgendwo mehr einmischen - und sollten dann auch keinerlei Hilfeleistungen mehr vornehmen. Sehen wir aber ein gewisses Wertekorsett als verbindlich an, haben wir die Pflicht zu helfen, aber gelegentlich - von den UN bilateral zu entscheiden - auch das Recht (und die moralische Pflicht), einzuschreiten.

Mein Eingangsbeitrag bezog sich allerdings auf die Situation bei uns. Und da bin ich entschieden der Meinung, daß die Werte, die wir nach einem langandauernden Prozeß als richtig erkannt haben, nicht über Bord geworfen und auch keiner Relativierung ausgesetzt werden sollten. Es kann nicht sein, daß aus falscher Toleranz von religiösen Ansichten oder sonstigen Traditionen (z.B. Frauenbeschneidung) Verletzungen grundlegender Rechte (z.B. körperliche Unversehrtheit) hingenommen werden. Wie das soeben gebrachte Beispiel zeigt, betrifft dies keineswegs nur den Islam.
Insofern betrifft meine Forderung zuallererst den europäischen Islam. Man mag mich für beschränkt halten, aber ich kann mir hier wirklich keine andere dauerhafte Lösung vorstellen.

Das war dann ein Missverständnis meinerseits, wenn du das auf muslimische Einwanderer beziehst, halte ich das Gesagte für eine Selbstverständlichkeit. Dem Vorwurd setzte man sich nur dann aus, wenn man den Anpruch verträte, die Moslems in aller Welt müssten sich an uns orientieren.



Das ist ein weiterer Punkt: Dauerhaft geht es selbstverständlich nicht nur um das Leben bei uns, sondern auch um ein friedliches Zusammenleben mit den Ländern im Nahen und Mittleren Osten. Hier ist letztlich bei der "kulturimperialistischen" Frage zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.


Genau und auf diese Situation bezogen, sehe ich die von dir angesprochene Deutung des Koran im historischen Kontext für unerlässlich, das Aufzwingen westlicher Maßstäbe allerdings für fragwürdig.

Auf den (durch Einwanderung verbreiteten) Islam in christlichen Mehrheitsgesellschaften bezogen, gebe ich dir dann absolut Recht; hier sollten von westlichen Maßstäben in Europa oder Nordamerika keine Abstriche gemacht werden.


Stimmt. Die Mennoniten sind ein gute Beispiel: Sie verweigen den Wehrdienst (was ja nicht in allen Staaten erlaubt ist) und teilweise sogar das Bezahlen von Steuern, die für das Militär aufgewendet werden. Ob sie sich allerdings im Zweifel gegen das staatliche Rechtssystem stellen, weiß ich nicht genau. Man sieht aber, daß die Mennoniten sehr wanderfreudig immer dorthin gingen, wo man sie in Ruhe läßt und sie sich quasi als Staat im Staate selbst verwalten durften bzw. dürfen (Kanada, Paraguay). Mein Vater, der beruflich häufiger in Südamerika ist, war mal in Paraguay bei Mennoniten. Abgesehen davon, daß man dort von plattdeutschsprechenden Indios begüßt wurde, haben die Mennoniten auf ihrem ländlichen Gebiet für eine starke Infrastruktur und eine deutlich überdurchschnittliche Wirtschaftsleistung gesorgt. Und meines Wissens nach sind sie dort eingewandert bzw. in einer zweiten Welle extra ins Land geholt worden, um besonders unwirtliche Landstriche urbar zu machen. Gut möglich, daß sie mit entsprechenden Sonderrechten ausgestattet wurden.
Was die Suren angeht, sehe ich das auch so. Gerade deshalb ja meine Forderung.


Es zeigt zumindest, dass auch außerhalb dieser genannten Wertmaßstäbe ein friedliches Zusammenleben möglich ist, allerdings sehe ich, wie du scheinbar auch, ein Problem in manchen Textpassagen, wenn sie zeitlose Gültigkeit für viele besitzen!

Zumindest ist ersichtlich, dass andere Menschen, die ebenfalls nicht westlich geprägt sind, ihr Heil nicht in irgendwelchen "heiligen Kriegen" suchen, was natürlich auch für sehr viele Moslems genauso gilt!

Grüner Simon
19.01.2006, 16:27
Durch lösungsorientiertes Denken.


Ich habe nie behauptet, daß "dasselbe" rauskommen muß. Das Leisten einer derartigen Selbstreflektion sehe ich als Bringschuld des Islam an. Wie das konkret vonstatten gehen soll, darüber müssen sich m.E. zuallerst die Muslime Gedanken machen. Daß der Koran als zeitloses und direktes göttliches Werk angesehen wird, steht einer solchen Entwicklung zweifellos entgehen. Du siehst richtig: diese Ansicht über den Koran ist die erste, die fallen muß, da ansonsten eine derartige Entwicklung vermutlich nicht möglich sein wird. Für umöglich halte ich sie aber nicht.

Grüße
John

Die Bibel wurde ursprünglich ebenfalls als Offenbarung dargestellt, im Grunde wird sie das von vielen immer noch. Da eine Offenbarung direkt von Gott kommt und daher unveränderlich ist bringt vielerlei Probleme mit sich, das habt ihr richtig erkannt.
Da aber auch die Bibel aus ihrer Rolle der eins zu eins zu übersetzdenden Offenbarung herausgewachsen ist, kann ein ähnlicher Prozess auch vom Koran durchlebt werden.

Somit glaube ich auch, dass diese Entwicklung möglich ist.

Krabat
19.01.2006, 19:38
Die Bibel wurde ursprünglich ebenfalls als Offenbarung dargestellt, im Grunde wird sie das von vielen immer noch. Da eine Offenbarung direkt von Gott kommt und daher unveränderlich ist bringt vielerlei Probleme mit sich, das habt ihr richtig erkannt.
Da aber auch die Bibel aus ihrer Rolle der eins zu eins zu übersetzdenden Offenbarung herausgewachsen ist, kann ein ähnlicher Prozess auch vom Koran durchlebt werden.

Somit glaube ich auch, dass diese Entwicklung möglich ist.

Die christliche Offenbarung besteht vor allem im apostolischen Glaubenbekenntnis, nicht im Neuen Testament.

Die islamische Offenbarung ist der Koran.