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Mark Mallokent
11.02.2006, 08:24
Diesen klugen Text fand ich bei "Politically Incorrect" :lesma:

So wird man Nahostkorrespondent - eine Anleitung

Gastbeitrag von von Claudio Casula

Vorbemerkung

Israel ist klein, gerade mal so groß wie Hessen, der Konflikt mit den Palästinensern im Vergleich zu anderen Kriegen lokal und eher begrenzt, auch von der Opferzahl her. Gerade mal zwei Tote pro Tag im Durchschnitt während der „Intifada“. Das soll uns aber nicht anfechten. Tu so, als wäre jeder scheele Blick eine Meldung wert. Und wenn im Darfur in drei Jahren 180.000 Menschen niedergemacht werden – ein Toter in Gaza, ein paar neue Häuser in einer Siedlung, eine Demo der Siedlerbewegung, täglich dargebracht, vermitteln unserer Kundschaft: Da vor allem geht es um die Wurst. Die Leute glauben längst, dass der Kampf um Israel/Palästina der Konflikt unserer Zeit ist, und wir arbeiten daran, dass es so bleibt.

Für dich ist der Job ideal

Du wohnst in Tel-Aviv, kannst tagsüber im Mittelmeer baden und abends bequem in deinem Lieblingspub ein Bierchen zischen. Wenn du ein bißchen Action haben willst, brauchst du nur 15 km nach Osten zu fahren. So einen Konfliktherd findest du kein zweites Mal.

Fakten

Geh sparsam mit Fakten und bestätigten Meldungen um. Saftige Gerüchte und vorschnelle Anschuldigungen sind viel aufregender. Erinnere dich an Muhammed al-Dura. Oder an das „Massaker von Jenin“. Heiko Flottau hat damals geschlagene zwei Wochen lang in der SZ sehr farbenfrohe Schauergeschichten von „500 Toten“ gebracht, von Männern, die auf der Erde nebeneinander gelegt von Panzern überrollt wurden etc. In solchen Fällen setzt du die Glaubwürdigkeit deiner Gewährsleute einfach voraus. Entpuppt sich die Geschichte hinterher als grandiose Ente, ist das kein Drama. Eine Entschuldigung wird dein Blatt / dein Sender ohnehin nicht bringen. Oder du setzt wie Flottau einen drauf und machst dich am Ende noch über den „Fehlschlag“ der israelischen Armee lustig, die eben doch nur zwei Dutzend Terroristen erwischt hat. Wenn es um die Ursachen für die „Al-Aqsa-Intifada“ geht, ignoriere das Geständnis des palästinensischen Kommunikationsministers Faludji, der schon vor Jahren zugab, dass die Gewaltwelle Monate im Voraus geplant war. Wärme statt dessen zum x-ten Mal die ranzige These von Sharons Kurzbesuch auf dem Tempelberg als „Provokation“ auf.

Opfer

Tote liefern spektakuläre Bilder. Die Araber zeigen die ihren gerne her, die Juden aus Pietätsgründen nicht. Also bringen wir auch nur die arabischen. Außerdem ist bei palästinensischen Begräbnissen immer was los, mit Hunderten, die in die Luft ballern und Rache schwören, während die Israelis nur schluchzend am Grab stehen. Wichtig: Unbedingt vermeiden, dass man israelische Opfer sieht. Nach jedem Anschlag liegen in den Krankenhäusern Dutzende Schwerverletzte herum. Bekommt der deutsche Medienkonsument die zu sehen, könnte er auf die Idee kommen, dass auch Israelis Opfer des Konflikts werden. In die Opferstatistik packen wir übrigens unterschiedslos alles rein, was bei dem Konflikt zu Tode kommt: Selbstmordbomber und ihre Opfer, Siedlerkinder und gezielt liquidierte Terror-Chefs, Zivilisten und Soldaten, nicht uniformierte Gunmen und Gelynchte, Kollateralschäden und Bewaffnete, die beim Überfall auf eine Ortschaft erschossen werden etc. Der Vorteil des undifferenzierten Bodycounts: Wer am Ende mehr Tote zu beklagen hat, egal ob Kombattanten oder Fahrgäste im Linienbus, ist im Recht.

Bilder, Bilder, Bilder

Die Medienpräsenz in Israel und Palästina wird dich überraschen. Dort drängeln sich mehr Journalisten als in ganz Afrika. Um jeden Steinewerfer stehen sechs Kameramänner und Fotografen herum. Dein arabischer Fotograf weiß schon, welche Motive gefragt sind, etwa wenn ein Panzer des Weges kommt und ein kleiner Junge zur Schleuder greift. Solche Gelegenheiten ergeben sich zuhauf, ja täglich, wohingegen man sich vom nächsten Busbombenattentat in Tel Aviv überraschen lassen muss. Da sind dann nun mal keine Bilder möglich.

Ursache und Wirkung

Geschieht ein solcher Anschlag, können wir davon ausgehen, dass die israelische Armee gegen die Urheber vorgeht. Dann sind wir wieder dabei. Wichtig: Die üppige Verwendung des Wortes „Vergeltung“, auch wenn es sich um eine absolut vertretbare Maßnahme zum Schutz der Bürger handelt. Der Wiedererkennungswert ('alttestamentarische Rachsucht') ist beträchtlich und delegitimiert die Aktion. Bemühe das Bibelwort „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ bei jeder Gelegenheit. Es geht da zwar um Entschädigungsregelungen, aber das weiß eh kein Mensch. Erwischt die israelische Armee einen Chefterroristen per Rakete in seinem Auto, machen wir auf mit „Israel greift Gaza-Stadt an“. Pflanzt ein Terrorist am Straßenrand eine Bombe, wird dabei von einer Patrouille erwischt und erschossen, titeln wir „Israelis erschießen Palästinenser“. Am Ende bleiben so nicht die palästinensischen Aktionen hängen, sondern die israelischen Reaktionen. Genial, nicht?

Die Mauer

Die von Israel errichtete Sicherheitsanlage besteht zu 96 Prozent aus High-Tech-Zaun, aber wir bleiben beim Terminus Mauer, das ist plakativer und erinnert an das Berliner Monstrum. Vermeide, den rasanten Rückgang der Terroranschläge um 80 Prozent zu erwähnen und weise statt dessen darauf hin, dass der Bau der „Mauer“ manche Unbill für die palästinensischen Anrainer mit sich bringt. Fahre notfalls 50 Kilometer am Zaun entlang, bis du ein Mauerstück findest, das du filmen kannst, gern mit einem palästinensischen Jungen davor, der einen Esel an der Leine führt. Alternativ: ein altes Mütterchen mit Kopftuch, das einen Checkpoint passiert oder mit einem schwer bewaffneten Soldaten disputiert. Empöre dich über acht Meter hohe Betonteile und lass außer Acht, dass sie dort errichtet wurden, wo früher Gewehrschützen auf Autos und doppelstöckige Linienbusse schießen konnten. Akzeptiere die Klage, die Sperranlage sei ein Hindernis für den Frieden, obwohl er erwiesenermaßen ein Hindernis für Terroristen ist.

Friedensgegner

Im Gegensatz zu den palästinensischen Autonomiegebieten ist Israel eine Demokratie, in der echte Radikale kaum Zulauf haben. Erkläre deshalb jeden zum Hardliner, der sich rechts von Uri Avneri befindet. Lässt du mal einen Israeli zu Wort kommen, was möglichst selten der Fall sein sollte, dann nimm einen wie Avneri oder auch Moshe Zimmermann. Die sprechen praktischerweise auch beide deutsch. Jeder Mainstream-Israeli, der aus guten Gründen Zweifel am Friedenswillen des palästinensischen „Partners“ hat, ist für uns ein Gegner des Friedens an sich. Ganz wichtig: Stelle die Linken als die wenigen guten Israelis dar, die Siedler als das Böse schlechthin und ignoriere die breite Mitte der Gesellschaft. Sorge dafür, dass vor allem Soldaten, bewaffnete Siedler und orthodoxe Juden in deinen Berichten auftauchen. In der palästinensischen Gesellschaft gibt es kaum echte Demokraten, deshalb gehört eine säkulare Terrororganisation wie Fatah schon in die Schublade „gemäßigt“, auch wenn noch der letzte Likudnik mehr Demokratieverständnis besitzt als diese maskierten und Kalaschnikows schwingenden Kohorten. Danach kannst du die Hamas ruhig „radikal“ oder besser „militant“ nennen und guten Gewissens von „Radikalen“ oder „Extremisten auf beiden Seiten“ sprechen.

Mach alles gleich

Zwar stehen sich in diesem Konflikt zwei sehr unterschiedliche Parteien gegenüber, nämlich auf der einen Seite eine pluralistische parlamentarische Demokratie mit freier Presse, Gewaltenteilung etc., vom Wählerwillen auf Friedenskurs getrimmt, auf der anderen ein von korrupten Revoluzzern und Warlords kontrollierter rechtsfreier Raum, in dem allerhand Milizen ungehemmt wachsen und gedeihen, die ein Interesse am fortwährenden Kriegszustand haben, um von ihrem völligen Versagen auf allen Gebieten abzulenken. Du aber musst den Eindruck erwecken, dass da zwei irgendwie gleich geartete Konfliktparteien miteinander zu Potte kommen können. Vergiss die herkömmliche Weisheit, dass man für den Frieden zwei braucht, für den Krieg aber bereits einer genügt.

Hintergrundinformationen

Absolut tabu. Wenn du erst einmal anfängst, Teilungspläne, israelische Friedensofferten oder arabische Kompromissunfähigkeit zu erläutern, verunsicherst du nur die Leute, die den Beginn des Konflikts mit der Eroberung der Westbank und Gazas 1967 ansetzen und lediglich zwischen Besetzten und Besatzern unterscheiden wollen. Lass es!

Die Palästinenser

Hab Verständnis. Hab noch mehr Verständnis. Egal, was sie treiben, ob Lynchmorde an Kollaborateuren oder Jubelfeiern nach einem Massaker in Jerusalem, ob sie israelische Flaggen verbrennen und „Tod den Juden!“ rufen oder Straßen nach Suizidmassenmördern benennen, ob sie Kinder als Kanonenfutter missbrauchen oder unehelich schwanger gewordene Frauen zur Wiederherstellung der Familienehre in den Märtyrertod schicken. Merke: An allem ist „die Besatzung“ schuld, zehn Jahre Autonomie hin oder her. Hake nicht nach, wenn Saeb Erekat von „40 years of occupation“ spricht und Osloer Abkommen und Selbstverwaltung souverän ausklammert. Unterschlage, dass die Roadmap in erster Linie von der PA Maßnahmen gegen den Terror fordert. Akzeptiere, dass Kompromisse seitens der Palästinenser nicht möglich sind, weil sie ihre Maximalforderungen als „heilige Rechte“ ansehen und jedes Entgegenkommen als Verrat. Lass sie jammern. Lass sie noch mehr jammern. Über Landkonfiszierungen und abgeholzte Olivenbäume, Mauerbau und Checkpoints und darüber, dass sie nicht mehr in Israel arbeiten dürfen. Halte dich nicht mit Erklärungen der Ursachen für jede dieser Maßnahmen auf. Dafür bleibt im unserem Tagesgeschäft keine Zeit. Schließlich können wir über alles reden, aber nicht über 1:30.

Gefahren

Vermeide es, auch nur ein Wort der Kritik am Gewalt- und Todeskult in den Gebieten zu verlieren. Mit Kritik kann man dort schlecht umgehen. Denk an Ricardo Cristiano von der RAI, der sich dafür entschuldigt hat, dass die Kollegen vom Privatsender RTI den Lynchmord von Ramallah gefilmt hatten, und an die massiven Drohungen gegen Journalisten, die das Verbrechen dokumentieren wollten. Oder an die Jubelszenen in Ramallah am 11. September. Man hat die ausländischen Reporter damals in einem Hotel eingesperrt, bis das Happening vorbei war. Also halte den Ball flach. In Israel geschieht dir nichts. Die Linken sind dir sogar gern behilflich, wenn du Israel anprangerst, und die breite Masse ist ohnehin nichts anderes gewohnt. Geht es in den Gebieten mal etwas heftiger zur Sache, bleib cool. Wozu hast du all die arabischen Freelancer, die als Fotografen und Kameramänner vor Ort sind? Mach dir den doppelten praktischen Nutzen klar: du musst das Bildmaterial nicht einmal sichten. Wenn du für das Fernsehen arbeitest, spare dir das Anlegen der schusssicheren Weste für den Aufsager am Abend auf, damit man auch sieht: Hei-ho, der traut sich aber was als Krisenreporter!

Kleines Wörterbuch

Die dezente Zurückhaltung, die wir bei der Berichterstattung aus Frankreich oder Australien üben, darfst du an deinem neuen Arbeitsplatz getrost ablegen. Werte nach Herzenslust, greife tief in die Phrasenkiste, gehe großzügig mit Euphemismen und Hyperbeln um.

Terrorist: Militanter, Kämpfer, Radikaler, Bewaffneter
Terroranschlag: Angriff, Zwischenfall
Terrorwelle: Intifada, Aufstand, Unruhen, Widerstand, Ringen um Unabhängigkeit
Militäraktion gegen Terroristen: blutige Vergeltung, Rache, Drehen an der Gewaltspirale
Israelischer Politiker: Hardliner
Palästinensischer Diktator: charismatischer Führer
Arabischer Märchenerzähler aus Jenin: Augenzeuge
Zaun: Mauer
Liquidierung einer „ticking bomb“: ungesetzliche Tötung
Andauernde Gewalt: Waffenstillstand, Hudna
Steine- und Molliwerfer, Gewehrschütze: Demonstrant
Chef einer islamistischen Terrororganisation: spiritueller Führer
Dessen Stellvertreter: Kinderarzt
Beachte: Palästinenser nie im Aktiv erwähnen! Palästinenser werden erschossen, aber sie ermorden niemals Israelis. Sprengt ein Terrorist einen Bus in die Luft, titeln wir neutral: „Anschlag in Tel Aviv“. Oder: „Nahost: Tote bei Selbstmordattentat“. Zwar werden die Bomber immer von einer Organisation losgeschickt und sind nur ein Rädchen in der Maschinerie des Terrors. Sprich aber trotzdem von einer „Verzweiflungstat“, das gibt den Human Touch. Halte Äquidistanz zu Tätern und Opfern und sei stolz auf deine Unabhängigkeit und Neutralität.

Wenn du alle Ratschläge dieses Handbuches beherzigst, hast du besonders gute Chancen, bei Arte, beim ZDF, beim stern oder bei der Süddeutschen Zeitung unterzukommen.

Igel
11.02.2006, 08:32
einmaliger beitrag. ;)
mehr braucht man nicht zu sagen aber before ich schalfen gehe weil ich toal mued bin muss ich das wenigstens sagen . ;)

twoxego
11.02.2006, 13:52
ja ein sehr guter text.

leider wird die position der autorin nicht wirklich deutlich.
ist das medienschelte allgemein ?
was verlangt sie?
sollten sich journalisten immer nur da aufhalten, wo es keine diskotheken und vernünftige wc's gibt ?

natürlich wird seit ewigen zeiten selektiv über die welt berichtet.
man kann halt auch mit der wahrheit lügen, indem man teile herausstellt und andere weglässt.

was soll denn daran neues sein?

Caput Mundi
11.02.2006, 18:04
[QUOTE=Mark Mallokent]Diesen klugen Text fand ich bei "Politically Incorrect" :lesma:

So wird man Nahostkorrespondent - eine Anleitung[Quote]



Dem exzellenten Beitrag meines regionalen(sardischen) Landsmanns Claudio Casula ist nichts hinzuzufuegen.

Bravissimo e impeccabile Claudio. ;)

Calo Nord
11.02.2006, 18:26
@Mallokent
Schöner Beitrag. "Die Israelis" sind nun mal "die Juden". Und "die Juden" sind nun mal Kapitalisten / Finanzjudentum, und das ist böse. Im linken Europa darf dann nichts positives über das Finanzjudentum stehen, stell dir mal vor, sonst bekämen die Kapitalisten noch Aufwind.

Angel of Retribution
11.02.2006, 19:21
@Mallokent
Schöner Beitrag. "Die Israelis" sind nun mal "die Juden". Und "die Juden" sind nun mal Kapitalisten / Finanzjudentum, und das ist böse. Im linken Europa darf dann nichts positives über das Finanzjudentum stehen, stell dir mal vor, sonst bekämen die Kapitalisten noch Aufwind.


Welcher Linke redet bitte über das Finazjudentum?????


Zum Text: Traurig, aber war und trotzdem lustig. ;)

Calo Nord
11.02.2006, 19:59
Welcher Linke redet bitte über das Finazjudentum?????Da haben wir es also. Israel muss anscheinend ein sozialistischer Staat werden damit man gut über sie redet. Solange in Israel der Kapitalismus noch zu weit verbreitet ist, solange sind die Palästinenser unschuldig. Schliesslich ist es der böse Kapitalismus das alles Übel verursacht. Würde man Israel recht geben, so würde man dem Kapitalismus recht geben und das wollen linke Europäer nicht. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass genau die selben gegen die USA hetzen. Attac Sprüche wie "arme Arbeiter geknechtet auf den Plantagen der Plutokraten ..." zeigen eindeutig wieso man Israel beschuldigt. Lies nochmal den Text durch.

Zwar stehen sich in diesem Konflikt zwei sehr unterschiedliche Parteien gegenüber, nämlich auf der einen Seite eine pluralistische parlamentarische Demokratie mit freier Presse, Gewaltenteilung etc., vom Wählerwillen auf Friedenskurs getrimmt, auf der anderen ein von korrupten Revoluzzern und Warlords kontrollierter rechtsfreier Raum, in dem allerhand Milizen ungehemmt wachsen und gedeihen, die ein Interesse am fortwährenden Kriegszustand haben, um von ihrem völligen Versagen auf allen Gebieten abzulenken. Stimmen die linken Europäer also den Israelis zu, dann entschulden sie die Plutokraten, aber genau das wollen sie ja nicht, genau so wenig wie die Braunen. An allem ist eben immer der Kapitalismus schuld. Wer einen kapitalisitschen Staat hat oder Teile kapitalistisch sind, der verdient keine faire Berichterstattung, weil man sonst die soziale Ideologie torpedieren würde.