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Vollständige Version anzeigen : Leiden, Rückkehr und Urzustand



Klopperhorst
16.06.2006, 00:27
Man sehe sie doch nur ein Mal darauf an, diese Welt beständig bedürftiger Wesen, die bloß dadurch, daß sie einander auffressen, eine Zeitlang bestehn, ihr Daseyn unter Angst und Noth durchbringen und oft entsetzliche Quaalen erdulden, bis sie endlich dem Tode in die Arme stürzen: wer dies deutlich ins Auge faßt, ...wird gestehn müssen, daß einen Gott, der sich hätte beigehn lassen, sich in eine solche Welt zu verwandeln, doch wahrlich der Teufel geplagt haben müßte.
(Schopenhauer)


Damals war noch alles in Ordnung, in den glücklichen Kindertagen, als man hinausblickte in den blauen, weiten, uendlichen Himmel. Ich erinnere mich gerne an diese Zeit. Der Zauber der Unendlichkeit verriet meine Herkunft. Wenn auch unbewusst, so war ich von ihr ergriffen - hatten mich meine Eltern doch aus dem unendlichen Strom der Gewalten erschaffen, ja waren sie selbst Strom dieser Gewalten und des ewigen Willens zum Sein.

Warum musste ich da sein und diese Welt erblicken?

Je älter man wird, desto mehr stellt man sich diese Frage, denn man stellt fest, daß die Existenz ein Fehltritt ist, ein Leiden um seiner selbst Willen, ein Leiden aus Notwendigkeit, das mit der Zeugung begann. So schaffen wir uns Religionen, Mystiken und Philosophien, die uns das Leiden der Welt und die Resonanz unseres Daseins erklären und verständlicher machen sollen; aber sie reichen nicht hin, auch nur den Hauch einer Gewissheit zu besitzen. Tiefer Glaube kann das Leiden mindern, Ablenkung und egoistisches Streben selbst ein paar Jahre von ihm nehmen. Dann aber umso härter schlägt es zu und zeigt uns die Wahrheit dessen, was wir sind. Leidende, vergängliche Individuen, Erscheinungen auf der Bühne der Zeit. Ein paar Jahre noch pflegt man unsere Gräber, dann verblassen die ersten Erinnerungen in den Köpfen unserer Nachfahren, und, sofern wir keine Großen waren, bleibt nichts von uns.

So sehne ich mich schon jetzt nach dem alten Strom zurück, der alten Bewusstslosigkeit, dem schöpferischen Urzustand. Der Tag des natürlichen Todes gleicht somit der Rückkehr in die Heimat. Der Tod ist der Zustand, aus dem der Wille spricht, der sich nur in eigenem Leiden erkennen kann.

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Grüner Simon
16.06.2006, 12:38
Die Düsterheit die du hier an den Tag legst, gewiss nicht unbegründet, ist jedoch ein typischer Schluss des Menschen in erster Linie das Leid zu sehen, und die Freude wie Zufriedenheit im Verlauf des Seins nur als kurze, im Ganze gesehen unbedeutende Einschübe darzustellen.

Ich verweise gewagt darauf, dass wir dieses Leid selbst schaffen, nicht nur durch unsere Leid erzeugenden Taten, sondern durch unsere Willensgestaltung. Mir ist klar, du wirst auf den nahezu unvorhandenen Einfluss des Menschen auf seinen Willen verweisen und freue mich schon darauf, aber unsere eigene Zielsetzung ist der Schlüssel zum Leid.

Nur weil wir uns andauern Ziele setzen und diese im Gesellschaftsbild auch noch einer kollektiven Natur verschreiben erfüllen wir uns die Tage mit ständigem Leid.
Es gilt sich von den Zielen zu lösen, den Willen aufzugeben, und dann zu leben. Dieser Weg findet nur wenig Leid. Wobei dieser Weg schwer zu gehen und nie voll zu beenden ist. Doch nie wurde uns ein leidloses Leben versprochen, denn das Leid ist die Basis für die Freude...

Klopperhorst
16.06.2006, 12:44
Ich verweise gewagt darauf, dass wir dieses Leid selbst schaffen, nicht nur durch unsere Leid erzeugenden Taten, sondern durch unsere Willensgestaltung. ... Mir ist klar, du wirst auf den nahezu unvorhandenen Einfluss des Menschen auf seinen Willen verweisen und freue mich schon darauf, aber unsere eigene Zielsetzung ist der Schlüssel zum Leid.

Das ist ein Trugschluss. Der Intellekt ist nur Diener des Willens, er kann die Affekte, Gefühle, Schmerzen nur erklären aber nicht beseitigen.

Aus jedem Schmerz spricht der ganze Wille zum Leben.


p.s.
Freude ist übrigens nur eine Seite des Leidens, und keine nachfolgende Freude kann irgendein Leid ungeschehen machen.

GnomInc
16.06.2006, 12:59
Die biologische Generierung eines Einzelwesens Mensch folgt den
unerklärten Zielstellungen der Evolution oder irgendwelcher Götter.
Biologisch tritt jeder Mensch auf unter der düsteren Zielstellung :
" Verrecke du Aas !" , aber pflanze dich fort vorher.:))
Versprechen zu Freude werden nicht gemacht -biologisch tritt Freude
bei zunehmender Geilheit und Orgasmus auf :D
Versprechen zu Leid werden auch nicht gemacht - aber Leid tritt unvermeidbar
auf , allein durch die Masse der Mitkonkkurenten in der eigenen Art und die Begehrlichkeiten anderer Arten Blut und Fleischliebhaber ( Mücken ; Läuse,
Zecken, Reptilien, Katzen -und Hundeartige etc.)X(

Nachdem wir uns die Erde erschlossen haben - sollen wir uns daran machen,
gemäss der erfolgreichen Vermehrung unserer Art , uns im Kosmos
auszubreiten ? WIR - eine Art potentieller Kosmos-Eroberer ?

Aber auch da wird uns das Leid verfolgen!8o

Grüner Simon
17.06.2006, 14:10
Das ist ein Trugschluss. Der Intellekt ist nur Diener des Willens, er kann die Affekte, Gefühle, Schmerzen nur erklären aber nicht beseitigen.

Aus jedem Schmerz spricht der ganze Wille zum Leben.


p.s.
Freude ist übrigens nur eine Seite des Leidens, und keine nachfolgende Freude kann irgendein Leid ungeschehen machen.

Wie erklärst du dir dann das loslösen vom Willen mancher buddhistischer Mönche???

p.s. Leiden macht auch keine Freude ungeschehen, du siehst es einseitig, wirst deine Gründe haben. Aber darauf zu schließen, dass es allgemeingültigkeit besitzt ist fragwürdig

Klopperhorst
17.06.2006, 14:29
Wie erklärst du dir dann das loslösen vom Willen mancher buddhistischer Mönche???

Ich denke nicht, daß sowas geht, auch nicht bei buddhistischen Mönchen.

Was sie tun, ist eigentlich folgendes:

Sie malträtieren ihren Körper durch Schlaf- und Nahrungsentzug, auch durch den Entzug von wichtigen Bedürfnissen, wie sozialen Kontakten, Geschlechtstrieb usw.

Dadurch wird der Körper (der ja der angeschaute Wille ist) geschwächt, er wird in einen Zustand versetzt, in dem nur noch elementare Bedürfnisse zählen, z.B. Atmen und ein Minimum kalorischer Versorgung. Dieser Zustand äussert sich dann darin, daß der Intellekt nicht mehr aktiviert wird, um dem Willen die Motive vorzuzeigen. Ein Wille, der keine Motive mehr erhält, ist ein temporär gezähmter Wille.

Es ist also nur eine, durch körperliche Qualen und aktiven Entzug von Motiven, erlangte Betäubung des Intellektes und somit Ruhigstellung des Willens. Jeder kennt das gute Gefühl, wenn man müde ist. In diesem Zustand zählt nur noch das Schlafbedürfnis, der Intellekt ist weitestgehend abgeschaltet und kann den Willen somit auch nicht mit den Motiven seines Wollens reizen, somit auch keine Leiden hervorrufen, denn was nicht gewollt werden kann, kann auch nicht gelitten werden.


p.s.
Wenn ich mit Schopenhauer in einem Punkt nicht übereinstimme, dann ist es jener der Verneinung des Willes zum Leben.

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Scarlett
17.06.2006, 16:29
Es ist Talent nötig zum Zweifeln,
aber es ist schlechterdings
kein Talent nötig zum Verzweifeln...

Søren Kierkegaard

Scarlett
17.06.2006, 16:32
Und wenn die Sanduhr der Zeitweiligkeit abgelaufen ist, wenn die Geräusche des weltlichen Lebens verklungen sind und sein rastloser, unwirksamer Aktivismus zu einem Halt gekommen sind, wenn alles um dich herum still ist wie in der Ewigkeit, dann fragt die Ewigkeit dich und jedes Individuum dieser Millionen und Abermillionen nur das folgende: Lebtest du in Hoffnungslosigkeit oder nicht?

Søren Kierkegaard

Vielfrass
17.06.2006, 16:35
lieber KH, lies doch mal ein buch von krishnamurti - danach gehts dir für mindestens 10 min. anders...

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Klopperhorst
17.06.2006, 22:13
Und wenn die Sanduhr der Zeitweiligkeit abgelaufen ist, wenn die Geräusche des weltlichen Lebens verklungen sind und sein rastloser, unwirksamer Aktivismus zu einem Halt gekommen sind, wenn alles um dich herum still ist wie in der Ewigkeit, dann fragt die Ewigkeit dich und jedes Individuum dieser Millionen und Abermillionen nur das folgende: Lebtest du in Hoffnungslosigkeit oder nicht?

Søren Kierkegaard


Kierkegaard meint also, die Hoffnung ist das Entscheidende, die Hoffnung es zu ändern?


Warum wird denn das Glück, wenn es über einen längeren Zeitraum anhält, automatisch zur Qual, zur Langeweile?

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Temudschin
24.06.2006, 19:58
Gegen solch eine Lebensverneinung würde ich Dir empfehlen, Dir mal Nietzsche vorzunehmen - aber von Anfang an bis Ende - der das exakt auf Schopenhauer angelegte Gegenprogramm aufgebaut hat.
Ist nicht ganz einfach, aber unglaublich Lebensbejahend.


Warum wird denn das Glück, wenn es über einen längeren Zeitraum anhält, automatisch zur Qual, zur Langeweile?
Da es sonst für die evolutionäre Entwicklung eines Wesens gefährlich wäre auszuruhen und stillzustehen. Der Mensch ist kein kalter stabiler Stahl, welcher keiner Veränderungen mehr unterliegt und so ist er auch mit diesem 'Fluch' geschlagen.

Grüner Simon
26.06.2006, 12:04
Kierkegaard meint also, die Hoffnung ist das Entscheidende, die Hoffnung es zu ändern?


Warum wird denn das Glück, wenn es über einen längeren Zeitraum anhält, automatisch zur Qual, zur Langeweile?

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Wird es das denn? Oder ist es nur die Plage des Gierigen, des Ungenügsamen?

Klopperhorst
26.06.2006, 12:48
Wird es das denn? Oder ist es nur die Plage des Gierigen, des Ungenügsamen?

Das kann man leider nicht steuern, hier spielen körperliche Reaktionen eine Rolle. Zufriedenheit wird ja maßgeblich durch Hormone bestimmt.

Diese Hormone haben aber nur eine gewisse Halbwertszeit, und so gleicht das Gefühlsleben immer einem Auf und Ab, ob man es nun will oder nicht.


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Grüner Simon
26.06.2006, 16:16
Das kann man leider nicht steuern, hier spielen körperliche Reaktionen eine Rolle. Zufriedenheit wird ja maßgeblich durch Hormone bestimmt.

Diese Hormone haben aber nur eine gewisse Halbwertszeit, und so gleicht das Gefühlsleben immer einem Auf und Ab, ob man es nun will oder nicht.


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Ja und Nein. Selbst der pure Nautwissenschaftler weiss, dass die Produktion der hormone an unzähligen, nicht genau bestimmbaren Faktoren hängt. Zu diesen auch der eigene Charakter zählt welcher durauch formbar ist, auch durch die eigene Person

Klopperhorst
26.06.2006, 16:39
Ja und Nein. Selbst der pure Nautwissenschaftler weiss, dass die Produktion der hormone an unzähligen, nicht genau bestimmbaren Faktoren hängt. Zu diesen auch der eigene Charakter zählt welcher durauch formbar ist, auch durch die eigene Person

Die neuralen Systeme, welche hier eingreifen können, sind meiner Meinung nach viel zu schwach, als daß sie z.B. elementare Gefühle, Triebe usw. auf Dauer unterdrücken könnten.

Man sagt zwar, daß das möglich ist, aber hier wird viel Geld verdient ... mit Lebensratgebern, Meditations-Kursen und anderem Unfug.

Die Wahrheit ist, daß wir elend sein müssen und das wir leiden müssen. Sich vom Leiden erlösen zu können, gleicht der Quadratur des Kreises und würde das ganze Leben ad absurdum führen.


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Grüner Simon
28.06.2006, 11:00
Die neuralen Systeme, welche hier eingreifen können, sind meiner Meinung nach viel zu schwach, als daß sie z.B. elementare Gefühle, Triebe usw. auf Dauer unterdrücken könnten.

Man sagt zwar, daß das möglich ist, aber hier wird viel Geld verdient ... mit Lebensratgebern, Meditations-Kursen und anderem Unfug.

Die Wahrheit ist, daß wir elend sein müssen und das wir leiden müssen. Sich vom Leiden erlösen zu können, gleicht der Quadratur des Kreises und würde das ganze Leben ad absurdum führen.


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Leben ist Leiden - eine Weißheit mit uraltem Hintergrund. Das Leid ist Bestandteil des Lebens, keine Frage, doch deine Fixierung darauf ist fragwürdig. Denn es ist eben Bestandteil, eine Seite der Medallie. Dagegen spricht doch nichts.
Die Frage ist nur ob es begründet ist das Leben in der Beurteilung auf eben diesen Faktor zu reduzieren?

Scarlett
28.06.2006, 12:24
"Leben ist Tun und Leiden. Je wissender der Mensch, desto tiefer sein seelisches Leid."

Oswald Spengler, Urfragen, Fragmente aus dem Nachlass

Was folgt daraus: Wenn wir glücklich sein wollen, müssen wir dumm bleiben.

Vielfrass
28.06.2006, 12:26
Was folgt daraus: Wenn wir glücklich sein wollen, müssen wir dumm bleiben.

eher: nicht zuviel denken, gemäß den alten zauselbärtigen zen-ideologen:

wenn ich esse, esse ich.
wenn ich schlafe, schlafe ich.