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Vollständige Version anzeigen : Offshore: oder wie sogenannte Experten die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch Verlagerung ins Ausl



opus111
24.02.2004, 14:06
Wer in unseren geplagten Zeiten einen Blick in den Wirtschaftsteil der Tagesgazetten wirft, liest immer wieder Erstaunliches: Da wird beispielsweise ein der Industrie nahestehender Wirtschaftsexperte – im Range des Chefs eines angeblich renommierten Wirtschaftsinstituts – mit den Worten zitiert, dass die Verlagerung anspruchsvoller und gut dotierter Tätigkeiten in billigeres Ausland (z.B. Indien) auf lange Sicht der deutschen Wirtschaft zugute kommen würde. Insbesondere im IT-Bereich spricht man in diesem Zusammenhang von sogenanntem „Offshore“. Ich habe der Fairness halber einige Argumente gesammelt, die dafür zu sprechen scheinen. Anschließend werde ich jedes dieser Argumente einer Prüfung unterziehen.

- A1: Rationalisierungseffekte, die eines Tages Kapital für Inlandsinvestitionen freisetzen

- A2: Indem im Ausland Arbeitsplätze und damit Kaufkraft entstehen, wird Geld eines Tages nach Deutschland zurückfließen. Schließlich müssen ja Inder oder Litauer oder Polen das Geld wieder ausgeben: Was liegt da näher als ein Einkauf in Deutschland?
Edmund Stoiber unterstrich diese Position auf einem Besuch in Indien: Demnach sollten wir Deutschen uns nicht dagegen wehren, wenn insbesondere gut bezahlte IT-Jobs nach Indien verlagert werden. Denn schließlich würden wir ja auch erwarten, dass Indien unsere Airbusse kauft.

- A3: Da es alle tun, müssen wir es auch tun. Sonst bleiben unsere Unternehmen nicht konkurrenzfähig.

Zu A1: Machen wir uns zunächst einmal klar, welchen Unternehmen diese Rationalisierungseffekte zugute kommen, falls die überhaupt eintreten. Es handelt sich nicht um den breiten Mittelstand, allenfalls um einige wenige mittelständische Unternehmen, in der Regel um größere oder Großunternehmen mit transnationalem Zuschnitt. In den vergangenen 10 Jahren haben solche Unternehmen in Deutschland keine Arbeitsplätze geschaffen, sondern massiv abgebaut. Dazu haben sie insbesondere die hervorragenden steuerlichen Möglichkeiten genutzt, welche die von der jetzigen Regierung vorangetriebene Unternehmenssteuerreform geboten hat. Ich habe vor einigen Jahren die These vertreten, dass diese Reform nicht zur Schaffung, sondern zur Abschaffung von Arbeitsplätzen führen werde. Genau dies ist eingetreten. – Gewiss: Einige der Protagonisten dieser staatlichen Subventionierung von Arbeitsplatzabbau werden die These vertreten, ohne jene Reform wären erheblich mehr Arbeitsplätze vernichtet worden. Diese These ist aber in Wahrheit eine Ausflucht und wird nicht der Realität transglobal agierender Unternehmen gerecht, deren Börsenbewertung nach einem allgemeinen Expertenkonsens von Arbeitsplatzabbau und Rationalisierungseffekten abhängig ist. Was liegt also näher, als jeden zusätzlich zur Verfügung stehenden EURO a.) möglichst außerhalb Deutschlands, b.) zum Abbau von inländischen Arbeitsplätzen zu nutzen und c.) dafür indirekte steuerliche Subventionen in Anspruch zu nehmen?

Meine Gegenbehauptung: Die durch Rationalisierungseffekte gewonnenen Mittel werden nicht national reinvestiert, sondern entweder direkt zum Zweck weiterer Rationalisierung eingesetzt oder ins Ausland exportiert (wodurch indirekt wiederum Arbeitsplätze verloren gehen).

Ein weiterer Grund, weshalb die Milchmädchenrechnung nicht aufgeht, sind die erheblichen Kosten, die der Verlust von Arbeitsplätzen im Inland zur Folge hat, und der Verlust inländischer Kaufkraft. Die sozialen Folgekosten führen zur Verteuerung bestehender Arbeitsplätze: Folglich werden wieder Rationalisierungsmaßnahmen erforderlich. Die Spirale dreht sich weiter – Ende nicht absehbar. Wo bleibt eine entsprechende Gegenrechnung unserer Wirtschaftsexperten? Ist es nicht blanker Zynismus, zunächst eine massive Vernichtung inländischer Produktivität mit dem Argument zu fordern, dass „auf lange Sicht“ solche Rationalisierungen indirekt der deutschen Volkswirtschaft zugute kommen würden? Also zunächst Vernichtung zum Zweck eines künftigen Wiederaufbaus? Eine perverse Logik, deren Rechnung eines Tages nur aufgeht, wenn nicht nur nationale, sondern sogar transnationale Verwerfungen größten Ausmaßes hinzukommen.

Zu A2:

Wenn die aus Rationalisierungseffekten gewonnenen Mittel nicht im Inland reinvestiert werden, wäre ja wenigstens theoretisch noch an die Möglichkeit zu denken, dass wachsende Kaufkraft in den sogenannten Offshore-Ländern deutsche Exporte stimuliert und uns auf diese Weise indirekt zugute kommt. Nichts ist fragwürdiger als diese These. Bekanntlich bedeutet bereits heute „Made in Germany“ lediglich, dass der Firmensitz in Deutschland liegt, nicht jedoch dass in Deutschland produziert wird. Dieses Schicksal könnte auch eines Tages Airbus Industries ereilen. Der Firmensitz wird vielleicht in Toulouse verbleiben: aber die Arbeitsplätze? Auch Stoiber ignoriert offensichtlich, dass die Spirale transglobalen Sozialdumpings auch vor den industriellen Lieblingskindern unserer Politikerkaste nicht Halt machen wird.

Meine Gegenbehauptung:

Im Ausland entstehende Kaufkraft wird künftig überwiegend im Ausland selbst genutzt.
Die Vorstellung etwa, Einkommen indischer IT-Kräfte kämen dem Import deutscher Waren zugute, ist außerordentlich naiv. Beispiel Indien: IT-Leistungen sind heute der herausragende produktive Faktor der indischen Wirtschaft: Im Inland existiert ein gewaltiger Nachholbedarf auf allen anderen Produktivsektoren. Selbst der gewaltige Export von IT-Leistungen reicht nicht aus, um die indische Kaufkraft – nur auf Indien bezogen – nachhaltig zu stimulieren.

Zu A3:

Das dritte Argument signalisiert lediglich Fatalismus und/oder Verabschiedung politischer Verantwortung zugunsten eines ausufernden transglobalen Wirtschaftsliberalismus. Gewiss: Aus egoistisch-mikroökomischer Sicht ist das Argument schwerlich zu entkräften. Aus makroökonomischer und insbesondere aus politischer Sicht stellt sich hier aber eher die Frage, aus welchem Grund ein globales Selbstvernichtungsprogramm zusätzlich unterstützt oder beschleunigt werden sollte. Weil es alle tun?

Nachtrag:

Soeben las ich in den neuesten Wirtschaftsnachrichten, dass sich der Geschäftsklimaindex weiter verschlechtere. Empfehlung unserer großen Experten: den Reformstau endlich überwinden (also noch mehr Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung etc.). – Um so erstaunlicher sind ausgerechnet die Nachrichten aus dem kapitalistischen Mutter- und Musterland: Nachdem ein Bush-Berater es wagte, Offshore-Aktivitäten als förderlich zu erklären, wurde er von Bush persönlich zurückgepfiffen. Alle Präsidentschaftskandidaten scheinen sich im Gegenteil auf eine Art protektionistische Doktrin zu verständigen, weil sie den Protest der amerikanischen Öffentlichkeit fürchten. In der deutschen Öffentlichkeit sind solche Erkenntnisse offenbar noch nicht angekommen: die Selbstmordspirale läuft weiter.

l_osservatore_uno
24.02.2004, 15:35
... vor dem Hintergrund der schröder'schen Greencard?!

Wozu dann die eigentlich?

Und waren's nicht die selben 'Sachverständigen', die uns - vor drei Jahren? - die Wichtigkeit des Imports nichtdeutscher 'Intelligenz' so dringend an's Herz gelegt haben?

War's nicht anläßlich irgendeiner CEBIT der vergangenen Jahre?

Was nur ... ist eigentlich los, mit dem Sachverstand der Sachverständigen?

Oder ist's doch nur Verarsche?

Gruß!

Enzo

opus111
24.02.2004, 15:56
Hallo Enzo,

der Sachverstand der sogenannten Experten folgt den Zuwendungen transnational - wie es heute so schön heißt - agierender Großkonzerne.

Die Interessen der Großkonzerne werden wiederum diktiert von den Interessen einiger weniger, die sich auf Kosten ihrer Klientel, der Kleinaktionäre und der Mitarbeiter unermesslich bereichern.

Eine zugegeben einfache Gleichung, die allerdings verflixt realitätsnah ist:

Rausschmiss von Mitarbeitern = Steigerung der Börsenkapitalisierung
(aber nur weil es bei den Spekulanten einen irrwitzigen Konsens gibt, dass dies so sei und sein müsse)

Steigerung der Börsenkapitalisierung = mehr Cash aus Aktienoptionsprogrammen für die Unternehmensspitze

Es ist also klar, wer die Gewinner sind.

Zur Greencard-Offensive ist nur zu bemerken, dass sie idiotisch prozyklisch war. Ich spreche nur deshalb nicht von einer politischen Dummheit, weil ich allmählich in solchen Aktionen eine bestimmte Regelhaftigkeit und Absicht zu erkennen glaube. (Beispiel: Schröder weiß mit Sicherheit, dass die anstehenden Rentenreformen unweigerlich zu massiver Altersarmut führen müssen. Es ist längst bekannt und allgemein akzeptiert, dass mehr als die Hälfte aller Rentner in 20 Jahren eine Rente knapp über dem Sozialhilfesatz beziehen wird. Da Schröder dies genauso gut weiß wie seine Experten, will er es auch!).

Mitte der 90er Jahre empfahl der Chefvolkswirt einer dt. Großbank, deutsche IT-Kräfte sollten auswandern, weil sie nicht mehr gebraucht würden. Ich habe mich damals totgelacht. (Schließlich standen angesichts von Y2K-Problem und EURO-Einführung gigantische IT-Investitionen ins Haus. Es war mit Arbeitskräfteverknappung in diesen Bereichen zu rechnen).

Ende der 90er Jahre empfahl derselbe Mann unserer Regierung eine Greencard-Offensive, weil IT-Kräfte fehlten. Ich konnte mich wiederum nicht halten vor Lachen. (Denn es war abzusehen, dass nach Jahr2000-Problem und EURO-Einführung sowie Scheitern der NewTechnology-Luftblase erheblich weniger IT-Kräfte benötigt würden).

Sogenannte Experten.

Ich habe festgestellt, dass sich die meisten netten Mitbürger in wirtschaftlichen Fragen für inkompetent halten. Folglich sind sie auf Gedeih und Verderben den sogenannten Experten ausgeliefert.
Mündiger Bürger!?

l_osservatore_uno
24.02.2004, 16:45
Original von opus111 Ich spreche nur deshalb nicht von einer politischen Dummheit, weil ich allmählich in solchen Aktionen eine bestimmte Regelhaftigkeit und Absicht zu erkennen glaube.

... hättest Du mal in www.politkforum.de aussprechen sollen, als das Thema "Greencard" noch brandaktuell war.

Naja, Opus, damals hat man dafür virtuell ordentlich was zwischen die großen Zehen bekommen, und als Fremdenfeind bezeichnet zu werden, war eher noch die harmlosere Ansprache, die man für derart nazihaft abweichende Meinungen bereithielt.

Und ich kann mal wieder von mir behaupten:

Enzo ... Du hast recht behalten!

Aber mal ehrlich: Was nutzt mir/uns das?

Gruß!

Und danke übrigens, für Deinen interessanten Beitrag!

Enzo

John Donne
25.02.2004, 11:12
@opus111:

In weiten Teilen ist an Deinen Ausführungen durchaus etwas dran. Allerdings habe ich in der IT-Branche momentan eher der Eindruck, es wird momentan nicht nur weniger outsourcing und offshoring betrieben, sondern vielfach sogar ehemals outgesourcte Abteilung wieder in das Kernunternehmen integriert. Ein Hauptproblem mit dem Outsourcing/Offshoring von IT-Projekten ist die Qualität. Das soll nicht heißen, daß ausländische Programmierer "schlechter" wäre als hiesige Fachkräfte. Programmierer, auch gute, findet man heutzutage nahezu überall. Das Problem sind vielmehr die Organisation, die Zeit und mangelnde Kommunikation. Erfolgreiches Software-Engineering funktioniert (leider?!) nicht so, daß man ein Pflichtenheft über den Zaun von Bangalore werfen könnte und dann nach einiger Zeit seine Wunschsoftware erhält. Vielmehr ist bei heutigen Modellen ein enger Kontakt zwischen Auftraggeber und Entwicklern über die gesamte Projektdauer hinweg nötig. Die erforderliche Enge der Zusammenarbeit ist mit Outsourcing/Offshoring nicht zu erreichen. Gerade diverese Versicherungen und Banken re-integrieren momentan IT-Bereiche, die in den 90ern ausgelagert worden waren.
Das ist sicher nicht in allen Wirtschaftssparten so, könnte dort aber Vorbildfunktion haben.

Zurück zu Deinem Beitrag: Ich gehe in meinen Behauptung sogar noch einen Schritt weiter und meine, das, was heute als BWL an deutschen Hochschule gelehrt wird, ist schlicht asozial. Wir brauchen nicht mehr BWLer, wir brauchen mehr vernünftige VWLer, die mal einen Blick auf das Große und Ganze wagen.
Prinzipiell rate ich allerdings jedem Azubi oder jungem Menschen ganz allgemein, sich möglichst gut zu qualifizieren, möglichst einen geistig anspruchsvollen Beruf zu ergreifen (was keinesfalls bedeutet, wir brächten nur Akademiker) oder einen sonstigen, in dem die Gefahr der Rationalisierung möglichst gering ist. Anders ausgedrückt: Je monotoner und von gleichen, immerwiederkehrenden und geistig anspruchslosen Handlungen ein Job bestimmt ist, umso größer ist die Gefahr, daß er einer Rationalisierung zum Opfer fallen könnte. Und: unqualifizierte Arbeitnehmer haben es natürlich am schwersten. Keinen Berufsausbildungsabschluß zu machen, ist eine Sünde auch gegen sich selbst. Richtig ist, daß man dazu zunächst eine Lehrstelle braucht. Von einer diesbezüglichen Abgabe halte ich allerdings nichts. Ich bin vielmehr der Meinung, daß das heutige Schulniveau schlicht nicht alle Schulabgänger zu einer Berufsausbildung befähigt und daß ein gewisser Teil der Schulabgänger "keinen Bock" hat. Eine gewisse Widerwilligkeit der Wirtschaft kommt heute dazu. Ich halte sie in diesem Punkte allerdings nicht für hauptschuldig.

Grüße
John

opus111
25.02.2004, 14:47
Hallo John,

zunächst zitiere ich:

„Das Problem sind vielmehr die Organisation, die Zeit und mangelnde Kommunikation. Erfolgreiches Software-Engineering funktioniert (leider?!) nicht so, daß man ein Pflichtenheft über den Zaun von Bangalore werfen könnte und dann nach einiger Zeit seine Wunschsoftware erhält. Vielmehr ist bei heutigen Modellen ein enger Kontakt zwischen Auftraggeber und Entwicklern über die gesamte Projektdauer hinweg nötig. Die erforderliche Enge der Zusammenarbeit ist mit Outsourcing/Offshoring nicht zu erreichen. Gerade diverese Versicherungen und Banken re-integrieren momentan IT-Bereiche, die in den 90ern ausgelagert worden waren.“

Ich selbst habe beruflich einige interessante Erfahrungen mit Outsourcing – unter anderem nach Bangalore – gemacht. Leider darf ich nicht aus dem Nähkästchen plaudern, es wäre schon sehr informativ. Nur so viel: In der IT-Branche gibt es ein Kommen und Gehen von Moden. Für den IT-Fachmann ist völlig korrekt, was Du schreibst. Leider werden solche Erkenntnisse jedoch von Betriebswirten und gehobenem Management vielfach ignoriert. Nach einer anfänglichen Outsourcing-Phase in den 90ern und einer Re-Insourcing-Phase um die Jahrtausendwende ist jetzt eine „validierte Outsourcing-Phase“ angesagt. Ich weiß, dass einige Banken reintegrieren. Ich weiß aber ganz genau, dass bestimmte Großbanken in eine „validierte Outsourcing-Phase“ eintreten. Um wen es sich handelt, geht aus der Wirtschaftspresse hervor. Außerhalb des Bankensektors weise ich nur auf SAP hin. Was Oracle und auch Oracle Deutschland betrifft, bitte ich ebenfalls der allgemeinen Presse zu entnehmen. - „Validiert“ bedeutet: „Früher hat es nicht geklappt, weil wir die Probleme noch nicht verstanden haben. Jetzt verstehen wir die Probleme, jetzt klappt es.“ Dass die Probleme jetzt besser verstanden würden, ist lediglich eine Anforderungsdefinition und keineswegs Realität. Daher rechne ich sogar damit, dass die heutigen „validierten Outsourcingbemühungen“ in ein paar Jahren in Reintegrationen einmünden. Bis dahin sehen wir uns jedoch mit der üblen Tatsache konfrontiert, dass dieses „validierte Outsourcing“ von Umfang und Konsequenzen her sehr viel weiter geht als jemals zuvor. Es handelt sich um einen wirtschaftlich bedeutsamen Größenfaktor.

Ich erlaube mir ein Beispiel, mit welcher Leichtigkeit betriebswirtschaftlich orientiertes Management entsprechende Planspiele forciert:

Ein IT-Arbeitsplatz kostet hierzulande zwischen 700 – 900 EURO. In osteuropäischen Ländern ist die gleiche Dienstleistung zwischen 350 – 500 EURO zu haben. Bei den Indern dürfte der Preis zwischen 300 – 400 EURO liegen – wenn nicht sogar darunter. Es wäre nun weit gefehlt, anzunehmen, dass diese Beträge in den Taschen der Mitarbeiter landen. Einkalkuliert sind u.a. Mieten, Verwaltungs- und Hardwarekosten. In Bangalore wird ein Bürocontainer auf die grüne Wiese gestellt: Damit können Hamburg, Frankfurt und München nicht konkurrieren. Bei dieser ganzen Betrachtung sind die Netto-Lohnkosten für die Mitarbeiter absolut nicht entscheidend. Ausschlaggebend sind eher die etwa bei Banken üblichen horrenden internen Verrechnungssätze. Da diese oftmals lediglich auf Management-Beschlüssen basieren (mit wenig realem Hintergrund), können Zahlen outsourcing-freundlich frisiert werden. Frage: Warum sollten Manager Zahlen frisieren wollen? Einfache Antwort: Es geht in Wahrheit nicht darum, ob externe Dienstleistungen de facto billiger sind, sondern dass Personalkosten aus der Bilanz verschwinden! (Ich teile hier Erfahrungen und keine Mutmaßungen mit!). In vielen Fällen könnte ich sogar den Beweis antreten, dass Outsourcing etwa nach Indien aufgrund der enormen Kommunikationskosten mittelfristig erheblich teurer ist als das Beibehalten entsprechender inländischer Arbeitsplätze. Natürlich weiß die breite Öffentlichkeit nichts oder wenig davon, dass die Milchmädchenrechnungen gehobener Manager einer gewollten (börsenorientierten) Strategie folgen. Wobei das Motto gilt: „Nach mir die Sintflut, heute brauche ich den Erfolg. Morgen sitze ich auf einem anderen Stuhl.“ Man könnte hier auch von einer verkommenen Moral einer breiten Schicht des gehobenen Managements sprechen.

John Donne
25.02.2004, 15:14
Mit den Moden hast Du Recht, das sehe ich genauso.
Mit der "verkommenen" Moral einer breiten Schicht des Managements ebenso. Meiner Meinung nach ist sehr vieles in diesem Bereich schlichtweg Aktionismus.
Das Begriffskauderwelsch - man möchte ja modisch klingen - paßt da sehr gut ins Bild. Ein Prof. von mir meinte früher bei nichtssagenden Präsentationen, die lediglich aus hohlem Phrasendreschen bestanden, die Präsentation habe "KLV Niveau", wobei KLV bezeichnend für Kinder, Laien und Vorstände steht.
Wie Du zu Recht anmerkst, ist das Hauptproblem fehlende Nachhaltigkeit. Dazu kommen mangelnde Risikobereitschaft und das Bedürfnis, Erfolge stets nur zu ernten und niemals für spätere Zeiten zu säen.
Ich hoffe, daß wenigestens nach der zweiten Welle des Re-Insourcing endlich vernüftige Konsequenzen daraus gezogen werden.
Es ist gut, sich Gedanken darüber zu machen, was das Kerngeschäft ist. Aber man muß dies nicht jährlich völlig neu definieren.

Grüße
John

opus111
25.02.2004, 15:37
Ich habe schon einmal halb spaß-, halb ernsthaft darüber nachgedacht, ob die Tätigkeit von Vorständen zum Kerngeschäft eines Unternehmens zählt. Leider spricht die geltende Gesetzeslage dagegen, diese Tätigkeiten outzusourcen.

Selbst erlebtes Beispiel: Outsourcing-Analyse für ein spezielles Projekt (vor einigen Jahren, als das Schlagwort „validiertes Outsourcing“ nur von ein paar Spezialisten verwendet wurde). Ellenlange Aufstellungen über Aufwand, Kosten, Zeit und zuletzt „Risiken“. Entscheidungsmatrizen von Betriebswirten. Punkteskalen. Gewichtungen. Erstes Ergebnis: Outsourcing ist günstiger, weniger aufwändig, weniger zeitkritisch. Anmerkung eines IT-Experten, dass alle diese schönen Zahlen Makulatur seien, sobald die Risikofaktoren bewertet werden. Zweites Ergebnis: Unter Berücksichtigung der Risikofaktoren kam die für Outsourcing erforderliche Punktezahl nicht zustande. Negatives Ergebnis also. Rote Köpfe, heiße Diskussionen. Machtwort des IT-verantwortlichen Vorstandsmitgliedes: Die Zahlen stimmen nicht und sind anzupassen. Weiteres Ausfeilen: Die Gewichtung der Risikofaktoren wurde immer mehr zurückgefahren. Drittes Ergebnis: siehe erstes Ergebnis. Vorstand zufrieden. – Projekt: Erhebliche Kommunikationsprobleme, kulturspezifische Differenzen (für die beide Seiten nichts können), wachsende Aufwände, Zeitüberschreitungen, erhebliche Lösungsmängel. Einstellen des Projektes und Wiederaufnahme mit eigenen Leuten und inländischer Beratungsfirma. – Dies war vor einigen Jahren. Leider sind aktuelle Outsourcing-Planungen so hoch aufgehängt, dass im Falle von Scheitern Köpfe in der Führungsmannschaft rollen. Daher werden Misserfolge als Erfolge uminterpretiert (schöngerechnet) und an die Presse lanciert, die diesen Unfug vorbehaltlos übernimmt.

Gruß, opus111

John Donne
26.02.2004, 08:31
@opus111:

Ich hoffe, ich werde das in dieser Form und Intensität niemals erleben...

Grüße
John

opus111
26.02.2004, 14:44
Hallo John,

zur Frage der deutschen Bildungsmisere habe ich verschiedene Anmerkungen, die ich jedoch nicht als endgültigen Standpunkt zu betrachten bitte. Der Sachverhalt ist äußerst komplex, und eine konsolidierte eigene Meinung traue ich mir nicht zu. Möglicherweise gehört das Thema in einen eigenen Thread, oder den Thread gibt es bereits. Zwecks Bezugnahme auf Deinen Beitrag schreibe ich jedoch jetzt hier.

Zunächst ein allgemeines Statement:

Meines Erachtens gibt es häufig im Leben zwei Seiten einer Medaille. Unbestreitbar ist, dass deutsche Unternehmen sich mit der Bildungsmisere und Leistungsunwillen ihrer Auszubildenden herumplagen. Fraglich ist aber auch, was sie selbst dagegen tun oder ob sie sich in dieser Hinsicht überhaupt in der Pflicht fühlen. Meines Erachtens liegt das Versagen auf beiden Seiten. Wenn beispielsweise in einem Unternehmen, welches auch in vergangenem Jahr wieder ein Rekordergebnis eingefahren hat, Arbeitsplätze aus angeblich strukturellen Gründen abgebaut und alle Azubis grundsätzlich nicht übernommen werden, frage ich mich in der Tat, worin ein Bildungs- und Leistungsanreiz für diese jungen Leute überhaupt bestehen könnte. Folge ist demotivierende Perspektivenlosigkeit. Im übrigen berichte ich auf Basis von aktuellen Erfahrungen, kann jedoch nicht sagen, ob diese Erfahrungen repräsentativ sind. Dies überlasse ich gerne anderen Diskussionsteilnehmern.

An diesem Punkt möchte ich ein heikles Thema ansprechen, mit dem ich mir in den vergangenen Jahren wenig Freunde gemacht habe: die sogenannte PISA-Studie. Zweifel an dem Wert dieser Studie ist – wie ich feststellen durfte – in ALLEN politischen Lagern verpönt. Die Gründe liegen auf der Hand: Alle Lager schlagen Kapital aus der allgemeinen Bildungsschelte. Folglich besteht hinsichtlich der Pisa-Studie seltene Einmütigkeit.

Um hier nicht gleich von jedem der vertretenen politischen Lager in der Luft zerrissen zu werden, sage ich besser gleich, womit auch ich übereinstimme:

- Die Bildungsmisere ist offensichtlich und katastrophal
- Einzelanalysen der Pisa-Studie – z.B. bezüglich der mangelnden Förderung bestimmter Gruppen („soziale Unterschichten“, Sprachprobleme von Ausländern etc.) - dürfen ungeachtet aller generellen statistischen Probleme als hinreichend seriös gelten.

Jetzt sage ich jedoch, was mir überhaupt nicht einleuchtet:

Sinn und Zweck der PISA-Studie mag ja in nationaler Nabelschau das Erkennen gravierender Bildungsschwächen sein. Das Interesse der OECD, welche die Studie in Auftrag gegeben hat, scheint sich aber eher auf eine Art „Nationenranking“ zu konzentrieren. Genau dieses „Nationenranking“ erschien mir aus verschiedenen Gründen als äußerst fragwürdig. Es ist ein Witz, dass etwa Kanada nach Finnland an zweiter Stelle auftaucht und dass sogar ein Land wie die USA (mit Millionen Analphabeten) vor der Bundesrepublik Deutschland rangieren.

Bereits vor einigen Jahren wurden die statistischen Voraussetzungen der PISA-Studie in internationalen Konferenzen vorbereitet. Bereits bald stand fest, dass ein Nationenranking nur auf Basis vergleichbarer Schnittmengen in national unterschiedlichen Bildungssystemen möglich ist. Da diese Vergleichbarkeit jedoch äußerst fragwürdig ist, hat man sich lediglich auf bestimmte Grundplausibilitäten geeinigt: Letztendlich blieben die wesentlichen qualitativen und einige quantitative stochastische Aspekte jedem einzelnen Land selbst überlassen. Folglich ist die PISA-Studie hinsichtlich Nationenranking eine Witznummer. Weitere Schlussfolgerung: Daher kann die unbestreitbare nationale Bildungsmisere auch keinesfalls dazu dienen, die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen fortgeschrittenen Industrienationen zu erklären. Noch möchte ich mich nicht so weit hinauswagen, zu behaupten, es stecke eine bestimmte Absicht hinter dem offensichtlich unsinnigen Nationenranking: Immerhin ist es den USA hervorragend gelungen, ihre Bildungsmisere zu relativieren (kein Kunststück für ein Land, in welchem Jugendliche aus bestimmten sozialen Schichten aus der schulischen Ausbildung bereits sehr früh herausfallen! Folglich wird das Rating und Ranking durch solche Petitessen nicht getrübt).

Ich weiß, dieser Standpunkt stößt auf wenig Gegenliebe, und ich unterstreiche noch einmal, dass auch ich von der allgemeinen Bildungsmisere überzeugt bin: in Deutschland, in Großbritannien, Kanada, USA u.s.w.
(Kanadische Bekannte - beide Professoren einer Universität in Toronto - äußern massive Zweifel an dem hervorragenden Ergebnis Kanadas im Vergleich zu Deutschland. Wer in Kanada seinen Kindern eine berufliche Zukunft sichern will, steckt sie in Privatschulen, wenn er es sich leisten kann).

Agrippa
28.02.2004, 01:38
Zurück zu Deinem Beitrag: Ich gehe in meinen Behauptung sogar noch einen Schritt weiter und meine, das, was heute als BWL an deutschen Hochschule gelehrt wird, ist schlicht asozial. Wir brauchen nicht mehr BWLer, wir brauchen mehr vernünftige VWLer, die mal einen Blick auf das Große und Ganze wagen.

Dem kann man vielfach nur zustimmen und Ausnahmen bestätigen in diesem Fall nur die Regel.
Die Regel ist das die kleinen Zukunftsmanager nur im Sinne des Großkapitals erzogen werden wonach vielfach völlig andere Prioritäten bestehen als für die Gesamtheit, als für irgendjemanden jenseits der Großkapitalisten.

Ansonsten möchte ich dir opus, nur einmal ein Lob für deine fundierte und solide wie eloquente argumentierte Kritik an den derzeitigen Trends in der Wirtschaftspolitik und den Chefetagen aussprechen.

Man liest generell im I-net selten wirklich derart gut geschriebene statements in Foren.