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Vollständige Version anzeigen : Goethe, der Mensch, der Dichterfürst



H.P.Lovecraft
03.03.2004, 12:16
Kurz-Bio:
Goethe wurde am 28.8.1749 in Frankfurt(Main) geboren. Er begann sein Studium der Jura 1768 in Leipzig, das er aber wegen einer schweren Krankheit unterbrach und 1771 in Straßburg fortsetzte. Auf Einladung von Herzog Carl August zog er nach Weimar, wo er ab 1776 im Staatsdienst arbeitete. 1786-1788 erste Italienreise, 1790 zweite Italienreise. Goethe starb am 22.3.1832 in Weimar.



In diesem Thread soll ein Austausch über die vielen Facetten von
Johann Wolfgang von Goethe stattfinden. Eure Meinungen zu ihm, Geschichten und Begebenheiten aus seinem Leben beschrieben und erörtert werden. Ein "posting" seiner jeweiligen Werke soll jedoch möglichst nur in Zusammmenhang mit anderen Beiträgen erfolgen, da es für die Werke schon andere Threads gibt.

Meiner Meinung nach ist der Dichter Goethe, der größte Dichterfürst von allen. Seine Werke sind vielseitig, in der Thematik variabel und tief, trotz ihrem Alter oft immernoch aktuell und "handwerklich" perfekt.

Was sagt ihr dazu? Was zu dem Mensch Goethe? Was für Anekdoten gibt es? Wie war sein Umgang mit Kollegen und "Konkurenz" ?

Ich würde mich über eine rege Beteiligung sehr freuen.
(Und bitte keine "Spam", bzw keine unbegründeten Kurzmeinungen!Bitte! ;))

Klaus E. Daniel
03.03.2004, 16:58
Das war die These.

________________________________________

Ich vertrete demzufolge die Antithese:

Unbeeindruckt aller Verdienste frage ich:


1a.
Schiller ging elendig zugrunde, da der nach heutigen Umrechnungskurs vielfache Millionär dem kranken Freund Schiller nicht half ?

Es gibt noch eine andere, weitere These dazu.

KED

Der Schakal
03.03.2004, 17:08
Goehte wird glaube ich mein lieblings Schriftsteller (Autor)....

...hab mir Faust 1 + 2 sowie den West-Östlichen Divan gekauft ! Jetzt muss ich sie mir nur noch durchlesen..(in den Ferien!)


EDIT:

EINE FRAGE:

Auch zum Beispiel Goethe und der Islam?

Türk destani
03.03.2004, 17:12
wir lesen in der schule die leiden des jungen werthers auch von goethe
leider zu viel emotionen für meinen geschmack

Halteverbot
03.03.2004, 17:13
Auch zum Beispiel Goethe und der Islam?

Was hat Goethe mit dem Islam zu tun?


Was sagt ihr dazu? Was zu dem Mensch Goethe? Was für Anekdoten gibt es? Wie war sein Umgang mit Kollegen und "Konkurenz" ?

Goethe war ne mieße Sau, um es mal neudeutsch zu sagen... ;)
Wie er es doch fertigbrachte alle erdenklichen Konkurrenten ins Jenseits, bestenfalls in Abseits zu befördern?

Der Schakal
03.03.2004, 17:15
Was hat Goethe mit dem Islam zu tun?



Goethe hat zum Beipiel die Arabische Schrift bewundert...bzw. sich mit dem Koran beschäftigt.

Halteverbot
03.03.2004, 19:09
Goethe hat zum Beipiel die Arabische Schrift bewundert...bzw. sich mit dem Koran beschäftigt.

Aber was sollen wir daraus schließen?
Dass er Moslem ist?

Luni
03.03.2004, 19:18
Er war zumindest eines der wichtigsten Mitglieder in der Ära des "Sturm und Drang". Soviel steht fest.

Bakunin
03.03.2004, 22:17
goethe war ein bewunderer der sprachlichen schönheit des korans.

Klaus E. Daniel
03.03.2004, 22:33
Wo ist die These, wo die Antithese ?
Wo ist (hoffentlich) die Synthese ?

Was schrieb Lovecraft :


".....Und bitte keine "Spam", bzw keine unbegründeten Kurzmeinungen!Bitte!

und dann das. Dieses Thema z. B. hat nichts, aber auch gar nichts mit Hitler zu tun. Es ist literarisch.

KED

PS: Es wäre gut, sich den Eingangsbeitrag anzusehen, und dann ruhig zu sein oder sachdienliches beizutragen.

KED

Ulfberth
04.03.2004, 00:51
Original von Klaus E. Daniel

Das war die These.

________________________________________

Ich vertrete demzufolge die Antithese:

Unbeeindruckt aller Verdienste frage ich:


1a.
Schiller ging elendig zugrunde, da der nach heutigen Umrechnungskurs vielfache Millionär dem kranken Freund Schiller nicht half ?

Es gibt noch eine andere, weitere These dazu.

KED


Man möge mich -wenn erforderlich- berichtigen:

War Goethe es nicht, der Schiller in Weimar anfangs zu Amt und Ruhm verhalf?

Goethe war in der Tat pekuniär gut ausgestattet; nur halte ich es für billig, ihm daraus einen Vorwurf zu machen, daß Schiller mangels SEINER Hilfe zu Grunde ging.

Gruß

Henning

Gärtner
04.03.2004, 03:00
Alsdann, etwas Subjektives.

Hmtja, Goethe... der Olympier... der Säulenheilige von Generationen von Deutschlehrern und -Germanistik-Dozenten...

Ich selbst hab ihn (was Wunder!) in der Schule kennengelernt. Da galt es fleißig zu analysieren und zu interpretieren.

Am Schluß lag das Präparat tot auf´m Sektionstisch und wollte durchaus nicht mehr lebendig werden. Mir hat´s für lange Jahre eine veritable Lesehemmung in Sachen G. eingetragen. Mit Ausnahme seiner Sturm- und Drang-Gedichte, die damals für den verliebten 19jährigen das Nonplusultra waren.

Aber in dem Alter mag man ja auch Hermann Hesse...

Die späterhin erfolgte Beschäftigung mit dem Geheimrat förderte Aspekte zutage, die mir sehr sympathisch schienen, seine "Italienische Reise": doppelt schön zu lesen für jemanden, der selbst auch eine Zeit in Italien verbracht hat und das Land liebt.

Aber später dann, im Leben des Dichters, des Ministers... wurde er mir um so unangenehmer, je älter er war. Eckermann! Detailliertes Polieren am eigenen Denkmal. Natürlich muß mir der Mensch nicht freundlich scheinen, dessen Werk ich bewundere (schließlich schätze ich auch Thomas Mann über die Maßen - als Schriftsteller).

Von Gottfried August Bürger gibt´s dieses "Epigramm gegen Goethe":

Mich drängt' es in ein Haus zu gehn,
Drin wohnt' ein Künstler und Minister.
Den edlen Künstler wollt ich sehn
Und nicht das Alltagsstück Minister.
Doch steif und kalt blieb der Minister
Vor meinem trauten Künstler stehn,
Und vor dem hölzernen Minister
Kriegt ich den Künstler nicht zu sehn.
Hol ihn der Kuckuck und sein Küster!

Klaus E. Daniel
04.03.2004, 09:42
Ich warte noch auf eine Antwort, Lovecraft (auf meine Antithese.)

KED

PS: Dann bekommen wir KANT.

H.P.Lovecraft
04.03.2004, 10:10
So, dass wird etwas länger werden....

Goethe hat wunderschöne Gedichte und Dramen geschrieben. Er hat viele weise und richtige Erkenntnisse gehabt. Vieles, was er gesagt hat, wird immer richtig und wahr bleiben.

Aber kann Goethe uns auch als Mensch ein Vorbild sein? Meist hat er sich nur mit sich selber beschäftigt, mit seinen Empfindungen und Gefühlen, seinen Freuden und Leiden. Die Not anderer hat ihn nicht viel gekümmert. Freunden, die ihn um Hilfe baten, hat er häufig nicht geholfen. Seine Frau ließ er allein unter großen Schmerzen sterben. Er erwartete zwar von Eheleuten Treue in der Ehe, aber er selber hatte neben seiner Ehe noch zahlreiche andere Liebschaften

Im wiederspruch hierzu steht jedoch seine Mühe und Sorgfalt die Lebensverhältnisse der Armen und Unterpriveligierten, die er z.B. in seinem Minister - Amt an den Tag legte, zu mildern.
Beispiel/Textauszug:

Mit großer Tatkraft und zäher Beharrlichkeit leitete er zwanzig Jahre lang den Ilmenauer Bergbau. Schon während seines ersten Besuchs in Ilmenau schrieb er an den Herzog:
" Ich habe traurig die alten Oefen gesehen"
und an Frau von Stein:
"Ach, könnten wir nur auch bald den armen Maulwürfen von Ilmenau wieder Lohn und Brot geben.
Wie er seine Berufspflichten auffaßte, darüber urteilt der Goethekenner Voigt:
"Soweit wir irgend Goethes amtliche Tätigkeit verfolgen, müssen wir eingestehen, Goethe hat nie eine Angelegenheit als Nebensache behandelt, er hat die minutiöseste Sorgfalt in auch unbedeutende Geschäfte hineingetragen und hat mit unermüdlichen Augen das beste des Landes verfolgt."
Immer wieder bemühte sich Goethe um die Ärmsten, kümmerte sich um die Sorgen und Nöte und griff oft helfend ein, weit über den Rahmen seiner amtlichen Tätigkeit hinaus. - Eine bessere Zeit sollte für die Ilmenauer Bürger beginnen.

"


Half der einflussreiche Goethe dem "armen" Schiller oder ließ er ihn "links liegen"?

Im Juli 1787, einer neuen Herzensverwirrung entfliehend, geht er(Schiller) nach Weimar, wohin ihn Charlotte von Kalb und die Hoffnung auf eine gesicherte Lebensstellung ziehen; er erhält auf Goethes Fürsprache eine auußerordentliche Professur für Philosophie und Geschichte an der Universität Jena, vornehmlich auf Grund seiner durch die Studien zum Don Carlos angeregten "Geschichte des Abgalls der vereinigten Niederlande"; er verlobt sich mit Charlotte von Lengefeld und heiratet sie 1790, nachdem der Herzog von Meiningen ihm den Hofratstitel verliehen und Karl August eine feste Jahreszulage von 200 Talern versprochen hat.

Diese ersten regelmäßigen Einkünfte und die akademische Anerkennung bekam er also hauptsächlich durch Goethes Hilfe. Auch seinen späteren Lebensunterhalt verdankte er zu einem großen Teil Goethe:

1802 siedelte er(Schiller) endgültig nach Weimar über, wo er im selben Jahr noch in den Adelsstand erhoben wurde. In seinen letzten Jahren widmete er sich dem dramatischen Schaffen... 1800 brachte er als Übersetzungen und Bearbeitungen für das von Goethe geleitete Weimarer Nationaltheater Shakespeares „Macbeth", 1801 Gozzis „Turandot" und Lessings „Nathan der Weise" auf die Bühne.
Am 9.5.1805 starb Schiller mit nur 46 Jahren in Weimar.

Mein Fazit:
Goethe ist in seiner literarischen Leistung nahezu unantastbar.
Menschlich hat er genauso Schwächen und Fehler gezeigt wie jeder andere Mensch auch, jedoch das Schicksal Schillers kann ihm nicht zur Last gelegt werden, da er mehrfach helfend eingriff. Das Goethe nicht einfach eine monatliche Geldsumme, quasi eine "Unterhaltszahlung" an Schiller leistete, sondern diesem zu "normalen" Einkommensquellen verhelfen wollte (und teilweise ja auch schaffte), mag vielleicht auch in dem Stolz und der gegenseitigen Achtung der Freunde Schiller-Goethe gelegen haben. Denn wer wollte wohl von einem "ebenbürtigen" Künstler und Freund ausgehalten werden bzw glaube ich kaum, dass Schiller dies zugelassen hätte.
**
Was sagt ihr dazu?

Klaus E. Daniel
04.03.2004, 15:16
Meinem Sehorgan geht es nicht gut, deshalb nur eine Beitrag.



...Goethe ist in seiner literarischen Leistung nahezu unantastbar.
Menschlich hat er genauso Schwächen und Fehler gezeigt wie jeder andere Mensch auch, jedoch das Schicksal Schillers kann ihm nicht zur Last gelegt werden, da er mehrfach helfend eingriff. Das Goethe nicht einfach eine monatliche Geldsumme, quasi eine "Unterhaltszahlung" an Schiller leistete, sondern diesem zu "normalen" Einkommensquellen verhelfen wollte (und teilweise ja auch schaffte), mag vielleicht auch in dem Stolz und der gegenseitigen Achtung der Freunde Schiller-Goethe gelegen haben. Denn wer wollte wohl von einem "ebenbürtigen" Künstler und Freund ausgehalten werden bzw glaube ich kaum, das Schiller dies zugelassen hätte.
**


Gegenthese

Einen "sogenannten Freund" verläßt man nicht, inbesondere, wenn man über soviel Geld verfügt. Goethe hat Schiller erst mit seinem "Wallenstein" anerkannt. Und den hat er nach Weimar geholt ?
Es gab auch danals Möglichkeiten, ihn unauffällig zu unterstützen. Aber "ein Olympier" tut das nicht.

Wie schrieb er: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein.

Er erkannte eine seiner Unfähigkeiten.

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These 1b.

Kant schrieb die "Kritik der reinen Vernunft". Goethe verstand sie nicht (unten einer der Kernsätze) und lehnte sie ab.

Erst Schiller führte ihn daran - somit ist uns einiges erspart geblieben.
Kann man das glauben? Es ist aber so.

KED


Freihändig geschrieben

Der Schakal
04.03.2004, 18:36
Aber was sollen wir daraus schließen?
Dass er Moslem ist?

Es wäre denkbar? Aber mal im Ernst dies ist ein teil seiner Lebensgeschichte...!

Halteverbot
04.03.2004, 19:34
Seit wann ist der Islam deistisch?

Klaus E. Daniel
06.03.2004, 17:14
Schade.

Ihr habt euch nicht an Lovecraft (und mich) gehalten - das Thema ist EX.

KED

Der Schakal
06.03.2004, 17:19
Ihr habt euch nicht an Lovecraft (und mich) gehalten - das Thema ist EX.

Was meinst du damit?

Klaus E. Daniel
06.03.2004, 17:51
Zum Beispiel:


Ich würde mich über eine rege Beteiligung sehr freuen.
(Und bitte keine "Spam", bzw keine unbegründeten Kurzmeinungen! Bitte (Lovecraft)

Es kann nicht jeder einfach durcheinanderreden:

REGELN MÜSSEN SEIN.

Und das sind Regeln, oft genug bei z. B. Waldspaziergängen angewandt,

KED

H.P.Lovecraft
08.03.2004, 10:33
Kant - Schiller - Goethe
Hierzu ein passender Artikel, den ich ersteinmal unkommentiert der Diskussion hinzufügen möchte:



Glückseligkeit und Entsagung
Goethes Kant-Lektüre

Von Manfred Koch

Eine der Urszenen der deutschen Literaturgeschichte spielt sich am Abend des 20. Juli 1794 ab. Goethe und Schiller, bis dahin eher respektvolle Antipoden als Bündnispartner, hören in Jena gemeinsam einen Vortrag des Botanikers Batsch und geraten auf dem Nachhauseweg in ein freundschaftsstiftendes Streitgespräch. Goethe stellt dem Jüngeren - nach eigenem Zeugnis - in lebhaften Worten seine «Metamorphose der Pflanzen» vor und lässt «mit manchen charakteristischen Federstrichen eine symbolische Pflanze» vor dessen Augen entstehen. Schiller, «als ein gebildeter Kantianer», will von der Anschaulichkeit dieser Urpflanze nichts wissen und behauptet, das sei eine «Idee». Bevor es zu Verdriesslichkeiten kommt, lässt Goethe sich von Schillers «Anziehungskraft» überwältigen und besiegelt unter dem wohltätigen Einfluss von Gattin Charlotte das Zusammenfinden «zu dauerndem Verständnis». Das «literarische Commercium» der beiden einflussreichsten Schriftsteller Deutschlands hat begonnen.

ANSCHAUUNGSMENSCH
Goethes Bericht unter dem Titel «Glückliches Ereignis» entstand zwölf Jahre nach Schillers Tod; er ist in vielem wohl eher ein Stück Ursprungsmythologie als faktentreue Erinnerung. Von diesem Sonntag, so verstehen wir, datiert eine neue Epoche der deutschen Poesie; sie ist gekennzeichnet durch die glückliche Verbindung zweier diametral entgegengesetzter Naturen: hie der Anschauungsmensch, dort der Reflexionsdichter. Schiller hatte dieses Schema gleich nach der entscheidenden Begegnung selbst geprägt in jenem berühmten Brief zu Goethes 45. Geburtstag, der seine «spekulative» von Goethes «intuitiver» Verfahrensweise abhob und damit den Grund für das legendäre Begriffspaar «naiv» und «sentimentalisch» legte. Fortan war ein Modell vorgegeben, nach dem das Heil der Poesie (wenn nicht der ganzen deutschen Kultur) aus einer künftigen Synthesis philosophisch-mittelbarer und natürlich-spontaner Dichtung erwachsen sollte.

In dieser einprägsamen Antithese verstellte der Kantianer Schiller bald vollständig den Blick auf Goethes philosophisches Wissen. Goethe habe, so ein gängiges Vorurteil, von Kants «Kritiken» kaum Notiz genommen. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat indessen der Kant-Editor Karl Vorländer minuziös nachgewiesen, dass es bei Goethe ein regelrechtes Kant-Erlebnis gab. Im Herbst und Winter 1790/91 liest Goethe intensiv die «Kritik der reinen Vernunft» sowie die «Kritik der Urteilskraft» und versieht seine Handexemplare mit kräftigen Unterstreichungen und Randbemerkungen. Darüber hinaus verfolgt er in den anschliessenden Jahren höchst aufmerksam die Weiterentwicklung der Kant'schen Theorie durch die Jenaer Philosophieprofessoren Reinhold und Fichte. Der Goethe, der an jenem Abend dem «gebildeten Kantianer» Schiller gegenübertrat, war zwar kein Kantianer im strengen Sinn, wohl aber ein sattelfester Kenner von Kans Philosophie. Durch Kants Schule gegangen zu sein, war in seinen Augen geradezu das verbindliche Bildungsmuster der deutschen Intelligenz. «Doch steht», schrieb er in Kants Todesjahr, «eine Bemerkung hier wohl am rechten Platz, dass kein Gelehrter ungestraft jene grosse philosophische Bewegung, die durch Kant begonnen, von sich abgewiesen, sich ihr widersetzt, sie verachtet habe.»

ZWECKMÄSSIGKEIT OHNE ZWECK
Goethes Lieblingsbuch war fraglos die «Kritik der Urteilskraft». Kants Ästhetik und Naturteleologie kamen dem Dichter und Naturforscher Goethe vor allem in einer Überlegung entgegen: Kunstwerke wie natürliche Organismen sind in sich zweckmässige Gebilde ohne äusseren Zweck. Dass Dichtung der moralischen Belehrung dienen solle, war ihm ein ebenso unausstehlicher Gedanke wie die Vorstellung, die Natur sei ausgerichtet auf ihre Vernutzung durch den Menschen. «Es ist ein grenzenloses Verdienst unseres alten Kant um die Welt», heisst es noch in einem Brief aus den letzten Lebensjahren, «dass er in seiner Kritik der Urteilskraft Kunst und Natur kräftig nebeneinander gestellt und beiden das Recht zugesteht: aus grossen Prinzipien zwecklos zu handeln.» Das Konzept einer sich selbst organisierenden Natur, die über die Kausalbestimmungen und Funktionalisierungen der Menschen erhaben ist, erlaubt Goethe, seine Kant-Lektüre der neunziger Jahre nahtlos an seine jugendliche Spinoza-Begeisterung anzuschliessen: Beide Philosophen hätten ihn bestärkt in seinem «Hass gegen die absurden Endursachen».

Ein Goethe'sches Handexemplar von Kants zweiter «Kritik» ist nicht überliefert; hatte Goethe kein gesteigertes Interesse an der praktischen Vernunft? Es gibt verschiedentlich Stellen in seinem Werk, die sich scheinbar über Kants rigorose Pflicht-Ethik mokieren. In den «Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten» (1795) ist die Hauptfigur eine Art lässlicher Kantianer: ein Geistlicher, der die kleine Gemeinschaft der Revolutionsflüchtlinge, mit der er reist, ganz im Kant'schen Sinn darin unterweist, die Herrschaft der Begierden, den Drang zu spontanen, affektgeleiteten Reden und Handlungen zu bekämpfen. Diese Disziplinierung wird den Betroffenen aber nicht einfach auferlegt, sondern anhand von «moralischen Erzählungen» suggeriert. In einer dieser Geschichten steht am Ende das Bild einer deutsche Familie, in der der Vater seinen Kindern ein kurioses Verzichttraining zumutet: Sie geniessen alle möglichen Freiheiten, bisweilen aber wird ihnen aus heiterem Himmel ein harmloser Wunsch ausgeschlagen. Die Erziehung des Vaters ist Einübung in «Entsagung»: das Erlernen einer Technik flexibler Verzichtbereitschaft.

Die deutliche Ironie der Schilderung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um einen der «ernsten Scherze» Goethes handelt. In den Schlussabschnitten der «Kritik der Urteilskraft» hat Goethe vor allem jene Stellen angestrichen, die davon handeln, dass die Menschen zwar notwendig persönliche «Glückseligkeit» erstreben, sie aber ebenso notwendig in einer von individuellen Sehnsüchten und Bedürfnissen geleiteten Lebensführung verfehlen. Selbstverwirklichung ist nur möglich in einem stabilen sozialen Umfeld; dessen Ordnung verlangt aber gerade den Verzicht auf bedingungslose Durchsetzung des Ich. Goethes Programm der «Entsagung» - das Leitwort seiner zweiten Lebenshälfte - entsteht als Reaktion auf die zeitgeschichtlichen Wirren (Französische Revolution und Revolutionskriege) unter dem Eindruck der Lektüre Kants: Einer zunehmend unkontrollierbaren Wirklichkeit, die die Glücksansprüche des Subjekts dauernd auf unvorhersehbare Weise durchkreuzt, begegnet man am besten durch habitualisierte Enttäuschungsvermeidung. Wer in einer gebrechlichen Welt beständig auf der Suche nach letztem Sinn und rauschhaften Glückserfahrungen ist, richtet die anderen und vor allem sich selbst zugrunde.

Der Verfasser lehrt Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Tübingen. Zuletzt erschien: «Weimaraner Weltbewohner» (Niemeyer 20020).

Quelle: NZZ Online,8. März.2004

Klaus E. Daniel
09.03.2004, 14:14
Schön, Lovecreaft,
daß Sie das Tema zusammengelassen haben.

Wenn ich wieder "auf Deck" bin, antworte ich vielleicht.

Gru8

Klaus E. Daniel

H.P.Lovecraft
11.03.2004, 09:48
Würde mich über eine Antwort bei diesem doch anspruchsvollem Thema sehr freuen!

Klaus E. Daniel
25.03.2004, 11:52
Ich würde mich über RB's Meinung freuen, zumal ein Teil von ihm stammt.

KED

wbuecher
11.11.2004, 01:31
Ich finde G. weniger qualitativ als quantitativ beeindruckend (was nicht zuletzt ein Verdienst seines hohen Alters war), und seine Zeitgenossen sahen das genauso. Außer dem Werther hat er zeitlebens kein Buch mit Gewinn auf den Markt gebracht, sondern noch bei jeder Edition aus eigener Tasche drauf gezahlt. Und das wundert mich nicht. Hat schon mal jemand von Euch einen seiner Langweiler gelesen?