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Vollständige Version anzeigen : Zentralismus vs Föderalismus



Sauerländer
28.12.2006, 15:36
Wir erleben gegenwärtig den Versuch, den deutschen Föderalismus zu reformieren - manch einer wittert den Versuch, ihn heimlich abzuschaffen, was manch anderer so tragisch gar nicht fände.

Daher an dieser Stelle die Frage an die Teilnehmerschaft:
Wo würdet Ihr eure Haltung auf einer Skala, bei der eine "0" maximalen Zentralismus, eine "10" hingegen maximalen Föderalismus bedeutet, verorten - und warum?

Wo liegen die Stärken und Schwächen der beiden Ansätze, wie lassen sie sich (vorausgesetzt das entspricht eurer Position) am sinnvollsten kombinieren?

Waldgänger
28.12.2006, 15:46
Auf einer Skala von 0 bis 10 würde ich mich auf der 7 platzieren. Meiner Meinung nach sollte den Volksangehörigen ein Höchstmaß an Selbstbestimmung gewährt sein, das bedeutet lokale Demokratie, Dezentralisierung der Instanzen, Regionalismus. Allerdings sind m.E. zentrale Schalt- und Koordinierungsstellen nicht zu vermeiden, sie sind geradezu notwendig. Deshalb plädiere ich für eine, auf das deutsche Volk zugeschnittene, Räte-Demokratie. Diese vereint regionale Selbstbestimmung, Elitenherrschaft gekoppelt mit der Verpflichtung des imperativen Mandats und einer notwendigen Kompetenzhierachie. Hinzu kommt, dass eine solche Form der organischen Volksherrschaft an die Tradition der europäischen Gemeindeversammlungen des europäischen Altertums anknüpft (siehe Thing, athenische Demokratie usw.) und die Volkssouveränität unveräußerlich ist.

-jmw-
28.12.2006, 19:09
Ich sehe mich auf der 9.
Der Restpunkt entspricht i.W. der Landesverteidigung und der Aussenpolitik, wobei bei ersterer noch viele Möglicheiten bestehen, Kompetenzen nach unten zu verlagern.

Überdies ginge ich über die Dezentralität gerne noch hinaus zur Nonterritorialität:

Für uns bedeutet Kommune nicht mehr [wie im Mittelalter] eine territorial abgegrenzte Anhäufung menschlicher Wohnungen, sondern eine Interessenkommune, deren Mitglieder über Tausende von Städten und Dörfern zerstreut sind.
(Peter Kropotkin)
Die einzelnen autonomen Rechts- und Sozialgemeinschaften (K.H.Z. Solneman) entschieden selber, wie (de-)zentral sie sich einrichten möchten.

mfg

Waldgänger
28.12.2006, 19:12
@jmw. Hört sich an wie ein Zurück zur vor-neolithischen Zeit. Kropotkin in allen Ehren, seiner Idee der 'Freien Vereinbarung' schließe ich mich größtenteils an, aber der Kropotkin'sche Anarchismus ist nichts für mich. Anarchismus ist in meinen Augen radikalisierter Liberalismus und als solcher negiert er die Herrschaft des Politischen. Von daher lehne ich ihn ab.

Bruddler
28.12.2006, 19:18
Zentralismus oder Föderalismus......
ist doch alles Schnick-Schnack !
Mit diesem aufgeblähten Staatsapparat soll uns Deutschen doch nur vorgegaukelt werden welch ausgetüfteltes, optimales und souveraenes Demokratie-System wir haben....
In Wirklichkeit ist die Macht in Deutschland ganz anders geregelt..... !

Pandulf
28.12.2006, 19:37
Meine Meinung deckt sich weitgehend mit der von Waldgänger. Der Föderalismus ist ein Segen und typisch deutsch bzw. mitteleuropäisch-germanisch. Man schaue sich mal die Niederlande, Österreich oder die Schweiz an. In der romanischen Kultur dagegen besteht der Hang hin zu einer alles regelnden Hauptstadt, so wie in der Antike in Rom, einhergehend mit kultureller Nivellierung. Frankreich ist typisch, es fängt aber auch schon im stark romanisch angehauchten Bayern an mit ihrer Hauptstadt München und dem Übervorteilen der Franken.

Ich finde nicht, daß es zu viele Bundesländer gibt. Jedoch gibt es nach meiner Meinung teilweise die falschen. NRW sollte aufgeteilt werden in die Bundesländer "Westfalen" und "Rheinland", letzteres um Rheinlandpalz erweitert. Dieses gibt aber Rheinhessen wieder an uns Hessen ab. Weiter würde ich ein Bundesland "Franken" mit Hauptstadt Würzburg begrüssen. Es gibt keinen Grund, warum die Franken von München aus regiert werden, anstatt sich selbst zu regieren.

Trotz Föderalismus ist der Bund dieser Regionen aber gleich wichtig. Erst der Bund schafft ein Band zwischen diesen Regionen und erschafft eine kulturrelle Überidentität. Auch ist der Bund notwendig in Bereichen wie Außen-, Sicherheits- und Finanzpolitik.

ppp
28.12.2006, 19:46
der föderalismus tut dem land gut. aber die jetzige situation, daß bundesrat und bundestag einander blockieren gehört abgeschafft. ich finde den vorschlag gut, die ländervertreter nach einem logischen schlüssel (also nicht wie bisher) mit dem bundestag gemeinsam abstimmen zu lassen.

-jmw-
28.12.2006, 19:47
@jmw. Hört sich an wie ein Zurück zur vor-neolithischen Zeit.
Wer's paläolithisch mag und irgendwo ein freies Eckchen findet, der soll das meintwegen machen. :)


Kropotkin in allen Ehren, seiner Idee der 'Freien Vereinbarung' schließe ich mich größtenteils an, aber der Kropotkin'sche Anarchismus ist nichts für mich. Anarchismus ist in meinen Augen radikalisierter Liberalismus und als solcher negiert er die Herrschaft des Politischen. Von daher lehne ich ihn ab.
Der werte Genosse Kropotkin war leider zu sehr in der sozialistischen Debatte seiner Tage gefangen und hat sich deshalb nicht zu dem Punkte hinarbeiten können, an dem Anarchismus nur noch Meta-Ideologie ist:
Er hat nicht strikt genug getrennt zwischen dem Anarchismus als solchem und seinen persönlichen kommunistischen Vorstellungen.
Freie Vereinbarung ist das Schlüsselwort: Je mehr, desto besser.
Ob man sich selber für einen Anarchisten oder einen Liberalen hält oder nicht, ist ziemlich gleich, solange man eben diese Vereinbarungen respektiert.

mfg

Pandulf
28.12.2006, 21:40
Föderalismus bedeuet, daß alle Regionalkulturen sich entfalten können, ohne von einer fernen "Hauptstadt" wie München diskriminiert zu werden.

http:www.bundesland-franken.de

Waldgänger
28.12.2006, 21:59
Meine Meinung deckt sich weitgehend mit der von Waldgänger. Der Föderalismus ist ein Segen und typisch deutsch bzw. mitteleuropäisch-germanisch. Man schaue sich mal die Niederlande, Österreich oder die Schweiz an. In der romanischen Kultur dagegen besteht der Hang hin zu einer alles regelnden Hauptstadt, so wie in der Antike in Rom, einhergehend mit kultureller Nivellierung. Frankreich ist typisch, es fängt aber auch schon im stark romanisch angehauchten Bayern an mit ihrer Hauptstadt München und dem Übervorteilen der Franken.

Ich finde nicht, daß es zu viele Bundesländer gibt. Jedoch gibt es nach meiner Meinung teilweise die falschen. NRW sollte aufgeteilt werden in die Bundesländer "Westfalen" und "Rheinland", letzteres um Rheinlandpalz erweitert. Dieses gibt aber Rheinhessen wieder an uns Hessen ab. Weiter würde ich ein Bundesland "Franken" mit Hauptstadt Würzburg begrüssen. Es gibt keinen Grund, warum die Franken von München aus regiert werden, anstatt sich selbst zu regieren.

Trotz Föderalismus ist der Bund dieser Regionen aber gleich wichtig. Erst der Bund schafft ein Band zwischen diesen Regionen und erschafft eine kulturrelle Überidentität. Auch ist der Bund notwendig in Bereichen wie Außen-, Sicherheits- und Finanzpolitik.


Gut erkannt, der gleichen Auffassung bin ich auch. Ich zitiere aus dem Artikel "Regionalismus als Antwort auf die Globalisierung":

"Regionalismus bezeichnet das allgemeine Bestreben einer Region oder eines Gebietes, das sich z.B. durch landschaftliche, historische, ethnische oder sonstige Merkmale von anderen Gebieten abgrenzen lässt, nach größerer Selbstverantwortung und Autonomie gegenüber einer staatlichen Zentralmacht. Die Ziele des Regionalismus reichen dabei von stärkerer Dezentralisierung bis zu separatistischen Bestrebungen (z.B. Korsika, Baskenland). Nun darf man bei der Bewertung regionalistischer Tendenzen jedoch nicht dem Trugschluß verfallen, diese würden der nationalistischen Weltanschauung und dem Nationalstaatsgedanken grundlegend zuwider laufen. Erklärtes Ziel des Nationalismus ist schließlich die Deckung von politischer und nationaler Einheit, die Vorstellung also, daß jede Nation über einen eigenen, souveränen Staat verfügen solle.

Das bedeutet jedoch keinesfalls, daß Region und Nation unvereinbare Gegensätze seien, ganz im Gegenteil, auch hier besteht eine gewisse Abhängigkeitssituation. Nur hängt eben die Nation weit mehr von den einzelnen Regionen ab als umgekehrt.

Regionen sind die Träger der Nation, die Nation ist lediglich der Überbau, das Bindeglied zwischen den Regionen, die interregionale Willensgemeinschaft, der sich die einzelnen Regionen freiwillig zu- und unterordnen. Darum muß künftig das Hauptaugenmerk und der Fokus nationalistischer Politik auch auf den Regionen und deren Entwicklung liegen, insbesondere, um in Zeiten fortschreitender Globalisierung und Nationalstaatsnivellierung eine zukunftsfähige Gegenposition im emanzipationsnationalistischen Sinne zu schaffen."

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Beverly
29.12.2006, 21:56
Wir erleben gegenwärtig den Versuch, den deutschen Föderalismus zu reformieren - manch einer wittert den Versuch, ihn heimlich abzuschaffen, was manch anderer so tragisch gar nicht fände.

Daher an dieser Stelle die Frage an die Teilnehmerschaft:
Wo würdet Ihr eure Haltung auf einer Skala, bei der eine "0" maximalen Zentralismus, eine "10" hingegen maximalen Föderalismus bedeutet, verorten - und warum?

Ich würde mich mit "6" einordnen, weil ich einerseits föderale Strukturen gut finde, andererseits für bestimmte Aspekte starke zentrale Einrichtungen für notwendig halte.


Wo liegen die Stärken und Schwächen der beiden Ansätze, wie lassen sie sich (vorausgesetzt das entspricht eurer Position) am sinnvollsten kombinieren?

Aus der jetzigen Hierarchie der BRD

Bundesregierung
Bundesländer
Regierungsbezirke ?
Metroregionen ?
Landkreise und kreisfreie Großstädte
Städte, Gemeinden, Bezirke der Großstädte
"Ortsteile", "Orte"

würde ich zwecks Entbürokratisierung einige Ebenen herausnehmen. Es gäbe dann

Bundesregierung
ländliche Regionen und kreisfreie Großstädte
Städte, Gemeinden, Bezirke der Großstädte
"Ortsteile", "Orte"

Die Zentralregierung hätte für alle geltende Normen zu setzen; für alle gleiche öffentliche Einrichtungen und Leistungen sollten auch zentral organisiert werden - niemand braucht eine nach dem "Regionalitätsprinzip" organisierte Volksbank oder AOK. Gestalterische Aufgaben mit Bezug zu dem Menschen "vor Ort" sollten von den unteren Ebenen übernommen werden.

Oberhalb des Nationalstaates haben wir bisher folgende supranationalen Einrichtungen:

EU
NATO
Europarat
WTO
UNO
sowie diverse "Unterorganisationen"
Davon sollte nur eine reformierte UNO und allenfalls eine aus EU und Europarat zusammengelegte europäische Institution übrig bleiben. Supranationale Institutionen sollten eher wenige als viele Kompetenzen haben.

Die Kompetenzen aller Ebenen sollen voneinander klar abgegrenzt sein. Kein "Bundesrat", der der Zentralregierung reinredet, keine "Staatsverträge" von Ländern, welche de facto die Kompetenzen der zentralen Gesetzgebung übernehmen. Aber umgekehrt kein Ausbluten-lassen der Städte und Gemeinden durch Bund und Länder.
Die UNO sollte nicht allzuviel machen, aber sie sollte es machen können, ohne per "Weltsicherheitsrat" am Gängelband der Großmäche geführt zu werden.